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A Matter of TIME - 1

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„Bitte seien Sie jetzt alle ruhig, ich würde gerne anfangen", beschwerte sich Mr. Miller lautstark und schaffte es selbst damit kaum, flächendeckend durch den aktuellen Geräuschpegel durchzudringen, der in seinem Vorlesungssaal herrschte. „Kommt schon, meine Herrschaften. Ich weiß, es ist der erste Tag des neuen Semesters und Sie haben sich alle sehr viel zu erzählen, aber wir sind doch schließlich hier, um etwas zu lernen oder etwa nicht?", versuchte er es wieder, nachdem er bei seinem ersten Anlauf größtenteils ignoriert worden war.

„Etwas lernen? Bei Mr. Miller? Das ist der Witz des Tages", tönte eine Kommilitonin, die zwei Plätze links von mir saß und machte sich dabei nicht einmal die Mühe, ihre Stimme zu senken.

Mr. Miller war ein schon etwas älterer Mann und es dürften ihm nicht mehr viele Jahre zur Pensionierung fehlen. Er hatte schon lange ein Hörgerät, weswegen er manchmal auch lauter sprach, als eigentlich nötig, und er uns dennoch manchmal nicht richtig verstand – vermutlich war es falsch eingestellt. Der rundliche Mr. Miller, der kein einziges Haar mehr auf dem Kopf hatte, war an Verwirrtheit an der Wildwood University nicht zu übertreffen.

Frustriert ließ ich meinen Oberkörper auf die kalte, harte Tischplatte sinken und legte mein Kinn auf den Oberarmen ab, nachdem ich die Kapuze meines dunkelblauen Hoodies noch etwas tiefer in mein Gesicht gezogen hatte. Heute war der absolute Tiefpunkt, aber es war schließlich auch, wie Mr. Miller so treffend festgestellt hatte, der erste Tag des neuen Semesters im neuen Jahr. Somit befand ich mich schon im zweiten Semester meines Masterstudiums im Bereich Wirtschaft. Das bedeutete, dass ich insgesamt nur noch drei weitere vor mir hatte. Wenigstens etwas Positives, an das ich mich vor allem an diesem Tag immer wieder selbst erinnern konnte.

„Miss Miles", hörte ich Mr. Millers kratzige Stimme, die in ihrem Leben wohl eindeutig zu viele Zigaretten gesehen hatte, und schreckte hoch. „Sind Sie auch bei uns?"

Um mich herum breitete sich kurz hämisches Gelächter aus und ich stellte nach einem schnellen Seitenblick fest, dass es im Vorlesungssaal mittlerweile verhältnismäßig ruhig geworden war und die Leute darauf warteten, dass Mr. Miller seine Vorlesung begann. Ein unbehagliches Gefühl machte sich umgehend in mir breit, doch ich widerstand dem inneren Drang danach, mich einfach noch weiter in meiner Kapuze zu verkriechen und richtete mich schließlich wieder senkrecht auf, verschränkte allerdings die Arme vor der Brust.

„Ja, ich höre zu", bemerkte ich leise, was er vermutlich nicht einmal hörte.

„Würden Sie bitte Ihre Kopfbedeckung runternehmen? So etwas dulde ich nicht in meiner Vorlesung. Das ist ziemlich respektlos, Miss Miles."

Respektlos? Bisher hatten ihn meine Hoodies nie gestört. Sonst regte er sich nicht einmal darüber auf, wenn Kommilitonen während seiner Lesung aßen. Ich musste mich sehr darauf konzentrieren, nicht theatralisch mit den Augen zu rollen, als ich seiner Bitte dennoch umgehend Folge leistete und ihn dann abwartend ansah. Sein Blick verharrte noch einige weitere Sekunden auf mir, bis er sich schließlich wieder von mir losriss und erneut alle in diesem Saal sitzenden Studenten adressierte. Ich hasste VWL und als Mr. Miller begann, den Lehrplan für das kommende Semester zu erläutern, wurde mir schnell klar, dass ich bei Weitem nicht die Einzige war, die eine tiefsitzende Abneigung gegen dieses Fach hatte. Leider musste es aber sein.

Miller redete über den Keynesianismus, den ich schon immer zutiefst verabscheut hatte und der mich in rasender Geschwindigkeit dazu verleitete, einfach nicht länger zuzuhören. Die Vorlesungen dieses Dozenten waren aber auch einfach für die Tonne, doch vermutlich war es an jeder Universität so, dass es Lehrkräfte gab, die zwar mit Sicherheit über ein enormes Wissen verfügten, dieses aber schlicht und ergreifend nicht entsprechend vermitteln und weitergeben konnten. Ich versuchte nicht allzu oft darüber nachzudenken, dass meine Einschreibung an dieser Uni meine Eltern beinahe an den Rand der Armut trieb, auch wenn sie das niemals zugaben oder überhaupt mal zum Thema machten. Dennoch hatten sie sich nicht davon abbringen lassen, egal wie viel Können ich in meine Redekunst investiert hatte. Eigentlich war ich mit sechsundzwanzig auch schon zu alt, um noch weiter zu studieren – zumindest war das meine persönliche Ansicht zu diesem Thema – aber aus finanzieller Sicht hatte sich das nicht früher regeln lassen. Ich hoffte einfach nur jeden Tag, dass sich diese ganze Arbeit und Mühe und der finanzielle Aufwand meiner Eltern und mir sich auch rechnen würden.

A Matter of TIME - AMOT I [abgeschlossen] #NewAdultRomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt