Zigaretten.

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Diese Geschichte beginnt mit Regen. Kein Nieseln, es schüttet. Es regnet, als hätte Gott Titanic geschaut und könnte sich nicht zusammenreißen. Es regnet, als wäre Gott den ganzen Tag nicht pinkeln gewesen.
Zugegeben, ich finde die erste Version besser.
Oh Gott, verzeih mir meine Blasphemie!

Und sie beginnt mit Zigaretten. Mit den selben Zigaretten, die ich rauche seit ich damit angefangen habe. Das war weder cool noch irgendwie aus Gruppenzwang, es war, weil ich traurig war und mir dachte, das hilft. Meine Mama raucht auch wenn sie traurig ist. Oder wütend. Das hat sie an mich vererbt.

Ich stehe der Universität für angewandte Kunst, genauer gesagt am Stillen Örtchen für Raucher. Es ist nicht still. Straßenbahnen rattern im Fünf-Minuten-Takt vorbei. Ein Heidenlärm.

Dann höre ich die Stimme. Gottes Stimme. Gott als Mädchen.
"Kann ich eine haben?"
Ich drehe mich um. Sie ist winzig. Sie versinkt in dieser zu großen Jeansjacke, darunter ein zu großes T-Shirt von einer Band die ich sehr mag. Dann eine schwarze, kurze Hose. Dann Fishnet-Strumpfhosen. Am Knie ist kein Fishnet mehr. Soll heißen, dort ist sie zerrissen. Dann Stiefel, schwarze, polierte Stiefel. Markenschuhe.
Ich sehe sie an und denke, sie ist diesen Grunge-Tumblr-Posts entsprungen; jetzt müsste sie nur noch rebellisch die Zunge herraustrecken, in der einen Hand eine Zigarette und in der anderen eine Flasche Vodka. Und über ihren Augen ein schwarzer Balken auf dem soetwas steht wie: broken hearts. Oder sonst was pseudo-tiefgründiges

"Klar.", sage ich, gebe ihr die Packung. Sie nimmt eine, steckt sie in den Mund.
"Feuerzeug?", fragt sie. Ich gebe ihr meins. Sie gibt es zurück, als die Zigarette brennt und mustert mich. Ich will sagen, verächtlich sieht sie mich an, aber unter dem bösen Blick, da ist sowas wie Neugier.
"Bist du von hier?", fragt sie.
"Leider.", antworte ich missmutig. Sie grinst. Sie hat etwas vorstehende Eckzähne, wie ein Vampir.
"Was ist so schlimm an der Stadt?", will sie wissen.
"Nichts.", erwidere ich. "Ich hab nur keinen so tollen Tag bis jetzt."
"Ich auch nicht.", sagt sie. Auf ihrer Zigarette schimmert ihr Lipgloss.
"Wie heißt du?", frage ich. Ich weiß nicht mal wieso.
Sie lächelt, diesmal spöttisch. "Elisa.", sagt sie. Ich nicke. Irgendwie passt der Name zu ihr, und irgendwie auch nicht. "Aber nenn mich Lee."
"Lee.", wiederhole ich, "So wie... Stan Lee?"
"Nee.", meint sie und bläst mir den Rauch ins Gesicht. "Lee Miller. Die Fotografin. Und du? Wie heißt du?"
Ich nenne ihr meinen Namen. Sie sagt, der passt zu mir. Art Hoes haben solche Namen.
"Ich bin keine Art Hoe.", murmle ich.
"Du stehst vor der Kunst-Uni und rauchst. Was bist du dann? Ein Sportenthusiast sicher nicht.", spottet sie. Ich beginne sie zu mögen.
Ich lache. "Naja. Ich laufe gerne. Hin und wieder."
"Bestimmt malst du. Irgendwas mit tiefer Bedeutung.", sagt sie.
"Gelegentlich. Manchmal male ich auch nur Penisse in ein Notizbuch.", erwidere ich. Jetzt lacht sie. Ehrlich, nicht spöttisch.
"Und was machst du sonst? Wenn du nicht hier rumstehst oder Geschlechtsorgane zeichnest?", fragt sie.
Ich überlege. Mit Freunden trinken. Kiffen. Meiner Mutter im Haushalt helfen. Videospiele spielen.
"Ich schreibe gerne.", sage ich.
"Ah.", entgegnet sie, "Poesie?"
"Prosa.", sage ich. "Nein. Keine Ahnung. Kurzgeschichten."
"Ich hab mit vierzehn immer Gedichte über irgendwelche Jungen aus meiner Schule geschrieben.", sagt sie.
"Ich auch.", sage ich. Sie zieht die Augenbrauen hoch.
"Na, damals mochte ich noch Poesie.", verteidige ich mich.
"Und wieso jetzt nicht mehr?", fragt sie.
"Jemand hat die Gedichte gefunden. Gab ein riesen Drama. Ich meine, die meisten haben's gut aufgenommen, das mit mir. Nicht alle. Ein paar meinten, mich dafür zu verarschen. Hat wehgetan.", antworte ich. Sie nickt. Versteht.
Dann zupft sie ein bisschen an ihrer Strumpfhose herum. Wenn ich könnte, würde ich auch  welche tragen, aber ich kann nicht. Ich habe nicht wirklich die Beine dazu.

Ich drücke die Zigarette in dem ekelerregend vollem Aschenbecher aus.
"Machst du dich schon auf die Socken?", fragt sie, und vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber sie klingt etwas enttäuscht darüber.
"Hm. Sollte ich.", erwidere ich.
"Schade.", sagt sie, "Ich denke, ich könnte dich gut leiden."
"Dann tu es.", sage ich bloß, einfach weil ich sie auch gut leiden kann. Ein wenig zumindest. Nun, wie sehr man jemanden eben leiden kann, wenn man ihn erst fünf Minuten kennt.
Sie streicht sich das Haar aus dem Gesicht. Sie hat es zurückgebunden, aber strähnenweise hängt es ihr trotzdem ins Gesicht. Sie ist blond, aber nicht natürlich. Der Ansatz ist dunkel und schon ziemlich herausgewachsen, aber offenbar ist es ihr egal. Ich bewundere solche unbekümmerten Menschen. Persönlich habe ich das nie gekonnt, einfach in den Tag hineinleben und warten was kommt. Annehmen, was kommt.
Ich denke zu viel nach, den ganzen Tag, über heute und morgen und gestern.

"Hast du einen Kugelschreiber oder so?", fragt sie. Ich suche in meinem Rucksack, gebe ihr den Stift. Dann nimmt sie meinen Arm und schreibt ihre Nummer darauf. Ich fühle die kalte Metallspitze auf meiner blassen, weichen Haut an der Innenseite meines Unterarms.
"Weißt du, ich habe ein Handy.", sage ich.
"Ist nicht wahr.", erwidert sie, ohne mich anzusehen.
"Ich meine, es wäre so vielleicht einfacher. Also, wenn ich deine Nummer einfach einspeichere", sage ich.
"Kannst du ja daheim.", erwidert sie. Sie gibt mir den Stift zurück. "Ich weiß ja, was du meinst,", fährt sie fort, "aber ich habe es so lieber. Das ist so... altmodisch. Das gefällt mir."
Ich starre die Zahlen an, blau und krakelig. "Ist das eine Acht oder eine Drei?", frage ich.
"Eine Drei, großer Gott. Das ist offensichtlich." Sie lächelt, und mir fällt kein anderes Wort ein außer spitzbübisch.
Dann blinzelt sie ganz oft, hält die Augen halb geschlossen und sagt mit rauer Stimme: "Ruf mich an."
"Und wenn ich es nicht tue?", frage ich.
"Wieso solltest du das tun?", fragt sie zurück. "Ich bin unwiderstehlich." Sie lacht kehlig, dreht sich um und stolziert davon.
So wie sie geht, so gehen die Königinnen von heute, die aus dem Himmel verstoßenen Göttinnen. Mit großen Schritten, als würde sich alle Welt vor ihr verbeugen, als würden Könige sich selbst hängen, auf ihr Wort.

Oh Lee, du bist eine Königin gewesen, ja. Du sitzt auf dem Thron der Verstoßenen und herrscht über die Abgründe unserer Seelen.

Du strahlst wie die Sonne, und du wirst fallen wie ein Stern. Und dein Königreich wird Asche sein.
Ich will es nur gesagt haben.

Regen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt