Schatten

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* Nathan *

Ich duckte mich unter einem Ast hindurch. Leise schlichen wir durch die nächtliche Stille. Der Mond malte die Schatten der unheimlich wirkenden Baumriesen auf den Pfad vor mir.

Wobei das Wort Pfad eigentlich eine Übertreibung war. Es war eher eine Spur von einem Weg durch das Dickicht des finsteren Walds. Ich wunderte mich, dass es eine solche Wildnis hier noch gab. Aber was wusste ich schon.

Ich bin Nathan, war gerade 18 geworden, und - schwer zu erraten - in der Stadt aufgewachsen. Daher waren eher Teerstraßen und gepflasterte Wege mein Terrain. Die Schatten des Waldes machten mir Angst, aber das durfte ich nicht zeigen. Doch es beruhigte mich sehr, dass ich nicht alleine war.

Ein Ast blieb an meiner Schulter hängen und riss mich aus meinen Gedanken. Es raschelte laut, als der Ast zurückschnellte. Eine dunkelgekleidete Gestalt vor mir drehte sich um - geräuschlos natürlich. Der missbilligende Blick von Alex, unserem Truppenführer und Lehrer, traf mich, den ewigen Tollpatsch. Alex seufzte, drehte sich und bewegte sich weiter.

Weiter zum Feind.

Ich erschauderte. Wir waren tatsächlich auf einer Mission. Mit Pistolen und Maschinengewehren ausgerüstet und in unserer schweren Uniform. Kugelsichere Weste, feste Stiefel und dieser elende Helm unter dem es immer juckte. Über ein Jahr hatte ich trainieren müssen, immer in der Hoffnung, dass meine Tollpatschigkeit Grund genug war, mich niemals auf einen Einsatz zu schicken.

"Ein Kilometer bis zum Ziel", erklang die verzerrte Stimme von Alex durch das Headset. Dieses nervige Ding juckte genauso auf der Haut, wie der blöde Helm. Ich kratzte mich darunter und stolperte fast über eine Wurzel. Mussten die auch unbedingt hier wachsen, ärgerte ich mich.

Erst dann realisierte mein Gehirn, was genau unser Truppenführer gesagt hatte. Nur ein Kilometer trennte uns noch von unserem Feind - von diesen Wesen, von denen ich schon so lange hörte. Außer dem Fakt, dass es sie gab, hatte ich vor meiner Zeit in der Militärakademie nie mehr von ihnen gehört. Und hatte es somit als skurriles Ammenmärchen abgetan, an das mein Vater seltsamerweise glaubte. In der Akademie hatten sie mir etwas mehr über sie erzählt.

Diese Wesen waren keine Menschen, es waren andere Kreaturen, die nur sehr menschenähnlich waren. Und die die Menschheit zerstören wollten. Sie hießen Erophan. Das meiste über sie hatte man herausgefunden, als es endlich gelungen war einen von ihnen zu fangen und zu befragen - oder eher zu foltern. Natürlich hatte ich meinen Ausbildern in der Militärakademie zunächst kein Wort geglaubt, als sie uns all das erzählten. Doch nach einiger Zeit wurde es einfach unwahrscheinlich, dass sie mich anlogen. Auch wenn ich es ihnen zutrauen würde.

Ich hatte keine Freunde dort. Wer wollte schon mit dem stotternden Trottel zu tun haben, der durch nahezu jede Prüfung fiel. Zugegeben, einige Prüfungen hätte ich locker bestehen können. Sie hatten mir Prüfungsangst attestiert, aber das war es nicht. Ich wollte nicht bestehen, wollte nicht weiterkommen in der Militärakademie, sodass ich niemals in die Situation käme, in der ich mich jetzt befand. Sicherlich hatte mein Vater die Hände im Spiel. Alex hätte mich niemals freiwillig mitgenommen. Das hatte er mir vor der Abfahrt auch deutlich zu verstehen gegeben.

Die Autofahrt von der Akademie hierher hatte ewig gedauert. Eingeklemmt zwischen die breiten Schultern zweier Hünen meiner Truppe und unter dem verachtungsvollen Blick von Alex hatte ich auf der gesamten Fahrt mein Gewehr umklammert. Niemand hatte bemerkt, wie stark ich gezittert hatte - hoffte ich zumindest. Auch wenn es unbequem war, hatte ich niemals ankommen wollen. Doch irgendwann hatte der Truck abrupt abgebremst und uns in unsere Gurte geschleudert. Beim Aussteigen war ich fast aus der Tür gefallen, weil meine Knie so gezittert hatten. Die anderen hatten über meine unsicheren Bewegungen gelacht - wie immer. Ich hatte geschwiegen. Denn wenn ich meinen Mund aufmachte, wurde es sowieso immer nur schlimmer.

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