2. Weißer Fleck auf der Landkarte/ Orangenreiniger

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"Momo!" Ich hämmere mit den Fäusten gegen die weisse Haustür. Na ja sie war mal weiß gewesen. Die Farbe war nicht lichtecht und jetzt schimmert überall das gelbliche Holz durch. "Momo!" schreie ich zum sicher zehnten Mal. Die Tür wird geöffnet. Karla - Momos Mutter - sie wirkt genervt. Es ist das erste mal, dass ich sie so sehe. "Hermine. Wir haben auch eine Klingel." Okay, vielleicht habe ich nicht ganz die Wahrheit gesagt, als ich erzählt habe, mich würden jetzt alle Coco nennen. Karla tut es beispielsweise nicht, aber das liegt wohl daran, dass sie mich schon seit meiner Geburt kennt und sich jetzt irgendwie nicht umgewöhnen konnte.
Sie ist sonst nie schlecht gelaunt. Also wirklich nie! Samantha sagt, es gäbe Menschen, die keine einzige Minute ihres Lebens schlecht gelaunt sind. So ganz kann ich ihr das nicht glauben, aber auf Karla würde es zutreffen. Bis jetzt. Die beiden kennen sich gar nicht. Also Samantha und Karla. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb sie mir auch noch nie ein Beispiel für eine solche Person geben konnte. Aber eigentlich uss sie es ja am besten wissen. Schließlich ist sue die Psychologin von uns beiden. Ich merke, dass ich mit offenem Mund dastehe und ins Leere starre. Karla schmunzelt. "Wolltest du nicg irgendwas, oder nur mir einen schönen Tag wünschen?" Jetzt ist sue wieder ganz die Alte. Mit einem warmen entschuldigenden Lächeln auf den Lippen. Wenn ich sie so sehe, wünsche ich mir manchmal, sie wäre meine Mutter. Eine Mutter, die einen Morgens aufweckt mit diesem Lächeln, die für einen da ist mit diesem Lächeln, die nicht mit einem anderen abhaut, die einen nicht plötzlich auf... Karla tippt mich an. Vor Schreck schnappe ich nach Luft. "Ich vermute mal, du willst zu Momo. Richtig?" Peinlich berührt nicke ich.
Sie hat frisch geputzt. Man riecht noch den feinen Duft des Orangenreinigers, mit dem sie die Steintreppe gewischt hat. Wenn ich später an diesen Tag zurück denke, werde ich immer den Geruch von Orangenreiniger in der Nase haben.
Mir fällt wieder ein, weshalb ich hier bin und so sprinte ich die Treppe rauf. -Ich habe sie getroffen - Karla scheint mir noch irgendetwas sagen zu wollen, aber da bin ich auch schon in sein Zimmer rein geplatzt. Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Wie so oft heute Nachmittag steht mir der Mund offen,aber diesmal gerechtfertigterweise. Momo hat sein Zimmer aufgeräumt. Was... Hä?! Was zur Hölle ist hier los? Er räumt sonst nie auf. Normalerweise sieht sein Zimmer in Karlas Worten so aus »Wie bei Hempels unterm Sofa.« Er sagt er fühle sich wohler, wenn sein Zimmer unaufgeräumt ist. Bis jetzt habe ich das noch nie nachvollziehen können, aber jetzt, wo ich es im aufgeräumten Zustand sehe, glaube ich, ihn verstehen zu können. Es sieht aus, als wohne hier niemand. Alles ist in Wandschränken verstaut, sodass das Zimmer absolut leer wirkt. Er mustert mich jetzt schon seit geraumer Zeit. Wir müssen wirklich ein tolles Bild abgeben. Er, der mich anstarrt und ich, die sein Zimmer anstarrt. Schließlich zieht jedoch ein Grinsen über seinen linken Mundwinkel. "Mund zu, Kleine!" Mit einem Brüllen werfe ich mich zu ihm aufs Bett und beginne scherzhaft auf ihn ein zu prügeln. "Hör gefälligst auf, mich Kleine zu nennen! Ich bin nicht klein!" "Doch das bist du." "Na gut. Ich bin klein, aber hör auf, es mir ständig unter die Nase zu reiben und mich Kleine zu nennen." "Ich nene dich wie ich will... Kleine... " Mit einem schalkhaften Glitzern in den Augen dreht er mich um, sodass meine Schultern die Matratze berühren und er auf mir liegt. Wäre das hier ein Film, würde jetzt ein ausgiebiger,endlos langer Kuss folgen, schießt es mir durch den Kopf. Aber nicht so bei uns. Wir sind »nur« beste Freunde. Und eine Beziehung dieser Art? Unvorstellbar!
Ich grinse von einem Ohr zum andern, wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland. Wir haben den Film im Kino angeschaut. Am ersten Tag, an dem er in die Kinos kam. Wir, das waren Momo, Leiza und ich. Vermutlich war das das erste und letzte Mal, dass wir etwas zu dritt unternommen haben. Leiza und Momo: keine gute Kombination. Zu der Zeit, als ich mich noch nicht mit Leiza verstanden habe, habe ich mich desöfteren bei ihm über sie ausgelassen. Meistens hörte er mir nur amüsiert zu und zog ab und zu sogar den linken Mundwinkel hoch, aber irgendwie müssen meine Erzählungen über ihre Gemeinheiten bei ihm hängen geblieben sein. Auf jeden Fall hatte ich vor und nach dem Film keine ruhige Minute mit den beiden. Viele von euch denken sich jetzt wahrscheinlich: Was sich liebt, das neckt sich. Aber so ist das nicht mit den beiden. Sie können sich einfach nicht ausstehen. Mit einem Grinsen rollt er runter von mir. "Also. Was musstest du mir so dringend sagen? Ich hole tief Luft. Samantha sagt, das gibt Kraft. Mal wieder hat sie recht. "Ich habe jemanden kennengelernt." Auf der Stelle ist er total interessiert. "Wer, wie, wo, kenne ich ihn? Wie sieht er aus? Wann..." "Es ist kein Er." Irgendwie macht es mir ziemlich Spaß, ihn noch eine Weile zappeln zu lassen. Er runzelt die Stirn. "Du hast mir nie erzählt, dass du lesbisch bist!" meint er vorwurfsvoll. Beschwichtigend hebebich die Hände. "Also erstens: Bin ich auch nicht. Ich bin keine Lesbe..." Augenblicklich kehrt das Glitzern in seine Augen zurück. Ich kann nicht so ganz glauben, dass ich das gerade wirklich gesehen habe. "Sag mal, hast du was gegen Lesben?!" frage ich ihn gespielt aggressiv. "Nein. Nein! Natürlich nicht! Es ist nur... Ach vergiss es. Also wen hast du dann kennengelernt?" Ich lasse eine kleine poetische Pause und sage dann bedeutungsschwer: "Ich glaube, ich habe meine Mutter kennengelernt." Oh Gott! Das hört sich noch schlimmer an als gedacht. Um genau zu sein, hört es sich an, als wäre ich gerade aus einem von diesen schrecklichen Familiendramen entsprungen, die Momo und ich so hassen. Actionfilme, die sind eher unser Kaliber. Aber Familiendramen? Eher würden wir beide nackt durch die ganze Stadt rennen, als uns eine von diesen schrecklich überdramatischen, schmalzigen Schnulzen freiwillig reinzuziehen!
Momo starrt mich entgeistert an. "Du verarschst mich Kleine, oder?" "Nein! Tue ich nicht! Wirklich nicht! Ich habe sie echt getroffen!" Er scheint etwas Zeit zu brauchen, um zu verstehen, was ich da gerade gesagt habe. "Das heißt... Oh mein Gott, Coco! Dass ist doch verdammt noch mal unglaublich! Wie genau hast du sie kennengelernt? Ich will alles wissen! Im DETAIL!" Belustigt über seinen Eifer ziehe ich den linken Mundwinkel hoch, was ihm einen Lachflash beschert. "Du bist süß." japst er. Ich bin »süß«? okay, das ist das erste Mal,dass ich das von ihm höre. Er tut so, als wäre nichts. "Hey," stupst er mich an, "schieß los, bevor deine Gedanken dich von innen heraus auffressen." Und so erzähle ich ihm, wie ich heute Mittag durch due Innenstadt gebummelt bin. Normalerweise machen wir das gemeinsam. Dann ziehe ich ihn von einem Geschäft zum nächsten, schon allein wegen der Freude, die es mir bereitet, wenn er so richtig genervt von den ganzen Kleidern ist. »Coco« sagt er dann manchmal. » Coco, du weißt, dass ich nichts gegen Mode habe, dass ich einen guten Geschmack habe und dass ich gerne berate, aber jetzt ist es genug.« Heute war ich alleine unterwegs. Momo hatte irgendeinen Arzttermin. Fragt mich nicht weshalb genau. Ich habe nicht weiter nachgefragt, denn es geht ihm ja gut. Wahrscheinlich irgend so eine Vorsorgeuntersuchung.
Als ich also vor meinem Lieblingsschmuckgeschäft stand, kam auf einmal eine Frau auf mich zu und stellte sich stumm neben mich, um ebenfalls ins Schaufenster zu starren. Ich hatte sie noch nie gesehen. Sie musste von außerhalb sein, denn in unserem kleinen Städtchen kenne ich jeden zumindest vom sehen. "Ist das dein Lieblingsschmuckgeschäft?" sprach sie mich an. Ich nickte, woraufhin sie mir zuzwinkerte und verschwörerisch flüsterte: "Meins auch." Völlig perplex starrte ich sie an. Sie kannte diese Stadt? Sie hatte sogar ein Lieblingsgeschäft? Die Frau mit den roten Locken ignorierte meinen dümmlichen Blick und streckte mir die Hand hin. "Ich bin Brenda." stellte sie sich vor. "Ich bin hier um meine Tochter zu besuchen." Ein gespanntes, interessiertes Funkeln in ihren Augen. Ich konnte das Rattern in meinem Kopf beinahe hören. Woher kannte ich diese Frau? Auf einmal fiel mir auf, dass sie noch auf eine Antwort wartete. Also streckte ich ihr die Hand hin und meinte: "Freut mich. Ich bin Hermine. Aber nennen sie mich Coco." Doch noch bevor unsere Hände sich berührten machte es Klick in meinem Kopf. Entgeistert glotzte ich sie an. Sie schaute nicht minder erschrocken zurück. Da ich keine Ahnung hatte, wie ich mich verhalten sollte, drehte ich mich auf dem Absatz um und rannte in Richtung Zuhause. "Und hier bin ich jetzt." ende ich. In einer plötzlichen Regung zieht er mich an sich und drückt mich. Sein Aftershave riecht wirklich verboten gut. Ich bin so durcheinander, dass ich beginne, hemmungslos los zu heulen. Er drückt mich nur noch fester. Sagt nichts. Er weiß, dass ich heule, weil ich so verwirrt bin. Er weiß, was für gemischte Gefühle ich für meine Mutter habe. Ich habe ihm immer davon erzählt. Momo versteht mich und lässt mich weinen. Er hat kein Problem damit, es macht ihn nicht nervös, und so sitze ich einfach da in seinem Arm, bis ich mich wieder beruhigt habe.
Samantha hat wieder einmal Recht. Von jemandem fest in den Arm genommen zu werden, ist wirklich unglaublich beruhigend. Was? Ihr fragt, wer Samantha eigentlich ist? Ich habe euch ja schon erzählt, dass sie Psychologin ist. Nebenbei sollte ich vielleicht noch erwähnen, das sie die Mutter von Leiza ist. Eine echt coole Mutter. Genau wie ihr Mann - Mirko,der auch Psychologe ist - hat sie eine wahnsinnige Menschenkenntnis. Leiza hat wirklich Glück mit ihren Eltern.
"Ich glaube,ich gehe mal rüber." flüstere ich Momo schließlich zu. Er lässt mich locker. Da fällt mir noch etwas ein: "Warum hast du eigentlich aufgeräumt?"
"Warum nicht?"
"Mach mir nicht vor, dass du dich so wohler fühlen würdest."
"Tu ich auch nicht."
"Warum dann?" Er zuckt mit den Schultern. "Bin immer über mein Zeugs gestolpert. Das hat mich genervt." Ich sehe ihn skeptisch an. Mein Blick wird jedoch nur mit einem Unschuldslächeln vergütet. Ich glaube ihm nicht, dass das der Auslöser war. Warum sollte er auf einmal über seine Sachen fallen, wenn er es die letzten sechzehn bis siebzehn Jahre nicht getan hat? Irgendetwas stimmt hier nicht. Irgendetwas verheimlicht er mir. Irgendetwas. Ich kann es nicht sehen, nicht hören, nicht riechen, aber ich fühle es. Irgendetwas ist faul.

Okay Leute. Vermutlich werde ich heute noch ein Kapitel hochladen. Es warten nämlich grade noch 6 Kapitel in meinem Notizbuch darauf, abgetippt zu werden. Seid gespannt, denn es wird dramatisch...

Ach ja, und ich freue mich immer über Rückmeldung und neue Ideen, sodass ich die Geschichte verbessern kann!!!
<3 josophiehanna

CocoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt