Kapitel 7 - Das Wasser

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Blanke Panik überkam mich. Das tintenschwarze Wasser umschlang meinen ganzen Körper, eiskalt und unbezwingbar. Ich schlug wild um mich, doch ich sank immer tiefer. Mein Blick war sturr nach oben gerichtet, wo die rettende Oberfläche war. Jedenfalls vermutete ich das, denn ich sah nicht als tiefste Schwärze. Meine Lunge war vollkommen mit Wasser gefüllt. Ich konnte nicht atmen, ich konnte nicht schreien, ich konnte nichts machen. Meine Kräfte verließen mich und die Schmerzen in meiner Lunge und in meinem Kopf wurden immer schlimmer. Langsam fielen mir die Augen zu. In diesem Moment stellte ich mir nur eine Frage: Warum bist du auf den Steg gegangen? Ich wusste doch, dass es morsch war, ich hatte es doch gehört. Warum hatte mein klarer Menschenverstand nicht Alarm geschlagen? Ich hatte noch nie Angst vor Wasser gehabt, auch wenn ich nicht schwimmen konnte und somit Wasser das gefährlichste auf der Welt ist. Wasser muss man bändigen.

Ich spürte, wie mein Körper gegen etwas Spitzes gerät. Hatte ich den Grund des Sees erreicht?

Ich öffnete meine Augen, doch es war genauso dunkel, wie wenn ich sie geschlossen hatte.

Das ist also mein Ende. Ich werde allein sterben, ohne Henry, ohne meine Eltern, ohne irgendjemanden. Niemand wird mich finden, niemand wird mich vermissen. Ich bin nur ein armes, naives Mädchen, die zu nichts fähig ist. Das war also mein Leben...

Ein Leben ohne Sinn, ohne irgendetwas erreicht zu haben, ohne irgendjemandem geholfen zu haben. Ich habe nur Leid über die Welt gebracht, habe Menschen Unrecht getan, sie ins Verderben gestürzt. Doch das hat jetzt ein Ende. Jetzt ist alles vorbei.

Für meine Taten muss ich jetzt büßen, all das Leid ertragen, was ich anderen angetan habe. Jetzt würde ich ins Fegefeuer kommen, ehe ich für immer und ewig in der Hölle schmore. Verzeiht mir. Verzeiht...

Meine Augen füllten sich mit Tränen, doch das konnte auch Einbildung sein. In dem Moment nahm ich nichts wahr, außer, wie mein Körper nach oben schwebt, das Wasser teilt, als wäre es gebändigt.

Ist es nun soweit? Bin ich Tod? Fährt meine Seele in den Himmel? Oder eher doch in die Hölle?

Ich schloss die Augen. Nun war mir alles egal. Es war sowieso alles vorbei.

Ich spürte, wie ich an die Oberfläche gelangte. Ich wollte Luft holen, doch mein Körper gehorchte mir nicht und meine Lunge war immer noch mit Wasser gefüllt. Ich war in einem tranceförmigen Zustand, halb bewusst, wiederum auch halb tot. Sogar jetzt könnte ich diesen Zustand nicht beschreiben. Vielleicht war ich für paar Sekunden tatsächlich tot gewesen.

Ich spürte den Boden unter mir. Diese vertraute Erde, dieses vertraute Gras. Ich wurde zur Seite gerollt, anscheinend war ich jetzt vollkommen Gottes Marionette. Ich hustete, würgte, atmete, röchelte... lebte. Wie ein Fisch an Land schnappte ich eifrig nach Luft. Mehr, ich wollte mehr.

Als es mir halbwegs besser ging, öffnete ich wieder meine Augen und grub meine Hände in die Erde. Ich hatte überlebt. Ich war es würdig zu leben.

Mein Herz pochte wie verrückt, dass ich Angst hatte, es könne zerspringen. Erschöpft legte ich mich auf den Rücken und starrte hinauf in den violett gefärbten Himmel.

"Alles in Ordnung?" Mirkos Kopf tauchte in meinem Sichtfeld auf. "Ja, alles in Ordnung." konnte ich gerade noch hervorbringen. "Das war knapp..." nuschelte er kaum hörbar und ließ sich neben mir im Gras nieder.

"Was machst du überhaupt hier?" fragte ich ihn. "Dieselbe Frage könnte ich dir stellen."

"Ich habe dir doch die Karte gezeigt und ich glaube, hier ist der markierte Ort." antwortete ich ehrlich. Ich musste ihm wohl nicht erklären, dass mich die Neugierde hierhin geführt hatte. Er schwieg nur.

Ich konnte es immer noch nicht realisieren, fast gestorben zu sein. Ich hätte Mirko nicht so ausfragen sollen. Wäre er nicht hier gewesen, wäre aus mir eine Leiche in einem See geworden.

"Wem mache ich hier was vor?" Ich drehte meinen Kopf zu Mirko, der sich jetzt aufsetzte und mich eindringlich ansah. "Ich habe diese Karte für dich geschrieben. Ich wollte mich mit dir treffen."

Ich sah ihn mit großen Augen an. "Es ist so lange her, seitdem wir das letzte Mal Zeit miteinander verbracht hatten. Ich vermisse dich..."

Langsam setzte ich mich ebenfalls auf. "Wegen mir wärst du fast gestorben..." Er schaute betretend weg. "Es ist nicht deine Schuld. Ich hätte niemals auf diesen Steg gehen sollen. Ich bin manchmal ziemlich dämlich." Ich rutschte näher an ihn heran. "Ich habe es auch vermisst, Zeit mit dir zu verbringen. Unsere Freundschaft ist irgendwie mehr und mehr gerissen. Dabei will ich das doch gar nicht."

"Ich auch nicht! Nur... Du bist als Kind einfach plötzlich verschwunden und deine Eltern wollten mir auch nichts sagen. Was ist passiert?"

In den letzten Jahren, die vergangen waren, hatte ich hin und wieder Mirko getroffen, doch meistens nur um etwas von ihm zu wollen, da er ja im Schloss wohnte. Er wusste anscheinend nicht, dass ich mit Henry weggegangen war.

Ich erzählte ihm die gesamte Geschichte, jedes einzelne Detail. Und obwohl ich ihm so viel Neues über mich erzählte, hatte er nur eine Frage: "Wer ist Henry? Der Typ aus dem Gefängnis?" Ich nickte knapp. "Ihr scheint euch ja sehr nahe zu stehen", bemerkte er. "Ja, wie haben ziemlich viel durchgemacht. Zusammen. Wir lassen uns nie im Stich."

"Deshalb wolltest du ihn befreien."

"Ja... Hilfst du mir dieses Mal?" fragte ich ihn. "Hör mal, wenn es rauskommt, dass ich dir geholfen habe, riskiere ich nicht nur meine Arbeit zu verlieren, sondern auch, umgebracht zu werden. Ich arbeite nun schon fast zehn Jahre im Schloss. Ich darf ihr Vertrauen nicht missbrauchen."

Ich starrte ihn wütend an. "Verstehe, deine Arbeit ist dir wichtiger als ich."

"Nein, ich habe dir doch gesagt, es geht mehr als nur um die Arbeit!" Er seufzte tief und starrte wieder nur auf den Boden.

Aufgebracht erhob ich mich und schaute auf Mirko hinunter, ehe ich von der Lichtung rannte. Schön, dann soll er mir halt nicht helfen, ich werde das auch alleine schaffen! Er ist ja echt ein toller Freund.

Ich spürte, dass das Band, was uns früher verbunden hatte, nun endlich gerissen war. Mirko hatte sich in den letzten zehn Jahren verändert. Ihm waren jetzt andere Sachen wichtiger. Ich musste das akzeptieren. Doch ich konnte nicht. Ich wollte ihn nicht verlieren.

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Eine random Frage: Seid ihr #TeamMirko, #TeamHenry oder eher #TeamFlorenz?

Die gescheiterte RäuberschwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt