Kapitel 6

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"Noch drei Starter vor dir, Valerie! Halt dich ran! Deine Stute ist gut drauf!" Georgies überhebliche Stimme knisterte über das CeeCoach in mein Ohr und ich biss entnervt die Zähne zusammen. Klar, es war toll, dass Danci heute super lief, aber das bedeutete, dass er sie öfters wieder auf anderen Turnieren sehen wollte und sie wieder dem ganzen Stress ausgesetzt werden würde. "Brav Baby!" raunte ich meiner Fuchsstute zu und galoppierte an, um auf die Diagonale abzuwenden und nochmals die fliegenden Wechsel anzutesten. Danci sprang kraftvoll unter mir und hatte ihre Ohren konzentriert nach hinten gedreht um jedes meiner Worte zu hören. Ich atmete aus. Die letzte Nacht hatte ich grauenvoll geschlafen. Der beinahe Kuss mit Rufus ging mir immer noch nicht aus dem Kopf. Was war nur in mich gefahren? "Super Prinzesschen!" Londons eisblaue Augen leuchteten liebevoll, als ich an ihm vorbeiritt und seine ahnungslose Fröhlichkeit versetzte mir einen eisernen Faustschlag in die Magengrube. Ich war ein riesengroßes Arschloch! "Heyy! Pass doch auf wo du hinreitest!" pflaumte mich plötzlich ein anderer Reiter an und riss mich so aus meinen Schuldgefühlen. Ich hatte mich nicht mehr konzentriert und war so mitten in die Bahn eines Konkurrenten gekommen. "'tschuldigung!" nuschelte ich und warf einen Blick zu Georgie herüber, der das Gesicht entnervt in den Händen vergraben hatte. "Geh einfach nur in die Prüfung und vermassele es nicht!" knurrte er und deutete auf den Prüfungsplatz, auf dem gerade der Reiter vor mir seine letzte Mittellinie ritt. 

"Und auf den vierten Platz mit 68,34% schafft es Dancing Dynamite mit Valerie Winterhagen!" Applaus begrüßte mich, als ich ein weiteres Mal in die Arena einritt. Doch anstatt der erwarteten Erleichterung, weiterhin im Team bleiben zu können, nagte immer noch mein schlechtes Gewissen an mir.
Mechanisch lächelte ich und winkte dem Publikum, bevor ich meine Fuchsstute wieder aus der Arena lenkte. Am Rand wartete London auf mich und küsste mich stolz. Mein Herz schmerzte. Warum fühlte es sich plötzlich so falsch an? Mit großen Augen blickte ich auf meinen Freund hinunter, dessen eisblaue Augen schelmisch glitzerten.
"Wenn du die nächste Prüfung gewinnst, werde ich dich sogar eigenhändig in den Wassergraben schmeißen! Rosa Häschen hin oder her." er zwinkerte mir zu und erntete das Lachen von Charly und Logan, während ich nur weiter paralysiert in sein Gesicht blikckte. Makellose Haut, wie in Stein gemeißelte Konturen. Eisblaue Augen in denen der Schalk blitzte. Schwarzblaue Haare. Er war mir so vertraut. Ich liebte ihn. Oder?
"Prinzesschen, ist alles in Ordnung mit dir?"ein besorgtes und ein wissendes Augenpaar blickten zu mir herauf. London legte mir beruhigend eine Hand auf den Oberschenkel, während Charly mir einen weiteren wissenden Blick zuwarf und sich bei ihrem Freund unterhakte und in Richtung der Stallzelte verschwand. "Alles Gut! Ich bin wohl nur erschöpft!" murmelte ich und meine Augen blieben an dem großen Rappwallach hängen, der entspannt in die Arena galoppierte. Sein Reiter lobte ihn stolz und für einen Moment lag sein smaragdgrüner Blick auf meinem.

Wenige Stunden später hatte ich mich einigermaßen beruhigt. Ich hatte den restlichen Tag zusammen mit meinem Freund verbracht, der in der ersten Wertung der U25- jährigen sich nur von seinem Bruder geschlagen hatte geben müssen und einen starken zweiten Platz erritten hatte. Sein Platz im Team war also schon so gut wie gesichert, während ich immer noch um meinen Zittern musste. "Val? Kommst du? Wir wollten doch noch mit Danci und Olympio grasen gehen!" Charly riss mich aus meinen Gedanken. Misstrauisch blickte ich zu ihr herüber. Hatten wir das wirklich vorgehabt? Doch ihr Blick lag unnachgiebig auf meinem und so nickte ich schließlich seufzend und erhob mich langsam von unserem Tisch, an dem wir zusammen mit London und Logan zu Abend gegessen hatten. Schnell murmelte ich noch einen Abschiedsgruß, bevor Charly mich mit sich aus dem VIP- Bereich in die lauwarme Abendstimmung zog. Nur noch wenig Zuschauer waren auf dem Gelände unterwegs, weshalb wir schnell zu den Stallzelten gelangten und meine Pferde aufhalfterten. "Wo wollen wir hin?" fragte ich sie zaghaft, als ich Olympio aus der Box führte und wagte einen kurzen  Blick auf meine beste Freundin, deren Blick immer noch hart wirkte. "Wir reiten ein kleines Stück, bis hinter das große Dressurstadion. Dort gibt es eine wunderschöne- und ruhige- Wiese. Ich nichte nur zustimmend. Schweigend stieg erst ich, dann Charly auf um dann in gemächlichen Schritt über das Turniergelände zu reiten. Als wir schließlich die Wiese erreicht hatten, ließ ich mich entschlossen von Olympios blanken Rücken gleiten und landete im weichen Gras. "Charly, hör mir zu... Es ist so kompliziert und ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist, aber ich verspreche, dass so etwas nie wieder vorkommen wird, Rufus hat mich irgendwie voll überrumpelt und du bist nur im völlig falschen Moment dazu gestoßen..." stammelte ich hilflos und blickte betreten zu Boden. "Im völlig falschen Moment dazu gestoßen?!? Ich bin im genau richtigen Moment gekommen, sonst wäre es noch viel schlimmer ausgegangen meine Liebe! Was fällt dir auch ein, mitten im Stallzelt mit einem fremden Typen rumzuknutschen! Stell dir mal vor, nicht ich sondern London wäre ins Stallzelt gekommen?!" sei ließ eine unheilvolle Pause. Ich schniefte einmal und schrubbte verbissen an einem Fleck in Olympios Fell. "Ich weiß doch auch nicht was in mich gefahren ist.." murmelte ich leise und die erste dicke Träne tropfte auf Olympios Fell. "Empfindest du denn etwas für diesen Rufus?" hakte Charly ein wenig sanfter nach, als sie meine Tränen sah. "Nein, nein natürlich nicht..." schniefte ich und rieb ärgerlich über meine Augen. "Oh Süße! Was machst du aber auch immer für Sachen!" Charly war nahe an mich herangetreten und schlang nun tröstend die Arme um mich. "Du weißt aber schon, dass wenn das nochmal passiert, ich mit London reden muss?" Ich schniefte nur noch lauter. "Es wird nicht mehr vorkommen versprochen! Ich liebe London! Und nur ihn!" versprach ich und vergrub mein Gesicht an Charlys Schulter. "Aber es war in letzter Zeit einfach zu viel für mich! Der ganze Stress mit Alice, die Princess- Show, Georgies Gemecker, Die EM, die letzte Turnierflaute... Ich weiß einfach nicht mehr wo mir der Kopf steht..." gab ich ehrlich zu und spielte beschämt mit meinen Haaren. "Das kann ich total verstehen!" Charly blickte mitleidig zu mir herab. "Aber willst du denn überhaupt auf die EM gehen?" fragte sie ruhig.

"Ich weiß es nicht..." Eine weitere Träne tropfte lautlos auf Olympios Fell.


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