23 Uhr. Mit müden Augen ließ ich mich wie ein Stein ins Bett fallen. Die kleine Lampe neben mir auf dem Nachtkästchen ließ meinen Kopf pulsieren und ich drehte mich mit schmerzverzerrtem Gesicht weg.
Was war schon dagegen einzuwenden, einmal früher als sonst schlafen zu gehen? Mein Körper benötigte die Ruhe jedenfalls dringend und machte auch keinen Hehl daraus, es mich spüren zu lassen. Ich schaltete das Licht aus und wickelte mich erschöpft in meine Decke ein. Das Pochen in meinem Kopf wurde gleichmäßiger, wie ein Rhythmus. Sekunden später schlief ich ein.
Am nächsten Morgen, auf dem Weg in die Schule, lief mir Laura entgegen. Mit einem strahlenden Lächeln winkte sie mir von Weitem zu. Verunsichert lief ich ihr entgegen. Wortlos grinste sie mich an und nahm meine Hand. Meinen überraschten Blick ignorierte sie einfach.
Im Foyer angekommen, beglückwünschten mich meine Freunde, doch auf die Frage, weshalb jeder sich für mich freute, bekam ich keine Antwort. Laura und ich saßen immernoch händchenhaltend neben meinen Freunden. Was auch immer passiert war, ich fand es toll. Doch plötzlich wurde es still. Alle drehten sich zur Türe.
Ich kam selbstsicher durch den Eingang, während alle Augen auf mir lagen und küsste den Jungen an meiner Seite. Ich, oder besser gesagt, mein zweites Ich. Es stand direkt dort vorn und lief nun auf mich zu. Perplex stand ich auf, doch meine Kopie wurde nicht langsamer. Zielstrebig lief sie mir entgegen, trat mir mit hasserfülltem Blick gegenüber, holte aus, und schlug mir vor all den anderen Schülern mitten ins Gesicht.
Es dauerte einen Augenblick, bis mir bewusst wurde, wo ich mich befand. Kerzengerade saß ich in meinem Bett, meine Stirn war heiß und ich keuchte wie nach einem Marathon. Langsam versuchte ich mich zu sammeln, wischte mir den Schweiß von der Stirn und warf einen vorsichtigen Blick auf die Uhr. Kurz vor sechs. Mir blieb also nur noch eine halbe Stunde, bis mein Wecker klingeln würde.
Hastig drehte ich mich um und versuchte den Traum auszublenden. Doch sobald ich die Augen schloss, sah ich Laura und mein anderes Ich wieder direkt vor mir. Noch nie zuvor hatte ich von einem zweiten Ich geträumt, also wieso gerade in dieser Nacht? Und wieso auch noch in Kombination mit Laura? Meine Gedanken schweiften ab. Der Traum hätte doch so schön weitergehen können. Eins war jedenfalls sicher: An Schlaf war nicht mehr zu denken.
Übermüdet tappte ich in die Küche um mir ein Glas Wasser einzuschenken. Meine Gedanken waren immernoch chaotisch und ungeordnet wie ein riesen Wollknäuel. Nicht einmal nachts konnte mich Laura in Ruhe lassen. Doch wieso wurde ich nun auch noch von einer Kopie meiner selbst angegriffen? Zu viele Fragen und keine einzige Antwort.
Ich wusste selbst, dass es nicht richtig war. Verliebt in ein Mädchen. Aber war ich das überhaupt wirklich? Ich musste einfach nur den richtigen Jungen finden. Bei der Auwahl, die man in unserer Klasse hatte, war es ja auch nicht verwunderlich, dass ich bis jetzt noch nie etwas mit einem der Jungs hatte.
Ich steigere mich einfach viel zu sehr in diese ganze Sache hinein. Hab ich denn nichts besseres zu tun? Am Abend unseres Kusses waren wir einfach beide zu betrunken gewesen. Auf Partys passieren sowieso ständig eigenartige Dinge, die man nicht so ernst nehmen sollte. Und dieser eine Kuss ist noch lange kein Grund, um voreilige Schlüsse zu ziehen.
Leg dich hin und mach die Augen noch für eine Weile zu. Hör einfach auf, darüber nachzudenken. In deinem Alter ist jedes Mädchen etwas bi. Und wie heißt es so schön: Ein bisschen Bi schadet nie!