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Sommer 2012

Meine erste Zigarette rauchte ich auf Luisas Geburtstagsparty, auf die mich meine Eltern nur gehen ließen, nachdem ich ihnen auf Knien versichert und geschworen hatte, noch vor zwölf zuhause zu sein. Die meisten Gäste kamen erst nach zwölf, aber ich wusste meine beste Freundin hätte mir den Kopf abgerissen, wenn ich nicht zu ihrem siebzehnten Geburtstag erschienen wäre. Wir saßen in ihrem Wohnzimmer, in dem ausnahmslos jeder Quadratmeter von dichtem Nebel bedeckt war, als Bruno eine Packung rote Marlboro aus seiner Jackentasche kramte und mir schließlich die halbgerauchte Zigarette hinhielt.

„Stell dich nicht so an", grinste er und musterte meinen zögernden Gesichtsausdruck. Aus den Lautsprechern dröhnte ein schlechter Girlgroup-Song, den ich aus dem Radio kannte, aber keinen Gesichtern zuordnen konnte. Bruno' durchdringender Schnapsatem, der mir immer zusprach, ich solle doch nur einen Zug probieren, ließ mir gar keine andere Wahl. Ich atmete das Gift tief ein, bevor ich so zu Husten begann, dass ich glaubte, gleich jedes meiner Organe aus dem Körper transportiert zu haben. Bruno lachte, als mir Schmerzenstränen die Wange herunterliefen. „War doch gar nicht so schlimm!" Er klopfte mir auf die Schulter und ich nickte. Ich versprach mir leise, nie mehr eine Zigarette anzufassen. Nie hätte ich gedacht, dass ich diesen Schwur ein knappes Jahr später schon wieder brechen würde.

Das erste Mal betrunken war ich nur ein paar Wochen später. Der Verursacher dieses Problems war, wie immer, kein anderer als Bruno. Bruno war generell ein Mensch, der andere ständig, ohne es selbst zu bemerken, in Schwierigkeiten brachte. Und wenn man mich auch nur ansatzweise kannte, wusste man, dass ich nichts mehr hasste als in Schwierigkeiten zu sein. „Den Shot schaffst du noch." Ich sah Bruno' Grinsen klar, obwohl mein Sichtfeld nach und nach verschwamm. Ich schaffte es den Kopf zu schütteln.

Er drückte mir das kleine Schnapsglas, das bis obenhin mit purem Wodka gefüllt war, unsanft in die Hand, so dass ich nicht ablehnen konnte. Ich stürzte den Wodka, sah ihn dann an.

„Das reicht aber jetzt!"

„Sehen wir ja dann." Wieder grinste er, während er einen Arm um mich legte. Ich hatte das Gefühl zu schwanken, fixierte sein Gesicht, damit ich nicht im Sitzen umkippte. Er hörte nicht auf zu grinsen. Dann fing er an meinen Hals zu küssen, vor all den Gästen, von denen einige ihre Aufmerksamkeit auf uns richteten, und pfiffen, als er eine Hand auf meine Oberschenkel legte. Ich saß nur regungslos da. In dem Moment hatte ich mein drittes erstes Mal: Ich wollte zum ersten Mal sterben.

„Warum schauen Frauen Pornos immer bis zum Ende?" Ich sah Johann von Winterberg grinsendes Mondgesicht noch immer vor meinem geistigen Auge. Ich hasste diesen Menschen und seinen Namen. Ich zuckte mit den Schultern, weil es mich nicht interessierte. Er stieß mich kurz an, wartete immer noch lachend aber vergeblich auf eine Reaktion.

„Keine Ahnung."

„Weil sie glauben, dass am Ende geheiratet wird."

Ich hatte für diesen „Witz" nicht einmal ein müdes Schmunzeln übrig. Ich nickte, damit er mich endlich in Ruhe ließ. „Spießige Schlampe", zischte er mir ins Ohr, bevor er sich von mir abwandte und schließlich in der Traube an Schülern unterging, die sich alle in Richtung Klassenraum bewegten. Das war der Tag, an dem ich anfing Johann von Winterberg zu verachten. Hass war ein viel zu großes Wort für jemanden, der so wenig wert war.

In einer kurzen, naiven Zeit meines Lebens, in der ich glaubte, Johann sei ein umgänglicher Mensch, dessen Geburtstagsfeier man ohne Bedenken besuchen konnte, besuchte ich seine Geburtstagsfeier. Meiner Mutter erzählte ich, ich schlief bei Luisa.

„Ich freu mich schon so", quietschte sie, während sie sich eine halbe Tonne Wimperntusche auftrug und ihre Wangen feuerrot schminkte. Ich musste schmunzeln, weil ich sie in dieser Situation nicht ernstnehmen konnte. Generell hatte ich kein Verständnis für Frauen, die sich stundenlang vor den Spiegel stellten, nur um Männer zu beeindrucken, die sich vermutlich noch nicht einmal für sie interessierten. Gehörte das etwa zum Erwachsenwerden dazu?

EliasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt