Kapitel 4
Sven war wahrscheinlich am schlafen. Ich wollte ihn nicht wecken , da sein Leben schon anstrengend genug ist und er sich ruhig eine Pause gönnen soll. Meine Tasche ist gepackt und ich machte mich langsam auf den Weg zu meiner unbeliebten Schule. Ich habe ein wenig Angst. Wie soll ich Marvin gegenüber reagieren , soll ich ihn einfach ignorieren? Ich mein , er hat mich stundenlang auf ihn warten lassen. Bei dem Gedanken hatte ich wieder Tränen in den Augen. Kurz vor der Schule , ging ich in eine kleine Einbiegung um mir meine Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Wieso fange ich an zu weinen? Ich hatte nie etwas mit ihm zu tun , doch hab trotzdem mein Leben gelebt. Wieso kann ich das jetzt nicht mehr , ohne zu weinen? Egal , vielleicht hat er es einfach vergessen oder es ist ihm etwas dazwischen gekommen. Im Klassenraum war eine unangenehme Stille. Deutsch , na toll. Die Lehrerin sitzt ziemlich angespannt an ihrem Pult und liest ein Gedicht vor. Ich konnte das erste mal nicht zuhören , weil ich mit meinen Gedanken ganz woanders war. Die Stunde ging schnell rum. Zu schnell. Ich bekam nichts mit und das hilft mir nicht gerade bei meinem Abi. Ich brauche jede Information aus dem Unterricht. Ich lerne nicht viel zuhause , ich versuche alles in der Schulstunde mitzubekommen und zu behalten. In der 2. und 3. Stunde hatte ich Biologie. In der 4. dann Mathe. Ich setzte mich einfach normal auf meinem Platz und versuchte mir nicht anmerken zu lassen , wie enttäuscht ich eigentlich war. Er kam in den Raum. Mein Blick wand' sich nicht von ihm ab. Anscheinend merkten das die anderen Schüler , denn sie fingen an , leise zu nuscheln. Ich bekam trotzdem jedes Wort mit. -" Die kleine steht auf ihn?" - " Haha , das kann ja lustig werden!" - Das bekam Marvin auch mit und schaute zu mir. Unsere Blicke trafen sich und er bemerkt mein kaltes Gesicht. Schnell schaut er wieder runter zu seinen Heften. Auch ich wendete mich zur Tafel , um wenigstens etwas mitzubekommen. Nach Mathe hatte ich Schluss. Ich wusste nicht wie Marvin reagieren würde , deshalb entschied ich mich dazu , einfach schnell die Schule zu verlassen und nach hause zu laufen. Kurz nachdem ich aus dem Klassenraum gerannt bin , drehte ich mich kurz um. Ich wollte gucken , ob er sich wenigstens dafür interessierte , dass ich einfach gegangen bin. Tatsächlich , er stand vor der Tür und schaute mir nach. Ich hab' mich ziemlich gefreut , aber zugleich wurde ich traurig. Nicht wieder diese Depressionen. Ganz Plötzlich. Ich bin nun zuhause an meinem Küchentisch. An dem Küchentisch , an dem ich stundenlang auf Marvin gewartet habe. Mein Bruder war immernoch in seinem Zimmer. Das fiel mir erst später auf und ich rannte hoch. Mein Herz klopfte so schnell , wie niemals zuvor. Er lag dort. Verschwitzt , regungslos und sein Blick fiel auf mich. Meine Augen , weit offen. Ich atmete tief ein und versuchte stark zu sein. Für meinen Bruder. ,,Kopfschmerzen , Übelkeit , Bewusstseinsstörung." murmelte Sven vor sich rum. Ich rief einen Arzt. Wieso brauchen Ärzte eigentlich immer so lange ? Ich meine , in der Zeit könnte sonst was passieren. Nach gefühlten Stunden , aber eigentlich nur 10 Minuten kam ein Arzt an. Er lief in die zweite Etage , in Sven's Zimmer. Der Arzt murmelte andauernd irgendwelche Wörter vor sich rum , die ich unmöglich entziffern konnte. Er rief nach ein paar Minuten einen Krankenwagen und klärte mich auf. ,, Die Anzeichen ihres Bruder's weisen auf einen Hirntumor. Wir werden im Krankenhaus einen PET-Scan durchführen und sie dann mit unseren Ergebnissen konfrontieren. Sie können mitkommen , oder wir rufen sie nach dem Test an." Mein Herz steht still. ,, Ich komme mit." sagte ich außer Atem. Der Arzt fasste meine Schulter an. Ich glaube damit wollte er sagen , dass alles wieder gut werden wird. Knapp 3 Stunden saß ich im Krankenhaus und malte mir die schlimmsten Vorstellungen aus. Das Wartezimmer war voll , schon fast überfüllt. In jeder Ecke saßen Eltern und Kinder. Einige waren am weinen , andere waren glücklich. Ich saß emotionslos auf einem Stuhl neben einem kleinen Kind. Sie schaute mich mehrmals zu mir und ich lächelte sie an. Was sollte ich auch anderes machen? Vor einem kleinen Kind in Tränen auszubrechen ist keine gute Idee. "Morris" sagte eine weibliche , etwas gekränkte Stimme , aus dem Lautsprecher über der Tür. Eine junge Frau brachte mich in ein Büro. -Dr. Valdim.-. Ich klopfte an und öffnete die Tür. Der schon etwas ältere Mann blickte von seinen Akten hoch und warf ihn auf einen der Stühle vor sich. Ich sollte mich also setzen. Er fing an zu reden.. ,,Frau Morris , ihr Bruder leidet anscheinend schon seit einer längeren Zeit an akuten Kopfschmerzen. Sie wollen bestimmt die Ergebnisse des Scan's erfahren. Ihr Bruder besitzt keinen bösartigen Tumor , trotzdem möchten wir ihn die nächsten Tage noch hier behalten. Wir werden ihn etwas gründlicher untersuchen , damit wir auch alle wichtigen Infomationen bekommen." Gott sei dank. Kein Krebs. Ich konnte meine Freudentränen nicht zurückhalten. ,, Ja , ok. Kann ich zu ihm?" fragte ich leicht lachend. ,, Die Schwester zeigt ihnen das Zimmer." sagte er wieder etwas ernster. Ich war aufgeregt. ich hatte meinen Bruder jetzt schon vermisst , obwohl er gar nicht weg war. Ich bin so glücklich , nicht alleine zu sein. Ihn in ein paar Tagen wieder bei mir zu haben und ihn zu umarmen und ihn zu lieben. "Kein Krebs!" Dachte ich mir immer wieder auf dem Weg zu seinem Zimmer. Die Schwester brachte mich zu seiner Tür , drehte sich sofort danach aber wieder um und ging , ohne ein Wort zu sagen. Ich öffnete voller Vorfreude die Tür. ,,Sven! Was machst du denn immer? Geht es dir schon besser?" fragte ich ihn mit voller Motivation und schloss die Tür. Als ich mich umdrehte lachte er mich kurz an , er freute sich anscheinend mich zu sehen , machte kurz die Augen zu und lehnte seinen Kopf nach hinten. Er atmete leicht aus und ich sah wie ein Blutstrich aus seinem Mund lief. Ich bekam Panik. Ich drückte sofort den Knopf , damit eine Schwester kommt. Ich nahm seinen Kopf und legte ihn ein wenig höher. Zwischendurch lachte er wieder und meinte ,,Es wird alles gut." Ich musste meine Tränen unterdrücken. Ihn so zu sehen schmerzte in meinem ganzen Körper. Bis die Schwestern endlich mal einen Arzt in das Zimmer brachten , saß ich an seinem Bett und beobachtete , wie er schlief. Eher gesagt wie er leidete und versuchte zu schlafen. Dabei lächelte er immer wieder ein wenig. Dann kam der Arzt und ich musste aus seinem Zimmer gehen. Zurück im Wartezimmer konnte ich meine Tränen nicht mehr halten und ich 'brach aus'. Das kleine Mädchen saß immernoch an dem gleichen Platz und meinte leise und etwas traurig zu ihrer Mutter:,, Mama? SIe weint ja jetzt? Was ist passiert?" Ihre Mutter schaute sie nur an und schüttelte leicht den Kopf und hielt ihren Finger vor ihre Lippen. Dann sah sie mich an und atmete einmal tief aus. Was genau sie mir damit sagen wollte war mir nicht klar. Mir war klar , dass ich bald alleine sein werde , wenn die Ärzte nicht schnell etwas finden um meinen Bruder zu helfen. Stundenlang saß ich nur rum und wartete. Das Wartezimmer wurde leer. Auch das kleine Mädchen mit ihrer Mutter war schon länger weg. Als ich dort so einsam im Wartezimmer saß und die Schwestern rumlaufen sah , wurde mir klar , dass es nicht gut ausgehen wird. Meine Tränen liefen inzwischen wieder und mein Kopf schmerzte. Plötzlich hörte ich eine männliche Stimme:,, Sehr schlimm?" Da war er wieder. Der Junge. Der vom Friedhof. Ich habe das Gefühl ich treffe ihn immer , wenn ich weine Immer genau dann , wenn ich mit den Nerven am Ende bin. Ich schaute hoch und nickte. Er setzte sich neben mich und gab mir ein Taschentuch , welches ich dankend annahm. Eine Ewigkeit saßen wir beide alleine im Wartezimmer. Nach einiger Zeit schmerzte mein Kopf so sehr , dass ich ihn an seine Schulter legte. Ich kannte den Jungen nicht. Überhaupt nicht , doch trotzdem kam es mir vor als wäre er eine sehr vertraute Person. Naja , ich sah ihn ja auch eigentlich jeden zweiten Tag. Da waren wir nun stundenlang in diesem Zimmer. Keine Geräusche. ,, Tut mir leid , aber ich muss los." meinte er. Das machte mich komischer Weise ziemlich traurig , doch ich nickte nur und sagte ,, Okay." Laut meines Handy's haben wir jetzt 2:39 Uhr. Der Arzt entschied sich endlich dazu , mir zu sagen was los ist. Er meinte , dass es Sven etwas besser geht. Ich solle nach Hause gehen und mich hinlegen. Auf dem Weg nach Hause hatte ich das Gefühl , dass meine Tränen einfrieren. Mir war kalt und ich war nie trauriger als heute. In meinem Bett schlief ich sofort ein.
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Der Hauch einer Hoffnung
Historical FictionMarie ist 17. Ihr Vater verließ die Familie , als sie zwei war. Ihre Mutter starb vor einiger Zeit an Krebs und nun bleiben nur noch sie und ihr Bruder übrig. Beide haben nicht viel Kontakt zu anderen Menschen und kommen einigermaßen gut damit klar...