Weihnachten 2015
19:40 Uhr. Im Radio lief irgendein komplett veralteter Beatles-Song, den ich prompt ausschaltete, so sehr ging er mir schon nach wenigen Sekunden auf die Nerven.
Allgemein dieses ganze alte Pop-Zeug, was plötzlich wieder gut sein sollte. Ich fror ungeheuerlich und dachte kurz daran, die Sitzheizung einzuschalten, einfach um mich ein wenig aufzuwärmen, aber verwarf diesen Gedanken mit einem kurzen Lächeln wieder.
Das war nicht nötig. Die Straßen waren vereist und ich musste mich anstrengen, die Spur zu halten. Nur noch wenige Kilometer. Die Birken am Straßenrand waren bereits kahl, wirkten trotz ihrer Größe wie mickrige Pflänzchen, die überhaupt keinen Stellenwert mehr hatten. Kein einziges Auto fuhr mehr auf den Straßen – es war schließlich Weihnachten. Die meisten verbrachten diese Feiertage mit ihrer Familie, saßen beisammen, schnitten um diese Uhrzeit wohl gerade die Weihnachtsgans an, und lobten die selbstzubereiteten Plätzchen der Großmutter. Das letzte Weihnachten, das ich mit meiner Familie verbracht hatte, lag schon einige Jahre zurück.
Ich glaube, es war 2011, ich war jedenfalls 15, nur bedingt strafmündig, um das kurz klarzustellen. Meine Familie hatte meinen Onkel und seinen Hund eingeladen – er war ja sonst so alleine in der kleinen Wohnung in Düsseldorf.
Mein Onkel war bei der Drogenfahndung, großartiger Beruf, wenn man mich fragt. Und mit großartig meine ich natürlich beschissen. Zumindest für mich. Sein Hund war ebenfalls bei der Drogenfahndung angestellt, konnte den Stoff auf jeden Fall riechen, hatte Vater mir vorher noch durchdringenden Blickes versichert.
Als Martin und Timmy, sein Deutscher Schäferhund, durch die Haustür kamen, sprang Letzterer auf der Stelle wie verrückt im Flur herum. Ich fand es jedes Mal aufs Neue lächerlich, wenn Leute ihren offensichtlich großen, gefährlich aussehenden Hunden verniedlichende Namen gaben. Aber mich fragte ja niemand. Timmy stupste mit der Schnauze immer wieder Martins Bein an, bellte lautstark, bis dieser ihm seine Aufmerksamkeit gab. Da wurde man schon mal nervös, mit einem halben Kilo Koks und mehreren Gramm Gras im Schlafzimmer.
Das Kokain hatte ich von einem Kumpel, der nicht wusste, wo er es lagern sollte, da er eine Hausdurchsuchung bei sich erwartete. Schließlich hatte ich mich bereiterklärt den Stoff bei mir zu lagern. Der Scheiß ist mehrfach verpackt, sagte ich mir, und sehr gut versteckt. Zwischenzeitlich dealte ich selbst mit Stoff, nicht, weil es mir Spaß machte, sondern des Geldes wegen.
Dass mein Onkel Drogenfahnder war und über Weihnachten immer zu Besuch kam, hatte ich in dem Moment, in dem ich Yasin versicherte, dass das absolut kein Problem darstellte, wohl schlicht und ergreifend ausgeblendet.
Also stand ich meinem Onkel gegenüber, mit schwitzigen Händen und einem nervösen Lächeln. Ein Bild für die Götter.
„Timmy, warum bist du denn so unruhig?", fragte Martin seinen Hund mit vorgeschobener Unterlippe und beugte sich ein Stück zu ihm herunter. Dann warf er mir einen mahnenden Blick zu.
„Der verdammte Köter wird dir nicht antworten, du Bastard!", war ich kurz davor zu brüllen, entschied mich aber dann doch dagegen. Das Parkett knarrte bei jedem Schritt den Martin machte, weil er wohl im letzten Jahr über zwanzig Kilo zugelegt hatte. Jeder Schritt ließ mich zusammenzucken und mich gleichzeitig diesen verdammten Köter verfluchen.
Warum mussten diese Viecher auch so eine ungeheuer gute Nase haben? Ich war kurz davor über die Ironie des Schicksals zu lachen, als Vater dann auch noch sagte, der Hund rieche sicher unsere Katze, die in der Küche und im Vorgarten herumgeistere.
Oder das Kokain, dachte ich schmunzelnd. Martin schob sich mehrere Stücke des Bratens gleichzeitig in den Mund, während er eine seiner Drogenfahndungsstories zum Besten gab.
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Elias
Romance"Er war in meinen Augen ein Phänomen, ein Widerspruch in sich, jemand, den man nicht übersehen konnte, obwohl er es mit aller Kraft versuchte. Ich bewunderte ihn. Denn er war alles, was ich immer sein wollte."