Speed.

212 17 0
                                    

Das habe ich damals, nach unserem ersten gemeinsamen Abend, verstanden. Lee ist kaputt. Vollkommen. Wurde zerfetzt, von ihrer Familie genauso wie von Freunden; von all den Menschen die sie zwangen sich zu entblößen und von ihnen sezieren zu lassen. Sie haben sie verschlungen, zerkaut und wieder ausgekotzt und das Ergebnis sitzt vor mir, zieht sich die Lippen mit dunklem Rot nach und tuscht sich die Wimpern.

Heute Abend feiern wir.
Was feiern wir?
Ich weiß es nicht.
Das Ende meiner Welt.

"Lee", sage ich, "das ist keine gute Idee."

"Was denn?", fragt sie. "Ich will Spaß haben. Mein Vater hat mich gestern endgültig rausgeworfen. Weißt du, wo meine Sachen waren? Im Müll. Nicht mal im richtigen, verstehst du? Alles im Papiermüll. Idiot."

Ich sage nichts mehr. Wir steigen aus dem Bus aus und gehen zu einem Haus, Lee sagte, hier würden wir uns für den Abend warm machen. Ich habe ein unangenehmes Gefühl im Bauch, nicht wirklich Angst, aber eine grausige Vorahnung was kommen könnte.
Die Freundin von Lee, welche uns die Tür öffnet heißt Ash, ich bezweifle aber, dass das ihr richtiger Name ist. Vielleicht Ashley. Vielleicht auch etwas ganz anderes. Ash sieht gut aus, lange, dunkle Haare mit nach unten hin silbergrauen Spitzen. Große, hellblaue Augen. Ich fühle mich neben ihr und Lee ein wenig underdressed, aber als ich das erwähne winken beide ab. "Nein, nein du siehst super aus.", sagt Ash und blinzelt mich an. Vermutlich verführerisch. Ich kann das bei Frauen nicht gut beurteilen.
"Spar dir die Mühe, Ash.", sagt Lee. "Dieses Individuum ist an deinen fetten Titten nicht interessiert."
Ash schürzt die Lippen. "Schade.", sagt sie, wirft das Haar zurück und zieht uns hinein.

Im Haus sitzen auch andere Freunde von Lee, allesamt vermutlich mit Geld gesegnet, und damit auch mit umwerfender Schönheit. Lee setzt mich neben einen Jungen, ich hoffe sie will mich nicht verkuppeln oder so etwas. Doch er starrt ihr die ganze Zeit penetrant auf den Hintern, also bin ich wohl außer Gefahr.

Es ist ein Vorurteil, dass reiche Kinder sich mit Champagner auf einen Abend der Völlerei vorbereiten. Auch wenn sie kein Geld scheuen, ich sehe nirgends Champagner oder (bis jetzt) auch nur einen Krümel Koks. Vielleicht hatte ich Unrecht und Lee hatte nur einen Aussetzer bei mir.

Vielleicht auch nicht.

Sie reichen eine Flasche (teuren) Vodka herum, dann eine Packung (teurer) Zigaretten. Gezwungen lehne ich den Vodka nicht ab, die Zigaretten sowieso nicht. Ich rauche bis es mir nicht mehr schmeckt; das tut der Vodka sowieso nicht.

Um halb zehn klingelt es erneut an der Tür, da bin ich schon beschwippst, und alle anderen auch.
Ash und Lee, ich denke, ihre Namen passen gut zusammen, sie hüpfen zur Tür. Ich folge ihnen aus Neugierde. Dort steht ein Kerl in Kapuzenpullover und zu weiter Hose mit Bauchtasche als Gürtel. Er hat einen starren, unangenehmen Blick, ein Ziegenbärtchen und kaut ständig auf der Unterlippe. Generell ist er unruhig. Ich weiche vor ihm zurück.
"Der Pizzabote ist da.", sagt er, mit einer schmierigen Stimme.
Ash nennt ihn Ratte, aber das ist sicher nicht sein echter Name. Aber er passt zu ihm, mit seinen kleinen, dunklen Augen die mich tatsächlich an ein Nagetier erinnern. Sie verhandelt mit ihm über etwas. Er schnieft die ganze Zeit und fingert an seiner Bauchtasche herum. Lee mischt sich ein, da einigen sie sich plötzlich.
"Halber Preis", sagt Ratte zu ihr, "Wenn du morgen bei mir vorbeischaust." Sein Lächeln gefällt mir nicht. Das Päkchen, dass er Lee in die Hand legt, gefällt mir nicht. Das viele Geld, um das er gierig seine Hand schließt gefällt mir nicht.

Und am allerwenigsten gefällt mir, wie er ausholt und Lee auf den Hintern schlägt, in einer grauenhaft arroganten und dreckigen Weise. Ich sehe, wie sie zusammenzuckt, und als er auch noch zudrückt, ist ihr Blick unendlich gequält. Sie hasst diese Situation. Sie hasst es, dass er weniger Geld von ihr verlangt, und sie dafür morgen seinen Schwanz im Mund hat. Sie hasst sich selbst, dass sie das Angebot annimmt, obwohl jeder hier ihr Kokain hätte zahlen können. Sogar ich.

Das sind sie, meine Damen und Herren, diese Kinder die sich selbst nichts wert sind. Ein Sack Stroh ist mehr wert. Der dreckige Drogendealer der sich nach einem Schädling benannt hat, ist mehr wert. Ein Fetzen meiner Haut ist mehr wert.

Aber das denkt nur sie, ich denke das nicht, ich nehme betrunken all meinen Mut zusammen und trete vor, ich greife nach ihm und will ihn wegziehen. Aber Ash hält mich auf. Die Ratte starrt mich mit ihren bösen, geröteten Augen an. Grinst. Ein Faden Spucke hängt aus unerfindlichen Gründen von seinen merkwürdig vollen Lippen. Er fragt, "Was willst du, " und sagt ein Schimpfwort, dass mir wie ein Zementblock ins Gesicht fliegt, das so schrecklich gut passt und deswegen tut es so schrecklich weh.
Die Ratte dreht sich um und verschwindet. Ich werde von den Mädchen böse angesehen.
"Wenn du ihn verschreckst, kannst du uns einen neuen Dealer suchen", sagt Ash und geht an mir vorbei. Ich will Lee festhalten und mich entschuldigen, aber sie schüttelt nur den Kopf.

-

Oh ich bin betrunken. Zu betrunken. Lee und ihre Freunde schleppen mich von einem Lokal ins nächste, sie geben mir ein Getränk nach dem anderen aus. Ein bisschen wirkt es, als wollten sie mich so betrunken haben, so wehrlos und komplett verdreht. Ich verschwinde auf die Toilette, als ich herauskomme stehen auf einmal Lee und Ash vor mir und ziehen mich zu einem abgelegeneren Tisch. Einer ihrer Freunde sitzt dort, er macht was Lee damals bei mir zuhause getan hat.

So viel weißes Pulver.

"Ich kokse nicht", bringe ich mühsam hervor. Ash drückt mich auf die Sitzbank.

"Das ist kein Kokain, mein Schatz.", gurrt sie. Ihre Brust drückt sich gegen meinen Rücken. Der Freund lächelt mich an. Er hat ein schönes Lächeln.

Ich weiß nicht was ich tue.

Ich bin nicht mehr ich selbst.

Aber was auch immer ich geschnupft habe.

Es fühlt sich gut an.


Regen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt