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Es war ein kalter, dunkler, Morgen. Nicht ein Sonnenstrahl erreichte die vergitterten Fenster der führenden Irrenanstalt von London. In der Nacht hatte es geregnet. Viel geregnet. Genau wie in den letzten Nächten zuvor. Wenn man genauer hinschaute, erkannte man noch vereinzelte Tropfen die an den Grashälmen der Ländereien, hingen geblieben waren. Wenn man überhaupt etwas erkennen konnte. Schließlich ließen die grauen Wolken nur wenig Licht zu. An solchen Tagen hatte man das Gefühl das Wetter würde die eigenen Emotionen widerspiegeln. Dunkel, kalt und kein Hoffnungsschimmer. So ging es hier den meisten.

Um Punkt 8:00 Uhr früh, ertönte die Sirene. Gefolgt von der selben harschen Stimme, die jeden Morgen zum Frühstück aufrief. "Guten Morgen.", ließ diese verlauten. "Am heutigen Tage gibt es eine kleine Besonderheit. Wie , mittlerweile, allgemein bekannt ist hat uns Mr. Fley verlassen. Leider ist auch das Gerücht hervorgekommen, dass Mr. Fley durch eine Überdosis gestorben ist. Ich kann diese Vorwürfe nur zurück weisen und an ihre Menschlichkeit appellieren. Gebieten wir den Toten den Respekt den sie verdient haben. Nun steht natürlich an erster Stelle die Frage wer die Vertretung übernimmt. Mit Freuden kann ich verkünden, dass bereits eine Ersatzperson gefunden wurde. Ihr Name lautet Clara Jones. Ab sofort wird sie ihren Dienst antreten und die Hälfte von Mr. Fley's Patienten übernehmen. Ob Sie zu dem Personenkreis gehören, wird ihnen gleich persönlich mitgeteilt. Nun wünsche ich Ihnen einen guten Appetit." Ich hörte wie die Zelle meines Nachbars aufgeschlossen wurde. "Guten Morgen. Heute gibt es Haferschleim. Guten Appetit." Kurz darauf hörte ich das zufallen der schweren Eisentür. Die Wärter wahren nie sehr gesprächig und rasselten ihren Text mehr hinunter als das sie ihn wirklich so meinten. Ich vernahm das Klimpern eines Schlüssbundes und kurz darauf wie jemand meine Tür aufschloß. "Guten Morgen. Heute gibt es Haferschleim und ein Schreiben welches sie unterzeichnen sollen. Guten Appetit." Er reichte mir ein Tablet worauf sich ein Teller Haferschleim und ein Brief befanden. "Dank...", wollte ich sagen doch da viel die schwere Tür schon wieder in ihr Schloß. Ich stellte das Tablet auf den kleinen Tisch, der unter dem Fenster stand, setzte mich auf den Stuhl und machte den Brief auf.

Sehr geehrter Mr. Mace,

mit großem Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass Ihr gegenwärtiger Psychater, Dr. Tobias Fley, vor kurzem verstorben ist. An seine Stelle wird Dr. Clara Jones treten und Sie als Patienten übernehmen. Ab heute werden Ihre Sitzungen wieder aufgenommen. Halten Sie sich bitte um 15:00 Uhr bereit in das alte Büro von Mr. Fley gebracht zu werden.

Mit Grüßen
Dr. Jo'an Watson
Leiterin der Psychatrie: W. H. P.

Langsam legte ich den Brief wieder auf das Tablet.
//Komisch//, dachte ich. //Ich hätte nicht damit gerechnet mich, in die Hände einer Anfängerin zu geben. Das muss einen Grund haben.//, grübelte ich weiter. Ich aß meinen Haferschleim, der nebenbei grässlich schmeckte, und las dabei mein neues Buch, um das ich gebeten hatte. "Im Wandel der Zeit" ein Bestellerroman meines Lieblings Autors, Richard Castle. Ich began zulesen:

"Langsam umschloss meine Hand den Abzug der Waffe. Sollte ich abdrücken? Und meinen besten Freund töten? Ich könnte nicht damit leben. Aber es kann auch nicht mehr so werden wie es mal war."

Das lesen hatte ich schon immer gemocht. Die Vorstellung alles zu erschaffen was man sich nur erträumen könnte, faszinierte mich.

"... Als ich ihr Lächeln sah umschloss mich eine Wolke aus Trauer. Unsere ganze Liebe basierte auf einem Mord. Einer Lüge. Einer Tat. Einem schrecklichen Vergehen das mit nichts auf der Welt wieder gutzumachen wäre. Ich hatte sie nicht verdient."

Gerade beendete ich das zwölfte Kapitel, als es an der Tür klopfte. //Warum klopft es?//, fragte ich mich selbst. Die Wärter schließen schließlich einfach auf, ohne vorher anzuklopfen. Mein Blick viel auf die weiße Uhr, welche über meinen Schreibtisch hing. Sie zeigte genau 15:00 Uhr. //Sieh einer an. So schnell vergeht die Zeit mit einem guten Buch.//, dachte ich. //Dann muss der geheimnisvolle Klopfer wohl Dr. Jones sein.// "Herein?", fragte ich. Die Tür war schließlich verschlossen. Ich hörte wieder wie ein schwerer Schlüssel klimperte als die Tür aufgeschlossen wurde. Eine junge Frau, in einem Arztkittel trat ein. In ihrer Hand hatte sie ein Klemmbrett. Sie war etwa 1,60 m. groß, hatte lange braune Haare die ihr über ihre Schultern fielen,
braune aufgeweckte Augen, und ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen. "Guten Tag Mr. Mace. Mein Name ist Dr. Clara Jones. Ich übernehme Ihre Behandlung anstelle von Dr. Fley.", sagte sie mit einer engelsgleichen Stimme. Ich stand auf und ging auf sie zu. "Es ist mir eine Freude ihre Bekanntschaft zumachen, Dr. Jones.", sagte ich und reichte ihr, zur Begrüßung, meine Hand. Sie ergriff diese und schüttelte sie. Dabei musterte sie mich. "Lassen sie mich raten. Sie fragen sich sicherlich was so ein charmanter, junger Mann in einer Einrichtung wie der W. H. P. zusuchen hat. Die Antwort ist ganz leicht.
Finden sie es raus.", sagte ich lächelnd. Ich vertraute ihr nicht. Zumindest noch nicht. Das konnte weder ihr Aussehen, noch ihre Stimme ändern. Ich war im Begriff meine privatesten Geschichten mit einer Person zuteilen, die ich nicht mals kannte.
"Eins möchte ich direkt am Anfang klarstellen.", sagte sie ruhig, immernoch lächelnt. "An der Nase herum rumführen können sie mich nicht. Egal wie sehr sie es versuchen. Ich bin hier um ihnen zuhelfen und nicht um ihre Gefühle zu verletzen." Es schien so als hätte für einen kurzen Moment etwas wie Mitleid in ihren Augen gelegen. Doch ich konnte mich auch irren. "Nun folgen sie mir bitte in mein Büro.", fügte sie hinzu. Kein Anzeichen von Emotionen in ihren Gesicht. Nur ihr Lächeln behielt sie. Ein schönes Lächeln. Der Wärter mit dem Schlüssel trat ein als sie dies sagte und kam mit Handschellen auf mich zu. Gelassen streckte ich ihm meine Hände entgegen. Dr. Jones sah mich ein wenig verwirrt an.
"Sind die Handschellen wirklich nötig?", fragte sie den Wärter. "Ja Ma'am. Das ist Sicherheitsstandart bei Patienten der Stufe 5." "Stufe 5?",fragte sie, etwas entsetzt. "Meine Güte. Was haben sie denn verbrochen?", fügte sie dann scherzhaft hinzu. Doch ich konnte darüber nicht lachen. Nicht weil ich mich schämte. Oder gar schuldig für meine Tat fühlte. Nein. Es gehörte sich einfach nicht. Clara hatte wohl gemerkt das ihr Scherz nicht so gut ankam und ging in Richtung Tür. "Nun denn. Folgen sie mir bitte.", sagte sie mit einer Armbewegung Richtung Flur und ging aus meinen Zimmer. Ich folgte ihr. Genauso wie der Wärter. "Sie brauchen mich nicht zu begleiten. Ich denke hier wird mir schon nichts passieren.", meinte ich leicht amüsiert. Der Wärter hingegen ging weiterhin lautlos hinter mir her. "Ich kenne noch nichtmals ihren Namen.", fügte ich hinzu. "Ich meine seid 2 Jahren schließen sie mir die Tür vor der Nase zu und ich weiß nicht mal wie ich sie nennen soll." Ich wusste nicht warum ich anfing mit ihm zureden. Es war schließlich kein Geheimnis das es den Wärter außerhalb der Zellen verboten war, mit den Patienten zu reden. "Ich heiße Tom.", kam die kurze aber dennoch unerwartete Antwort. Ein wenig musste ich grinsen. //Geschaft!//, dachte ich triumphierend. Auch wenn ich den Grund für meine Frage nicht kannte. Ich denke ich wollte Clara damit beeindrucken wie leicht es für mich war Menschen zu manipulieren. Diese schritt einige Meter vor mir in Richtung der Büros. Entweder sie kannte die Regeln noch nicht komplett, oder sie ließ sich nichts anmerken. Ich musste zugeben das ich etwas enttäuscht war. Wenigstens mit einer Ermahnung hatte ich gerechnet. Stattdessen gingen wir, stillschweigend, den steril, weißen Gang entlang. Links und Rechts Eisentüren. Ich wusste nicht wer hinter ihnen war. Ob überhaupt jemand hinter ihnen war.

Nachdem wir in einen weitaus freundlicheren Bereich der W. H. P. gelangt waren, bat mich Clara in das alte Büro von Dr. Fley. Sie selbst setzte sich an ihren Schreibtisch worauf ein Foto von ihr, als kleines Kind, stand. //Auch da hatte sie schon dieses Lächeln.// Ich bemerkte wie Clara mich auffordernd ansah. "Ich denke die Formalitäten können wir uns sparen.", fing ich an zureden. "Da stimme ich Ihnen zu.", erwiederte sie. "Dann können wir nun ja auf sie selbst zurückkommen. Sie erwähnten dass sie nicht offen mit mir sprechen wollen. Ich respektiere das. Aber würde es begrüßen wenn sie ihre Meinung ändern könnten." "Wie ich schon sagte. Ich rede nicht mit jemanden den ich nicht kenne über meine Gefühle und so ein Quatsch.", fing ich an zu erklären. "Also empfinden sie Emotionen als Quatsch?", hakte sie nach. //Die typischen Psychater Fragen.// "Nein. Emotionen können auch nützlich sein. Angst, beispielsweise, hält uns meist davon ab etwas gefährliches zu unternehmen." "Sie reduzieren Ihre Aussagen also aus schließlich auf die negativen Emotionen?", unterbrach sie mich. "Diese Diskussion habe ich schon einmal geführt. Und glauben sie mir, sie hat länger als eine Sitzung gedauert. Wollen sie ihre kostbare Zeit wirklich mit solch einer Disskusion verschwenden?", fragte ich sie daraufhin. //Noch einmal alles durchkauen?//, fragte ich mich selbst. Im klarem darüber das ich die Disskusion gegen Dr. Fley gewonnen hatte. "Nun ich richte mich da nach ihnen. Allerdings würde ich davor noch gerne zu einem Thema kommen, welches hier in ihrer Akte vermerkt ist. Als sie 14 Jahre alt waren, starben ihre Eltern bei einem Flugzeugunfall. Ihr 6 Jahre älterer Bruder nach 1 Jahr dann an einem Selbstmord. Das sind ziemlich traumatische Erlebnisse. Und dann noch in der Kindheit. Denken sie das könnte zu einem Trauma geführt haben? Eventuell Verlustängste? Ist dies der Grund warum sie sich niemanden öffnen wollen. Ist es, weil sie Angst haben diese Person wieder zu verlieren?", fragte sie mich und hielt ihren grauen Kugelschreiber bereit. Ich musste ein wenig schmunzeln. "Sie sind gut.", bemerkte ich. "Besser als die zwei Doktoren vor ihnen. Doch glauben sie mir. Ich bin über meine Familie hinweg. Ich sehe es sogar als tiefgründige Erfahrung an. An welcher ich wachsen kann, beziehungsweise schon gewachsen bin. Wissen Sie was die Kernbotschaft dieser Erfahrung ist? Ich verate es ihnen. Niemals aufgeben. Ich habe es damals nicht getan und werde es auch heute nicht tun. Wobei man bei diesem Haferschleim ernsthaft in Erwägung ziehen sollte, sie zu verklagen.", fügte ich dann lächelnd hinzu. Clara strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und fing dann an etwas auf ihrem Klemmbrett zu notieren. "Das klingt interessant.", urteilte sie. "Unter anderem eine der originellsten Reden, von jemanden der alles verloren hat." "Ich glaube sie haben mich nicht ganz verstanden.", warf ich ein. "Ich habe nichts verloren. Sowohl damals als auch heute nicht. Auch wenn ich hier eingesperrt bin." "Sie fühlen sich also gefangen?", kam sofort die Frage von ihr. "Ich liebe solche Gespräche.", murmelte ich mehr zu mir selbst. Danach sagte ich ihr: "Nun. Ich möchte ihre Frage nicht mit einer Gegenfrage beantworten müssen, aber ich glaube ich komme nicht drumherum. Wir würden sie sich fühlen, wenn sie diesem Ort nicht mehr entfliehen könnten? Nicht mehr ihre Familie besuchen können. Ihre Freunde.
Wenn die Aussicht auf ein Fleckchen Außenwelt, der Blick aus ihrem vergitterten Fenster ist? Ich sehe mich nicht als Gefangenen. Sondern eher als unfreiwilligen Besucher. Aber das ändert nicht viel. Finden sie nicht?" Während ich gesprochen hatte, bildeten sich Denkfalten auf ihrer Stirn. Sie überlegte einen Moment lang bevor sie antwortete: "Ich kann nachvollziehen wie sie sich fühlen. Aber sie müssen auch einsehen das es ihre eigene Schuld ist hier gelandet zu sein." //Nachvollziehen wie ich mich fühle? Nein Dr. Das können sie nicht// "Nun möchte ich etwas klarstellen. Sie können sich zu keiner Zeit darüber im klarem sein wie ich mich fühle. Zu keiner.
Sie wissen nicht was ich durchgemacht habe. Oder weshalb ich überhaupt hier bin. In meiner Akte steht das dass Gericht mich aufgrund von starken Panik Attacken, für unzurechnungsfähig erklärt hat. Aber meine genaueren Motive, oder gar die Tat selbst liegen Dank meiner guten Kontakte, gut verschlossen hinter Schloß und Riegel. Verzeihen sie mir bitte das Wortspiel." Clara saß nur da und schaute mir in die Augen. Und ich in ihre. In ihre schönen braunen Augen. //Ok Stopp!//, ermahnte ich mich selbst. //Das muss aufhören. Nachher werde ich noch unvorsichtig wegen solchen Strapazen.//
"Es tut mir leid.", sagte sie ruhig aber dennoch bestimmt. "Was tut ihnen leid?", fragte ich darauf.
"All das was einem so verschlossenen Charakter wie ihnen widerfahren sein muss, tut mir leid." Ich wusste nicht genau wie ich darauf reagieren sollte. Sie wusste gar nichts. "Glauben sie mir Dr. Jones, es gibt nichts wofür man sich entschuldigen könnte." "Bitte. Nennen Sie mich Clara."

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