Kapitel 1

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Erleichtert ließ ich mich rückwärts auf meine weichen Kissen fallen und zog meinen Laptop auf meinen Schoß, um die eben formulierte Hausarbeit ein letztes Mal zu überfliegen.

Obwohl ich jegliche Arbeit nun bereits tagelang vor mir her geschoben hatte und die Hausarbeit morgen fällig war, hatte ich es irgendwie genossen, die halbe Nacht auf zu bleiben, um ein paar belanglose Seiten über Adorno und sein Mitwirken in der Musikpädagogik nieder zu schreiben.

Zwar genoss ich es sonst immer, wenn ich etwas Ablenkung von meinen wirren Gedankengängen und Erinnerungen bekam, doch diese Woche war mir eben mehr danach gewesen, nichts zu tun und die meiste Zeit auf meinem Zimmer zu verbringen. Immerhin hatte ich mehr oder weniger Gesellschaft gehabt.

Cleo mochte nicht meine beste Freundin sein und hätte ich mir meine Mitbewohnerin aussuchen können, wäre sie nicht mal ansatzweise in die engere Auswahl gekommen, doch mit der Zeit hatten wir uns miteinander arrangieren können und es war nicht mehr allzu schlimm, alleine mit ihr in einem Raum zu verweilen.

Abgesehen davon verbrachte Cleo die meiste Zeit mit ihren Freundinnen irgendwo auf dem Campus und kam erst spät abends zurück aufs Zimmer, wo sie innerhalb weniger Minuten laut schnarchend einschlief.

Für andere mochte es etwas merkwürdig klingen, doch das ohrenzerreißende Grunzen, das Cleo Nacht für Nacht von sich gab, beruhigte mich mittlerweile. Trotz der anfänglichen Probleme, die sie mir dadurch beim Einschlafen beschert hatte, wusste ich ihr Schnarchen inzwischen als ein Zeichen dafür, dass ich nicht alleine war, zu schätzen.

Die Angst davor, nachts alleine zu sein, spät abends im Dunkeln über den Campus zu geistern oder auch nur von einem fremden Mann angesprochen zu werden, hatte sich auch ein Jahr nach dem Vorfall nicht wirklich gelegt.

Mir war bewusst, dass die Tatsache, dass ich beinahe psychotisch an dem Geschnarche meiner Mitbewohnerin hing, nur um sicherzugehen, dass nachts jemand bei mir war, keinesfalls zu einem Fortschritt beitragen würde. Doch solange ich mich noch in meiner kuschligen, gewohnten Komfortzone bewegen konnte, würde ich einen Teufel tun und diese verlassen.

Mit einem Blick aus dem Fenster, durch dessen halbgeöffnete Vorhänge bereits die ersten Lichtstrahlen ins Zimmer schimmerten, stellte ich fest, dass die Sonne aufgegangen war und es nicht mehr viel bringen würde, noch etwas zu schlafen.

Ich gähnte und speicherte ich die Hausarbeit erneut, zog sie anschließend in eine E-Mail, um sie an Dr. Maverick zu schicken und klappte den Laptop zu. Cleo, die sich augenscheinlich noch immer im Tiefschlaf befand, ließ ich guten Gewissens weiterschlafen.

Sobald ich das Licht in unserem einer Besenkammer ähnelnden Badezimmers anschaltete und mich im Spiegel über dem Waschbecken erblickte, verzog ich das Gesicht. Meine Haare, die ich mir während meines Nervenzusammenbruchs abrasiert hatte, waren mittlerweile wieder kinnlang und standen wirr von meinem Kopf ab.

Eigentlich sollte ich mich glücklich schätzen, wieder etwas wie eine Frau auszusehen, war ich doch so unglücklich gewesen, als mich jeder für einen kleinen Jungen gehalten hatte, nachdem ich mich meiner langen braunen Haare entledigt hatte.

Nun bescherte mir der Blick in den Spiegel mehr oder weniger die Erkenntnis, dass ich nach solch einer langen Zeit noch immer nicht über meine schreckliche Erfahrung hinweg gekommen und noch immer kein Gras darüber gewachsen war.

Lustlos strich ich meine abstehenden Haare glatt und fuhr einige Male mit einer Bürste durch sie hindurch, damit ich zumindest einigermaßen annehmbar aussah. Nachdem ich mir mit kaltem Wasser das Gesicht gewaschen und einen letzten unzufriedenen Blick in den Spiegel geworfen hatte, trottete ich auf meinen Kleiderschrank zu und öffnete ihn.

Soul WandererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt