Prolog

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A masterpiece is still a masterpiece when the lights are off and the room is empty






„Angst", hatte er beinahe spöttisch lachend gesagt. Und ich hatte seinem Monolog gelauscht - bis zum letzten Wort. Jede Silbe hatte ich ihm von den Lippen gelesen, als sei er mein Lieblingsroman. „Die Angst soll uns vor Gefahren wahren, uns schützen, auf eine Fluchtreaktion vorbereiten. Sie äußert sich unterschiedlich. Durch Herzrasen, vermehrte Schweißproduktion, Zittern..." Dann hatte er einen Moment inne gehalten, einen Zug seiner Zigarette genommen und sie im Aschenbecher, der so überfüllt war, dass er schon überquillte, ausgedrückt. Durch das Auspusten des Rauches hatten sich in der kalten Winterluft kleine Wölkchen gebildet, welche er so intensiv beobachtet hatte, dass er wirkte, als hätte er die Welt um sich herum schon längst vergessen. Die Szenerie war beinahe lächerlich klischeehaft.

„Aber es ist alles passiert", setzte er ganz plötzlich, mit vor Kälte zitternder Stimme an.

Er hatte ja auch nur ein T-Shirt getragen. „Wovor soll ich mich denn noch fürchten?"

Er sprach so bedächtig, so sachlich. Keine Spur von Selbstmitleid schlich sich in den Bass seiner Stimme - als hätte er mit dem ganzen schon längst abgeschlossen. In meinen Augen war er der stärkste Mensch der Welt.

Ich verbrachte unglaublich gerne Zeit mit ihm, in jeder freien Minute wollte ich mehr von ihm erfahren, doch in einer Sache hatte er sich schon immer deutlich von meinem Lieblingsroman unterschieden: Meinen Lieblingsroman verstand ich, weil ich ihn lesen konnte.

Plötzlich wirkte der junge Mann, der mir immer mit einer solch selbstverständlichen Intensität gegenüberstand, sichtlich verloren. Aber er, der Inbegriff von Beherrschung und Fassung, verlor sich doch nicht plötzlich - oder? Zumindest war ich davon bis jetzt immer ausgegangen.

EliasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt