Brenda also. Meine Mutter heißt also Brenda. Natürlich bin ich geschockt. Ich meine, woher weiß sie unsere Nummer? Ja, Natürlich ist mir kurz danach eingefallen, dass sie ja auch mal hier gewohnt hat. Eine komische Vorstellung: Dass diese Frau mal zu unserer Familie dazugehört hat. Also biologisch gesehen tut sie das ja immer noch, aber sonst nicht. Sie ist eine Fremde. Ich habe zwar die ersten neun Monate meines Lebens in ihrem Bauch verbracht, und wir waren für die erste Zeit nach meiner Geburt wohl eine mehr oder weniger glückliche kleine Familie, aber sie ist eine Fremde. In unserem Haus gibt es nichts, was an sie erinnert. Nicht mal ein Foto, auf dem sie auch nur in der hintersten Ecke versteckt ist. Und glaubt mir, ich habe gut nach so etwas gesucht. Bis ich sechs oder sieben war, habe ich nie darüber nachgedacht, dass ich auch eine Mutter haben könnte. Für mich war alles ganz klar. Ich hatte meinen Vater. Eine Mutter gab es einfach nicht. Dann sollten wir irgendwann in der Grundschule einen Stammbaum zeichnen. Selbstverständlich war nur die Seite meines Vaters darauf. Frau Stolze, unsere Lehrerin hat mich daraufhin zur Rede gestellt, ob ich meine Mama so wenig mögen würde, dass ich sie nicht aufschreiben würde. Anscheinend habe ich darauf so eine typische »Kindermund-tut-Wahrheit-kund-Antwort« gegeben. "Aber ich habe keine Mama. Selbstverständlich hat Frau Stolze das nicht verstanden und so musste mein Vater nach der Schule ihr erst einmal erklären, weshalb ich so etwas sagte. Das war der Tag, an dem ich erfuhr, dass jeder Mensch eine Mutter hat und dass ich meine schlichtweg nicht kannte. Anfangs habe ich mir daraufhin noch oft vorgestellt, wie sie auf einmal auftauchen würde und alles si eäre wie in anderen Familien. Aber mittlerweile will ich sie eigentlich gar nicht mehr kennen. Eine Mutter, die sich sechzehn Jahre lang nicht meldet, nicht mal eine Karte schreibt oder so etwas... So eine Mutter brauche ich nicht. Das Telefon in meiner Hand klingelt zum zwölften Mal. Das erste Mal bin ich noch dran gegangen,habe aber, als ich ihre Stimme gehört habe, sofort wieder aufgelegt. Plötzlich wird die Tür aufgerissen. Vor Schreck schlucke ich einen ganzen Löffel Maracujaeis auf einmal hinunter. Ja, ich weiß, dass normale Leute nicht abends um halb zehn im Bett Maracujaeis essen, aber normale Leute tragen auch keine Latzhosen mit Sonnenblumen oder sonst etwas aus meinem Kleiderschrank.
"Coco, komm schnell!" Ich schaue ihn fragend an und deute dann auf das klingelnde Telefon in meiner Hand: "Meine Mutter ruft an." "Deine... Mutter?!" krächzt er erschrocken. Ich nicke, da hat er sich auch schon wieder im Griff. "Gib mir das Telefon. Das ist jetzt unwichtig." "Was?!" schreie ich ihn an. "Meine Mutter ruft an und das ist UNWICHTIG?" "Ich kümmere mich darum... " versucht er mich zu beschwichtigen. "Du solltest jetzt eher mal schnell zu Timothy rüber." Es scheint ihm wirklich wichtig zu sein. Normalerweise lässt er mich um diese Uhrzeit nicht einmal mehr rüber, wenn ich ihn mit allen Mitteln anbettle. "Aber ich habe doch schon meinen Pyjama an." merke ich noch an. "Dein Pyjama ist mir egal! Es ist wichtig,dass du rüber gehst! Karla meinte, dass Momo dich braucht. Es geht ihm nicht sonderlich gut." Ein kurzer Blick in Richtung von seinem Fenster bestätigt mir, was ich schon vermutet hatte. Seine Rollläden sind geschlossen. Geht es Momo wirklich so schlecht? Heute Nachmittag war er doch noch vollkommen okay. Er hat gelacht. Er hat mir zugehört. Er hat bei unserem üblichen Kampf gewonnen. Es gab eigentlich keinen Anlass zur Sorge. Gut. Sein Zimmer war aufgeräumt, aber das hatte ich nach endlosem Überlegen einfach einer spontanen Laune zugeschrieben.Steven, Momos Vater, öffnet die Tür. Er wirkt überarbeitet und fertig mit den Nerven, dennoch lächelt er gequält und deutet nach oben, von wi man immer wieder ein lautes Krachen hört. "Wir haben schon alles versucht, um ihn zu beruhigen, aber ohne Erfolg. Ich glaube, du bist gerade die einzige, auf die er hört." Halb unter Schock schleiche ich die glänzend polierten Granitstufen hinauf. Der Geruch von Orangenreiniger. Meine Sneaker quietschen auf dem Stein. Fühlt sich an wie ein schlechter Traum. Ich komme dem Krachen immer näher. Vor seiner Zimmertür bleibe ich stehen. Wie soll ich eintreten? Die Tür langsam aufschieben? Reinplatzen, als wäre nichts? Letzten Endes entscheide ich mich für ersteres, doch erst dann wird mir klar, weshalb Karla und Steven erfolglos waren. Die Tür ist abgeschlossen. Ein weiteres Krachen. "Momo?" versuche ich es vorsichtig. "Momo!" Es scheint mir nicht so, als hätte er es gehört.
Aus spontanen Eingebung heraus, klopfe ich unseren Code an die Tür, den wir uns als zwölfjährige ausgedacht haben. » - . . - - . . . . - « Augenblicklich wird es still hinter der Tür. "Coco? Bist du das?" " Klar, wenns nicht mein Klone ist..." Ein ersticktes Lachen. Schritte in Richtung der Tür. Unendlich langsam dreht sich der Schlüssel im Schloss. Ich trete einen Schritt zurück, als sich die Tür einen Spaltbreit öffnet. Was erwartet mich dahinter? Vorsichtig schiebe ich sie gerade so weit auf, dass ich hindurch schlüpfen kann. Er steht vor mir. Hängende Schultern. Ins Nichts starrend. Langsam gehe ich auf ihn zu und lege vorsichtig meine Hand auf seinen einen Unterarm. Als würde er aus einem Traum erwachen, hebt er den Blick, blinzelt und schaut mir in die Augen. Ich erwiedere seinen Blick. Sie haben aufgehört,zu leuchten, seine Augen. Klar. Die goldenen Sprenkel sind noch da wie eh und jeh, aber das Leuchten, das Glühen, es fehlt. Er wirkt immer noch abwesend. Es ist, als stände vor mir eine leere Hülle in Form eines Körpers. Eine Hülle ohne Innenleben. Ein kurzer Blick, den ich auf sein Zimmer werfe, lässt mich nach Luft schnappen. Die Regale sind umgeschmissen, die Türen der Wandschränke demoliert, die Kleider herausgerissen und teilweise zerrissen, der Schreibtischstuhl so gut wie Kleinholz. Nur das Foto von uns beiden vor einem Jahr in Berlin hängt unversehrt und unberührt an der selben Stelle wie immer. Ich wende meinen Blick wieder ihm zu. Sein Gesichtsausdruck ist so ausdruckslos, dass ich schlucken muss. Mit einer Hand streiche ich ihm die Haare aus der Stirn, wobei ich eine Platzwunde an seinem Haaransatz bemerke.
Ich weiß es nicht und ich werde es euch wahrscheinlich nie sagen können, was genau mich in diesem Moment dazu bewogen hat, aber auf einmal nehme ich sein Gesicht in beide Hände und drücke meine Lippen auf seine. Erst ist es, als würde ich einen Toten küssen, aber schließlich kommt Leben in ihn. Er beginnt,zuerst vorsichtig, meinen Kuss zu erwidern. Seine Hände legen sich wie selbstverständlich auf meine Hüften und er beginnt, mich mit den Daumen zu streicheln. Seine Zunge streicht über meine Lippen, sodass sie sie sich fast von allein öffnen. Nach einer Weile wird sein Kuss fordernder. Unsere Zungen spielen miteinander. Unser Atem geht heftig. Seine eine Hand beginnt, in meinem Locken zu spielen. Ein heißes Ziehen schießt von meiner Kehle irgendwo an einen unbestimmbaren Punkt in der Brust. Er drückt mich so fest an sich, als wollte er mich nie wieder loslassen. Irgendwann spüre ich, wie sich sein linker Mundwinkel hebt und muss ebenfalls lächeln. Wärme breitet sich in meinem Bauch aus. Als wir uns schließlich voneinander lösen, kann ich sehen, dass das Glühen in seine Augen zurückgekehrt ist. Seine Hand tastet nach meiner, er verschränkt seine Finger mit meinen und zieht mich an sich. Ich lege meinen Kopf an seine warme Brust und spüre, wie er meinen Scheitel küsst. "Das war... schön." flüstere ich in sein T-shirt hinein. "Ja..." wispert er zurück. Sein apfelwarmer Atem auf meiner Kopfhaut verursacht mir einen angenehmen Schauer über den Rücken.
Aber irgendetwas schwirrt noch immer in meinem Hinterkopf herum und will nicht zur Ruhe kommen. »Es geht ihm nicht gut!« erscheint plötzlich in Neonbuchstaben in meinem beinahe leergefegten Kopf. Ich erinnere mich, dass ja noch etwas vor dem Kuss war. Ein riesiges Chaos von Gegenständen, Gefühlen und unausgesprochenen Gedanken. Was ist mit Momo los? Warum hat er eine Platzwunde am Kopf? Warum hat er so leblos da gestanden? Was geht in seinem Kopf vor sich? Ich hatte immer gedacht, dass er alle seine Gedanken sofort aussprach, aber dem scheint wohl doch nicht so zu sein. Ich könnte ihn ganz einfach fragen,aber damit würde ich das hier wohl vorerst zerstören und das ist gerade das letzte, das ich möchte. Auf einmal spüre ich wieder seinen Atem auf meinem Kopf. "Wo bist du?" "Na hier."(Okay, das war jetzt sehr überzeugend.) "Nein. Ich habe dich gefragt, wo du bist." Ich stelle mich strohdumm:"Siehst du mich nicht? Ich bin hier." Er nimmt mir die Einfältigkeit nicht ab. Natürlich nicht! "Tue nicht so, als wärst du eine lernbehinderte Amöbe! Du weißt genau, was ich meine!" Gut. Ich habs wenigstens versucht, aber es führt wohl kein Weg daran vorbei: "Was ist mit dir los Momo?" Auf einmal packt er mich fester. "Bitte lass mich nicht allein!" fleht er mich schon beinahe an. "Was?!" lache ich ungläubig. "Warum sollte ich dich allein lassen?" Seine Antwort kommt überraschend prompt: "Weil ich dich nicht sehe." Alle meine Glieder erschlaffen auf der Stelle. Was hat er gerade gesagt? Er sieht mich nicht?! Ich weiß ja, dass er ein Weiberheld ist, aber, dass ihm dass mit mir auch nichts wert ist? Unsere ganze Freundschaft? Bin ich etwa nichts? Bedeute ich ihm nichts mehr? Bin ich nur noch eine von vielen? Habe ich ihn also völlig falsch eingeschätzt? Ich schnaube und mache mich mit einem Ruck los. "Okay. Gut. Dann gehe ich jetzt. Und glaub nur ja nicht, dass ich demnächst wieder auf deiner Schwelle stehe!" Mit ein paar Schritten bin ich an der Tür. Da fällt mir noch etwas ein: " Ach ja, und mit deiner Platzwunde solltest du vielleicht mal zum Arzt gehen!" Wutentbrannt drehe ich mich auf dem Absatz um. er rührt sich nicht vom Fleck. Ich höre nur noch, wie er mir hinterher ruft: "Coco! Du hast mir doch versprochen, dass du mich nicht allein lässt!" "Das kannst du dir sonstwohin schieben!" brülle ich zurück. Da stehe ich auch schon in meinem Pyjama in einem Chaos von Gedanken und Gefühlen auf dem, von Laternen beleuchteten, Gehweg. »Ich sehe sich nicht.« Pff. Dann soll er mal ausprobieren, ob er mich immer noch nicht sieht, wenn ich ihn nicht sehe...Okay Guys! Drama pur! Das macht so Spaß, auch wenn es übelst klischeehaft ist... ;D
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Coco
Novela JuvenilDas Leben der drei Teenager Coco, Momo und Leiza hätte durchschnittlicher nicht sein können. Sie wohnen in einer Kleinstadt, gehen ganz normal zur Schule und erwarten nichts ungewöhnliches von ihrer Zukunft. Eines Tages ist das alles vorbei. Die kle...