Irgendwo zwischen weg von und hin zu

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Wenn wir uns einer Situation gegenüber wiederfinden, die wir nicht einschätzen können und die uns völlig hilflos macht, haben wir den menschlichen Drang davor zu fliehen. Es ist wie bei Pferden die, sobald sie Gefahr wittern, die Flucht ergreifen, da sie einen natürlichen Selbstschutz entwickelt haben und sie in solchen Situationen bloß daran denken, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Dies ist eine völlig natürliche lebensgegebene Eigenschaft, die sie häufig vor dem sicheren Tod rettet.

Und wenn man es mal völlig rational betrachtet, ist die Theorie dahinter auch vollkommen logisch. Wir fliehen vor der Gefahr, hin zu unserer sehnlichst erwünschten Sicherheit.

Doch was passiert, wenn die Gefahr von uns selber ausgeht? Wenn wir das sehnliche Bedürfnis verspüren vor uns selbst davon zu rennen. Wie funktioniert in so einer Situation noch irgendeine Intuition die uns zum Selbstschutz rät?

Wenn der Moment kommt, in dem ich es nicht mehr aushalte, in dem sich meine Lungen einfach nicht mit Sauerstoff füllen wollen, fange ich an zu rennen. Rennen ist in solchen Situation dass, was einer Besserung der Umstände am nächsten kommt und oft das Einzige was einem am durchdrehen hindert. Man beschäftigt den Körper was mit Anstrengung verbunden ist, welche die eigene psychische Aufmerksamkeit aufteilt, wodurch man nicht mehr allzu viele Gedanken zur Verfügung hat, die man darauf richten könnte, dass man kurz davor steht aufgrund des Sauerstoffmangels ohnmächtig zu werden. Man umgeht also in gewisser Weise das eigene Bewusstsein und erzielt damit das Prinzip der geteilten Aufmerksamkeit wodurch die einzelnen Schäden minimiert werden.

Man erklärt sich in eben jenem Moment den Krieg, einen Krieg den man nie gewinnt, weil man ihn immer auch verlieren wird. Doch wie schafft man es aus diesem Teufelskreis wieder auszubrechen?

Wenn wir fliehen ist unsere Intention klar dadurch definiert, dass wir einer Besserung der Umstände entgegen streben. Soll heißen, wenn wir vor etwas davon laufen, steuern wir gleichzeitig auch auf etwas zu. Wir befinden uns in diesem kleinen, kaum definierbaren Zwischenraum zwischen weg von und hin zu. Welcher Punkt dabei den höheren Stellenwert hat, ist schwer zu sagen. Geht es in erster Linie darum, einfach weg zu kommen, oder doch darum, dass wir an einem Ziel landen, bei dem die Umstände besser sind, als jene vor denen wir flohen?

Mit dem Drang vor etwas zu fliehen ist immer eine große Hoffnung verbunden, und ein gewisser naiver Glaube daran, dass es woanders nur besser sein kann.

Doch wenn die größte Gefahr von unserem eigenen Bewusstsein ausgeht, vor was genau fliehen wir dann und was ist unser Ziel? Was genau versprechen wir uns von unserer Flucht vor dem eigenen Selbst?

Und während ich renne, weiß ich, dass ich keinen Schritt weiter komme. Kein Schritt den ich tue wird mich jemals von mir selbst entfernen können. Doch, ist das wirklich was Schlechtes?

Über Freunde sagt man doch, dass nur die, die mit dir durch alle Höhen und Tiefen gehen, die sind, die wirklich zählen und auf die man sich verlassen kann. Doch wie können wir von Leuten verlangen, dass sie für uns da sein sollen, wenn wir das nicht mal selber schaffen? Wir können nicht immer darauf hoffen vom Prinzen gerettet zu werden, oftmals müssen wir das Schwert einfach selbst in die Hand nehmen und dann mit Vorsicht entscheiden, gegen wen wir es richten. Wir dürfen niemals zulassen, dass wir zu unserem Feind werden, denn in diesem Moment, haben wir den Kampf verloren und kapitulieren vor unserem eigenen Leben. Dann heißt es nicht mehr, weg von oder hin zu, sondern dann beginnen wir still und leise zu verschwinden. Wir beginnen uns selbst aus unserem Leben zu drängen, da wir einfach nicht mehr die Kraft haben uns an dieses zu klammern.

Alles was wir uns dann noch wünschen, ist eine rettende Hand die uns entgegengestreckt wird, keine die uns rausholt aus all dem, bloß eine, an die wir uns klammern können, in Momenten in denen wir denken das uns nichts mehr hält.

Denn selbst dann geht es noch nicht darum vor irgendwas zu fliehen oder auf etwas zuzusteuern, es geht einzig und allein darum zu bleiben. Uns mit aller Kraft an etwas zu klammern und uns klar zu machen, dass wir noch am Leben sind und das das nicht selbstverständlich ist.

Eine Sache musste ich auf die harte Tour lernen und schaff es dennoch bis heute nicht, diese auch immer umzusetzen. Stärke bedeutet nicht, dass man durch alles allein durch muss. Vielmehr bedeutet es im richtigen Moment um Hilfe zu bitten.

Doch in unserer Gesellschaft werden wir zu oft darauf getrimmt, alles alleine zu machen, unsere Kämpfe für uns im Stillen auszutragen, damit wir ja niemand anderen damit belästigen.

In gewisser Weise sind wir Pferden sehr ähnlich. Wir leben in Herden zusammen, doch sobald uns Gefahr droht, schaut jeder nur noch nach sich selbst. Wir sind selten allein, aber dennoch ziemlich oft einsam.

Doch warum geht es immer nur um dass, was uns unterscheidet, anstatt darum, was gleich ist? Zu oft geht es um all die Dinge die uns trennen und nicht um das, was uns verbindet.

So oft ist das Einzige was wir uns wünschen, dass einfach Jemand da ist, jemand er uns am fallen, am verschwinden hindert. Jemand der uns hält und dafür sorgt, dass wir bleiben. Denn erst wenn das gegeben ist, können wir Neuem zustreben, weg von dem, was uns mit sich runter reißen will und hin zu dem, dass wir merken wie toll es ist einfach mal gerne zu leben.

Denn es geht nicht um das, weg von, sondern um das, hin zu. Es geht nicht darum, woher wir kommen, sondern dass wir daran glauben es zu unserem Ziel zu schaffen. Und manchmal geht es einfach nur ums bleiben. Dann halten wir kurz inne und spüren auf unser Herz, das ungeachtet unserer Existenzkrise, einfach weiter schlägt.

Normal ist das nicht, oder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt