Kapitel 6 - Die Schatzkarte

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Ich öffnete die Tür zum Zimmer von dem König und ließ mich aufs Sofa fallen. Ich war völlig erschöpft. Jetzt hatte ich die Zeit nochmal über alles nachzudenken. Die Gedanken schwirrten in meinem Kopf, doch ich bekam keinen zu fassen.

Ich lief in die Küche und schnappte mir aus der Obstschale einen Apfel. Nicht, weil ich Hunger hatte, sondern in der Hoffnung besser denken zu können. Als ich mich wieder auf das Sofa setzte, fiel mir ein weißer Zettel auf, der vor mir auf dem Tisch lag. Meine Neugierde packte mich und ich schnappte mir den Zettel. Es war eine Karte. Wovon wusste ich nicht genau. Ziemlich im Norden war ein rotes Kreuz eingetragen. War das etwa eine Schatzkarte? Wer hatte sie bloß hierhin gelegt? War sie für den König bestimmt? Aber dann würde man sie doch nicht einfach so auf den Tisch legen, oder? Vielleicht war die Karte von Henry. Vermutlich war er aus dem Gefängnis freigekommen (wohl eher ausgebrochen) und hat mir diese Nachricht hingelegt.

Mein Entschluss stand fest: Ich würde dort hinkommen, egal wie.

Die Karte an meine Brust gepresst, verließ ich das Zimmer und lief den Gang entlang.

Wie der Zufall es wollte, lief ich Mirko über den Weg. Wegen der Sache, die er im Gefängnis gemacht hatte, wusste ich nicht, ob ich ihm vertrauen sollte. Beim zweiten Hinsehen merkte ich auch, wie er gestresst er war. Sollte ich ihn ansprechen? Er hatte mir die Karte vom Schloss besorgt. Das mit dem Gefängnis war wahrscheinlich eine einmalige Sache gewesen, vielleicht hatte er einen schlechten Tag gehabt.

„Alles in Ordnung?" Er hatte die Lippen aufeinander gepresst und guckte komisch. Sein Blick wanderte zu dem Zettel, den ich immer noch an meine Brust gepresst hatte. „Was ist das?" Schließlich überredete ich mich doch, sie ihm zu zeigen. „Weißt du, wovon sie ist?"

„Natürlich." Mehr sagte er nicht. „Aha... und, kannst du es mir auch sagen...?" wollte ich wissen. Er überlegte lange, dann meinte er: „Die ist vom Königreich. Das hier ist das Schloss." Er zeigte auf ein rotes Quadrat, dass ziemlich genau in der Mitte liegt. „Das hier ist das Dorf." Er umrundete mehrere rote Punkte, die ganz im Süden lagen.

„Und wo ist das?" Ich zeigte auf das rote Kreuz. „Im Wald." antwortete er knapp. Dann ging er einfach. Ich sah ihm nach und bemerkte seine angespannte Haltung. Irgendetwas bedrückte ihn. Und wäre ich eine wahre Freundin, hätte ich mich um ihn gesorgt, anstatt ihn wegen der Karte auszufragen. Doch jetzt war es zu spät, Mirko war schon um die Ecke verschwunden.

Ich führte meinen Weg fort, auch wenn ich mich jetzt ziemlich mies fühlte. In letzter Zeit machte ich alles falsch. Wegen mir saß Henry im Gefängnis, wegen mir war Shiva ausgeschieden, wegen mir war die Freundschaft zwischen mir und Mirko am Reißen.

Als ich das Gebäude verließ, wurde ich von zwei Wachmännern aufgehalten, die wissen wollten, wohin ich wolle. Zum Glück fiel mir wieder ein, dass ich ja ohne den König gar nicht das Gelände verlassen durfte. Zum Glück war ich gut im Lügen (eines meiner wenigen Stärken) und berichtete, würde einen Spaziergang durch den Garten machen.

Zum Glück ließen sie mich dann in Ruhe.

Ich lief um das Gebäude herum, jetzt konnte ich vergessen den richtigen Ausgang zu verwenden. Aber ich war immer noch ein Räuber... und ausbrechen war ja wohl das einfachste überhaupt.

Ich kletterte über die Mauer, wie ich es beim ersten Mal auch getan hatte und rannte dann durch den Wald. Ich hoffte, dass ich auch wirklich in den Norden lief und nicht in eine andere Richtung. Aber laut der Karte gab es im Süden kein Waldgebiet, also schien es, als sei ich richtig. Als ich auch noch bei einem Bach ankam, wusste ich ungefähr, wo ich mich befand.

Ich rannte weiter, auch wenn ich nicht wusste, wie lange ich noch laufen sollte. Würde ich mein Ziel überhaupt erkennen? Gab es dort irgendetwas, wodurch ich wusste, dass es dieser Ort war? Vielleicht war dort ein rotes Kreuz. Oder eine Person – Henry – die ich kenne?

Als ich bei einem weiteren Bach ankam, der nicht auf der Karte eingezeichnet war, wusste ich, dass ich zu weit gelaufen war. Aber wo genau ich mich befand... ich hatte keine Ahnung. Ich beschloss nur noch zu gehen und dafür die Umgebung genauer zu inspizieren. Es musste doch irgendetwas geben. Irgendein Anhaltspunkt. Doch ich sah nur Bäume, überall Bäume. Ich änderte meine Richtung lief jetzt nach Osten, wenn ich Glück hatte. Ich kam bei einem kleinen See an und sah auf die Karte. Dann fiel mir auf, dass unter dem roten Kreuz ein blauer Fleck war. Sollte dies den See repräsentieren? Ich sah mich nach allen Seiten um, doch es schien, als sei ich allein.

Ich kam bei einem kleinen Steg an, der in den See hineinführte. Ich lief über die morschen Holzbretter, die aneinander gehämmert waren.

Was sollte ich jetzt tun? Warten? Wenn das eine Schatzkarte war, würde wohl niemand auftauchen und ich könnte warten, bis ich schwarz bin.

Ich sah, wie die Sonne zwischen den dichten Blätterdächern der Bäume verschwand. Ob mich schon jemand vermisste? Suchte man mich schon?

Der Wind frischte auf und ließ mir meine Haare aus dem Gesicht wehen. Hier schien es, als würde die Zeit stehen bleiben, als wäre dies ein Ort, der nicht auf dieser Welt existierte. Ich hatte kein Problem damit, hier zu bleiben. Hier war die Welt in Ordnung, hier...

Ich hörte etwas rascheln und sofort drehte ich mich um. Was war das? Eine Person? Ein Tier? Oder nur der Wind? Ich würde es wohl nie erfahren, denn im nächsten Augenblick, merkte ich, wie der Boden unter mir nachgab. Mir entfuhr ein Schrei, ehe ich ins kalte Wasser eintauchte.

Die gescheiterte RäuberschwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt