Die Tafel ist zu hoch. Er weiß, dass ich es hasse, wenn er mich "Kleine" nennt, aber im Grunde hat er recht. Ich meine wer ist schon so klein, dass er es nicht schafft oben an die Tafel zu schreiben? Die Wahrheit lässt sich nicht leugnen. Ich bin klein. Mein Problem ist aber vielmehr, dass wenn er mich "Kleine" nennt ich mich fühle als wäre ich seine kleine Schwester. Nicht so ganz das, was ich mir erträume. Ich komme also nicht an den oberen Rand der Tafel. Dorthin, wo schon ein endlos langer Term steht, dessen Lösung ich - wenn ich so hoch käme - ganz einfach schnell hinschreiben würde. Zu meinem Pech kann man die Tafel auch nicht verschieben. Wunderbar! Da muss man einmal in tausend Jahren einmal an die Tafel schreiben und dann sowas...
Ich könnte es mit Hochspringen versuchen. Hinter mir wird die Klasse langsam unruhig. Ich höre vereinzeltes Kichern. Ja, genau meine Damen und Herren, sie haben mein Problem erfasst. Ich wünsche ihnen viel Spaß bei dieser Vorführung. Jetzt fängt auch noch unser Mathelehrer an zu schmunzeln. Jaja. Machen Sie sich schön über mich lustig. Sie hätten es auch selber anschreiben können. Ich gebe auf und schreibe die Lösung einfach an den unteren Rand der Tafel. Selbst schuld. Sie hätten ja nicht mich drannehmen müssen. Warum überhaupt ich? Sah ich gerade eben ausnahmsweise mal intelligent aus? Ausnahmsweise mal nicht wie ein kleiner tollpatschiger Kobold? Ah. Da wären wir auch schon bei meinem zweiten Spitznamen. Ich meine die Leute sind schon einfallsreich. Na ja. Vorallem ist er es. Wer sonst würde von einem so schrecklich einfallsreichen Namen wie Hermine auf Coco kommen? Eigentlich kann ich ihm dafür dankbar sein. Meine Eltern waren ein bisschen zu tief im Harry-Potter-Fieber um die Zeit meiner Geburt. Also nichts gegen Harry Potter. Ich mag die Bücher um nicht zu sagen ich liebe sie! Aber zu heißen wie eine Hauptperson in der bekanntesten Jugendbuchreihe der Welt ist irgendwie doch nicht so das Gelbe vom Ei. Schon in der Grundschule musste ich mir unzählige Kommentare anhören. In der Fünften tauchten dann aus dem Nichts ständig irgendwelche Stöcke und zerbrochene Stifte in meiner Schultasche auf, die Zauberstäbe darstellen sollten. Nun, es waren VORWIEGEND Stöcke. Ein paar Mal saß auch eine Kröte darin. Aber nachdem man Gregory Steels dabei erwischte, fand ich nur noch eines in meiner Tasche. Gummibärfrösche. Sagt man Gummibärfrösche? Hört sich seltsam an. Ein Bär-Frosch. Frosch-Bär? Ich muss schmunzeln bei der Vorstellung, wie das wohl aussehen könnte. Nennen wir sie einfach Gummifrösche. Sie waren meine erste Liebe. Merkt euch: die Betonung liegt auf "waren". Eines Tages habe ich mich so an ihnen überfressen, dass ich sie nicht mehr sehen kann. Coco also. Mich nennen jetzt alle Coco. Er ist draufgekommen. Nachdem er mich eine Woche lang Kobold genannt hat, was mich natürlich tierisch aufgeregt hat, haben alle angefangen mich Coco zu nennen. Sogar die Lehrer. Also ich würde mich durchaus über Chanel-Kleidung und -Taschen in meiner Schultasche freuen ;)
Den Kopf voller Gummifrösche und Spitznamen drehe ich mich auf dem Absatz um, lege die Kreide auf das Lehrerpult und schleichen mich nach hinten an meinen Platz. Letzte Reihe. Das ist die Beste. Hinten in der Ecke. Dieses Jahr haben wir das Zimmer mit den zwei Fensterfronten, somit habe ich sowohl neben als auch hinter mir Fenster. Der beste Platz. Die meisten können dieses Zimmer nicht leiden aufgrund der vielen Sonne, aber ich liebe es! Er sagt, ich bin der krasseste Frischluftfanatiker, den er kennt. Ich fasse es einfach als Kompliment auf.
Er schaut zu mir auf als ich an den Tisch komme. Wobei hochschauen kann man das nicht wirklich nennen. Mit meinen 1,57 bin ich wahrscheinlich ähnlich groß wie er im Sitzen. Jedenfalls schaut er mich an, zieht belustigt den linken Mundwinkel hoch und klopft auf den Stuhl neben sich. Ich schrecke aus meinen Gedanken und setze mich schnell hin. Er macht das oft. Mich aus meinen Gedanken holen. Mir zeigen, dass die reale Welt noch existiert. Ich weiß gar nicht, wie ich ohne ihn auskommen sollte. Wahrscheinlich würde ich verhungern, wenn er mir nicht täglich in der Pause mit seinem linksmundwinkligen Grinsen seinen Thunfischsandwich reinstopfen würde. Er hasst diese Thunfischsandwiches. Seit ich mich erinnern kann, macht seine Mutter ihm immer den selben Sandwich. Er hat ihn noch nie gegessen. Aus unerklärlichen Gründen landet er immer in meinem Magen. Er ernährt sich stattdessen von Äpfeln. Die gibt es gratis an unserer Schule. Ich glaube er verdrückt drei oder vier davon jeden Vormittag. Einmal mehr schreckte ich auf. Er hat mich mit dem Stift in die Seite gepikst und nicht jetzt in Richtung der Tafel. Die ist vollgeschrieben. Ein Blick in mein Heft bestätigt mir, dass ich nur die erste Zeile abgspinselt habe. Ich seufzte auf. Na dann mal los. Doch ich komme nicht weit. Plötzlich schrillt es zur Pause. Dumm gelaufen. Ich schaue ihn mit bittenden Augen an. Er lacht. Beide Mundwinkel. "Ist gut Kleine. Hör auf mit dem Hundeblick! Ich schick dir ja." Ich lächle ihn an. Wie gesagt. Was sollte ich ohne ihn machen? Vielleicht sollte ich ihn euch vorstellen. Sein Name ist Momo. Also eigentlich heißt er Timothy aber seit unserer ersten Deutschlektüre in der sechsten Klasse wird er Momo genannt. Ich weiß gar nicht mehr, wehr damit angefangen hat, aber es hat sich durchgesetzt. Momo ist siebzehn, hat einen tannenhonigfarbenen Wuschelkopf und die beeindruckendsten Augen der Welt. Sie sind stechen grün, aber das ist noch nicht alles. Die Iris hat einen schwarzen Rand und das Grün ist von unzähligen goldenen Sprenkeln durchsetzt, die seine Augen immer leuchten lassen, als wäre gerade der schönste Moment seines Lebens. Aber nun genug von seinen Augen. Den Augen, die mich immer wieder in ihren Bann ziehen und... Schluss sagte ich! Was viel wichtiger ist, ist dass Momo mein allerbester Freund ist. Ihr fragt ob das gut geht mit über drei Stockwerken Größenunterschied? Klappe! Momo und ich sind unzertrennlich seit ich mich erinnern kann. Anders als bei Leiza. Leiza ist meine beste Freundin. Wir haben uns dadurch kennengelernt, dass wir in der Sechsten eine Hauptrolle im Musical geteilt haben und und uns nicht ausstehen konnten. Es gab nicht eine Begegnung ohne fiese Bemerkungen. Erst in der Achten, als wir ein Jahr kein Musical hatten, haben wir uns angefreundet. Das war dann sozusagen der Übergang von Erzfeindinnen zu besten Freundinnen. Ihr findet mein Leben ein bisschen sehr klischeehaft? Das ist es auch. Ich bin ein unterdurchschnittlich großes Mädchen mit überdurchschnittlich vielen Sommersprossen, einem nicht zu bändigenden roten Wischmob auf dem Kopf und einem etwas ausgefallenen Modegeschmack. Mit meinem Vater wohne ich in einem kleinen Reihenhaus am Rand einer Kleinstadt. Mein Vater ist Zahnarzt und wo meine Mutter ist, weiß ich nicht. Sie ist als ich noch klein war mit einem anderen durchgebrannt sagt mein Vater. Bitte kein Mitleid! Vielleicht ist es gut, dass ich sie nicht kenne. Wir sind nicht die Reichsten, aber wir kommen ganz gut über die Runden. Momo ist im Reihenhaus nebenan aufgewachsen und wir haben als Kinder so ziemlich alles klischeehafte getan, was Vorstadtkinder so machen. Ich werde jetzt nicht weiter darauf eingehen. Ihr wollt wissen, dass da noch eine Leiche im Keller ist? Ich muss euch enttäuschen. Mein Leben ist einfach das eines sechzehnjährigen Durchschnittsteenagers. Langweilig aber schön. Langweilig und so wird es wohl auch bleiben. Ich habe kein Problem damit. Wenn ich mein Abi habe, werde ich Medizin studieren und und dann die Praxis meines Vaters übernehmen. Ich werde heiraten und mit meinem Mann und meinen Kindern in einem Vorstadtreihenhaus wohnen. Das denke ich jedenfalls im Moment noch.So.... Das war das erste Kapitel. Ich weiß nicht, wie es euch gefällt, aber ich freue mich natürlich über Rückmeldung und Vorschläge. Ich hoffe ich bekomme dieses Buch fertig bevor mir die Ideen ausgehen. Danke fürs Lesen! Ich veröffentliche das zweite Kapitel so früh wie möglich.
Bis dann
Josophiehanna❤️❤️❤️
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Coco
Teen FictionDas Leben der drei Teenager Coco, Momo und Leiza hätte durchschnittlicher nicht sein können. Sie wohnen in einer Kleinstadt, gehen ganz normal zur Schule und erwarten nichts ungewöhnliches von ihrer Zukunft. Eines Tages ist das alles vorbei. Die kle...