Kapitel 7

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Für einen kurzen Moment sahen sie sich an, doch für Aphira fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Endlich brach Sylvanas das peinliche Schweigen. „Was haltet ihr von einem kleinen Spaziergang?” Die Frage überraschte sie, da die Banshee normalerweise auf zusätzlichen Kontakt mit anderen Kreaturen verzichtete. Eigentlich tat Aphira immer ihr bestes, die Fürstin mit ihrer Gegenwart nicht zusätzlich zu belasten, jedoch sah sie das als ihre Chance, endlich herauszufinden, was sie mit ihr vor hatte. „Ein Spaziergang könnte nicht schaden.”,antwortete sie also und sie schlenderten los. In Aphira stieg die Nervösität und sie grübelte, wie sie am besten in diese Konversation einstieg. „Ihr habt also eine Schwäche für liebliche Klänge...”, begann Sylvanas und Aphira schüttelte schmunzelnd und gleichzeitig peinlich berührt den Kopf. „Es tut mir leid, doch mein Anliegen war es wirklich nicht, euch nachzuspionieren. Musik hat eine Art magische Anziehungskraft auf mich. So war es früher genauso, wenn mein Großvater auf seiner Ukulele spielte.” Sie beendete den Satz mit einem Lächeln auf den Lippen, während sich der Ausdruck ihrer Augen in leichte Traurigkeit verwandelte. Sylvanas drehte ihren Kopf zu ihr und entdeckte die Trauer in ihren Augen. Vor ihr konnte man beinahe nichts verbergen, so sehr man sich auch bemühte. Sie war durchschauend. „Was ist?”,fragte sie. Aphira zögerte kurz, dann sagte sie mit Tränen in den Augen: „Er starb, als ich noch ein Kind war.” „Das tut mir leid.”, antwortete Sylvanas. Aphira zog die Decke noch näher an sich und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken.

Wieder blitzten alte Erinnerungen von diesem Tag auf. Bilder, die sie am liebsten längst vergessen hätte. Würde sie seinen Tod jemals richtig verarbeiten können? Sie bezweifelte es. Zu präsent war die Erinnerung. Die Erinnerung daran, wie sie langsam auf die Leiche ihres Großvaters zu ging. Wie sie seinen leblosen Körper erblickte. Blass. Farblos. Lieblos. Tot. Tränen bahnten sich einen Weg über ihre Wangen und sie fiel kraftlos vor ihm auf die Knie. Zitternd legte sie eine Hand auf seinen Brustkorb. Nichts. Sie fühlte nichts. Wo sie noch vorher ein Herz schlagen fühlen konnte, wenn sie angeschmiegt an ihm saß, so fühlte sie jetzt Leere. „Nein...”, flüsterte sie. Sie konnte es nicht glauben. Sie wollte es nicht glauben. Sie legte sich neben ihn auf den staubigen Boden und schmiegte sich weinend an ihn. „Bitte komm zurück...”, wimmerte sie. Ihre Hand ruhte weiterhin auf seinem stillen Herzen. Er war fort. Und das so plötzlich. Sie wollte für immer dort liegen bleiben und niemals wieder aufstehen. Er fühlte sich so kalt an. So eiskalt. „Ich liebe dich...”, flüsterte sie.

Rasch wischte sie sich eine Träne vom Auge. Sie wollte verhindern, so von der dunklen Fürstin gesehen zu werden. Sie brauchte jetzt eine Ablenkung. Und ihr fiel prompt etwas ein. „Werdet ihr jetzt endlich Klarheit schaffen?”, begann sie. „Verratet mir, was ihr mit mir vor habt.” „Das sind hohe Töne, die ihr ansetzt.”, bezichtigte Sylvanas. „Aber na gut.” Jetzt war sie gespannt. „Goblins sind auf Azerit Vorkommen gestoßen und die Allianz hat es ebenfalls für sich entdeckt. Es hat eine außergewöhnliche Wirkung, die noch nicht ausreichend erforscht ist. Deswegen werden wir zur brodelnden Küste reisen, um dort Mengen von diesem zu sammeln. Wir werden dort nicht allein sein. Ich brauche euch in der Verteidigung.” Das war es also. Diese Gewissheit beruhigte sie, doch wieso hatte sie es so lange geheim gehalten? Sie fand sich jedoch schnell damit ab, sich weiter darüber aufzuregen würde niemandem etwas bringen. Sie würde ihre Pflicht erfüllen und dann, so hoffte sie, wieder nach Hause zurückkehren. Doch vermutlich freute sie sich etwas zu früh. „Wann treten wir die Reise an?”, fragte sie. „Im Morgengrauen.” „Bereits so früh!?”, rief sie. „Wie soll ich mich in so kurzer Zeit darauf vorbereiten!?” „Ihr seid bereits vorbereitet. Nicht umsonst habe ich euch wochenlang alles abverlangt.” Zwar hatte sie Recht, jedoch war sie etwas überrumpelt. Wieder durchzog ein stechender Schmerz ihren Rücken und sie gab einen krächzenden Laut von sich. Aufmerksam sah Sylvanas zu ihr und legte ihren Kopf leicht schief. „Verratet mir doch, was euer andauerndes Krächzen versursacht.”, sagte sie. „Nun ja, die Matratze auf der ich nächtigen muss, gleicht einer Steinplatte...” „Ich verstehe.”, antwortete sie. Es sah so aus, als würde sie nachdenken. „Ihr werdet eigene private Räumlichkeiten in Unterstadt erhalten. Dort sind die Betten angemessen.” Aphira staunte nicht schlecht, als sie davon hörte. „Vielen Dank, das ist sehr gütig!” Dann hielt sie einen Moment inne. Allerdings, das war wahrlich gütig. Eine Eigenschaft, von der man bei der Banshee nicht viel zu spüren bekam. Ein wenig merkwürdig kam es ihr vor. Aber sie freute sich auf die Aussicht, in einem gemütlichen Bett schlafen zu können. Irgendwann erreichten sie die Kanalisation. Aphiras Nase war ein wenig gerötet, von der Kälte, die nachts draußen herrschte. Sylvanas besprach etwas mit einem Botschafter, doch sie betrachtete etwas abwesend die Muster in den Wänden. Sie bemerkte nicht, dass die Fürstin das Gespräch bereits beendet hatte und so bemerkte sie auch nicht, wie sich ihr Blick auf sie fixierte und an ihrer Silhouette wanderte. Es musste etwas an ihr geben, dass ihr Interesse weckte. Vielleicht waren es ihre weichen Locken, die mit der leichten Brise gingen, oder ihr zartes, schmales Gesicht. Oder gar ihr Körper, der jetzt alle seine Kurven zum Vorschein brachte. Bald schon trat sie ein, in ihr eigenes Schlafgemach. Sie sah sich ein wenig um und begutachtete die Einrichtung, bis sie sich in das Bett legte und tief und fest einschlief...

Broken Spirit #Wintertraum 18 | Abgeschlossen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt