Missionierungsarbeit

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Während die Wächter sich umringt von riesenhaften Wölfen zusammendrängten, ging Sofie auf sie zu. Sie sah, wie Luc sich entfernte, sicher, um seine menschliche Gestalt anzunehmen. Er wollte zu den Dorfbewohnern sprechen. Doch dafür mussten sie bereit sein zuzuhören.

Sofie trat zwischen Bando und Gaian und musterte die Männer. Die Gesichter waren ihr immer noch vertraut, doch der Ausdruck, als einige der Wächter den Blick auf sie richteten, war ein vollkommen anderer. Es war deutlich zu sehen, wie verraten sie sich fühlten. Sie glaubten, Sofie sei gekommen, um das Dorf zu überfallen. Und wie sollten sie auch nicht? Der Kampf hatte derart schnell begonnen ...

Sie suchte nach jemanden, der ihr wohlgesonnen gewesen war, als sie noch im Dorf lebte. Schnell fand sie das Gesicht von Lasslo, dem Dorfschmied und hielt seinen Blick fest in ihrem.

»Ihr müsst uns anhören«, erklärte Sofie beschwörend. »Es war nie unsere Absicht jemanden zu verletzen. Das wäre auch nicht nötig gewesen, wenn ihr uns nicht angegriffen hättet.« Sie konnte sehen, wie Lasslo den Mund öffnete, um den Vorwurf zu kommentieren doch sie schüttelte den Kopf. »Schon gut. Ihr müsst zuhören. Die Welt ist nicht, wie sie scheint. Wir haben herausgefunden, wer hinter den verschwundenen Kindern steckt. Es verschwinden auch Wölfe, wusstet ihr das? Sie haben mir das Leben gerettet.«

Lasslo sah sie lediglich schweigend an. Sofie hätte weiterreden können, doch was würde das bringen? Je mehr sie nun vor sich hin brabbelte, desto unglaubwürdiger wirkte sie. Also ließ sie die Worte wirken, die sie bereits an die Wächter gerichtet hatte. Wenn es ihnen gelang, diese Männer zu überzeugen, würde es bei dem Rest der Dorfbewohner ein Leichtes werden.

»Warum sollten wir dir glauben?«, fragte Lasslo schließlich.

Sofie atmete auf. Nach Sorin war er derjenige, auf den die Männer im Dorf hörten. Sein Können in der Schmiedekunst hatte dazu geführt. Es war gut, dass er sich auf das Gespräch einließ. Sie lächelte also und versuchte ruhig zu bleiben. »Ich lebe noch, oder nicht? Ich stehe hier vor euch. Und ihr kennt mich. Glaubst du wirklich, ich würde mit den Wölfen geschlossen hier stehen, wenn es sich anders verhielte?«

»Du bist eines dieser Monster!«, rief einer der Männer. »Ich habe es gesehen, als du Sorin angegriffen hast.«

Nun zögerte Sofie. Es zu leugnen würde nichts bringen. »Ich wurde infiziert. Durch die Menschen, die auch die Kinder entführen, um diese ebenfalls zu infizieren. Es ist ... eine Art Krankheit, doch ich bin im Gegensatz zu vielen anderen, nicht daran gestorben.« Sie schluckte, als sie an Bea dachte. »Und ich bin auch immer noch ich, anders als meine Schwerster es war.«

Die älteren Männer holten erschrocken Luft. »Du hast Bea gefunden?«, fragte Lasslo ungläubig.

Trauer führte dazu, dass Sofies Herz sich schmerzhaft zusammenzog, doch sie nickte. »Habe ich«, gestand sie langsam. »Inzwischen lebt sie nicht mehr. Die Infektion ... Sie hat sie zu einem seelenlosen Monster gemacht. Sie hat diesen Männern geholfen weitere Kinder und auch Wölfe zu entführen.«

»Wer hat sie getötet?«

Wieder zögerte Sofie. Sie wollte ehrlich sein, doch wie würden die Männer es aufnehmen? Zitternd holte sie Luft: »Ich. Sie hat gedroht, meine Freunde zu holen. Einen nach dem anderen, während sie mich angriff, um mich ebenfalls zu töten. Ich wünschte, es hätte einen anderen Weg gegeben. Doch ihre ... Krankheit war zu weit fortgeschritten.«

»Du tötest dein eigen Fleisch und Blut, um diese Hunde zu retten?«, rief wieder der Mann von davor.

Sofie versuchte den Vorwurf beiseitezuschieben und hielt ihren Blick fest auf Lasslo gerichtet. »Die Welt ist eine andere, als man uns weißmachen möchte. Die Magier ... Sie beherrschen keine Magie.« Hoffentlich würde dieses Beispiel etwas bringen.

»Sie schießen Feuer aus ihren Händen? Wie nennst du es, wenn nicht Magie?«, fragte Lasslo. Er wirkte nicht abwehrend, nur interessiert.

Sofie hob den Arm, drehte sich ein wenig zur Seite und visierte einen Baum an. Dann bewegte sie ihre Finger, um den Handflammenwerfer zu aktivieren.

Die Feuerkugel schoss hervor und raste auf den Baum zu, der sofort in Flammen aufging. Ein kollektives Aufstöhnen ging durch die Männer. Sofie drehte sich wieder zurück und zog ihren Ärmel ein Stück nach oben, um ihnen die Manschette zu zeigen.

»Dies hier ist ein Handflammenwerfer. Ein technologisches Gerät, mit dem jeder Mensch Feuerkugeln erzeugen kann, wenn er weiß, wie man damit umgeht.« Sie ließ die Hand wieder sinken. »Es sind keine Magier. Es sind Mitarbeiter einer Organisation, die Versuche an Menschen, Wölfen, Vampiren und sogar den Ghoulen durchführt.«

Keiner der Wächter schien Worte zu finden. Sofie entging nicht, dass viele noch auf den schwelenden Baumstamm starrten.

»Hört euch an, was wir zu sagen haben. Solltet ihr danach immer noch der Meinung sein, wir wollen euch etwas Böses, werden wir gehen und euch nicht weiter behelligen. Ich gebe euch mein Wort.«

»Das Wort eines Monsters!«, schrie erneut der Mann, dessen Einwände nun schon häufiger ertönt waren.

Ehe Sofie etwas sagen konnte, fuhr Lasslo zu ihm herum. »Halt den Mund, Daron!«, wies er den Mann an. »Wir werden uns anhören, was sie zu sagen haben. Zunda, Kuna, ihr geht die Dorfältesten holen, ich möchte, dass sie dabei sind. Auch die weiblichen!«

Zunda und Kuna waren von ihrer Mutter behandelt worden an dem Tag, bevor Sofie das Dorf verlassen hatte. Sie erinnerte sich gut daran. Die beiden nickten und zogen sich unsicher in Richtung Dorfeingang zurück. Die Wölfe machten ihnen anstandslos Platz.

Luc tauchte wieder auf, diesmal in seiner menschlichen Gestalt. Als Sofie sich zu ihm herumdrehte, lächelte er ihr zu und nickte. Er hatte jedes ihrer Worte über ihre Gefährtenbindung mitbekommen und schien zufrieden damit zu sein.

Neben ihr blieb er stehen und betrachtete die Menge. Sofie beobachtete ihn genau. Es war deutlich zu sehen, dass er über sein Vorgehen nachdachte. Dann sah er, ebenso wie Sofie es getan hatte, zu Lasslo. »Du hast hier das Sagen?«, fragte er mit ruhiger Stimme.

Lasslo wandte sich zu den Männern um. Einige von ihnen nickten, andere starrten betreten zu Boden. Dann blickte er wieder zu Luc. »Sieht danach aus«, antwortete der Dorfschmied.

»Dann such deine Leute zusammen, die du bei unserem Gespräch dabei haben möchtest. Ich werde Gabe und Sofie hierbehalten und den Rest des Rudels zurück in unser Dorf schicken. Mein Zeichen an euch, dass ich euch vertraue. Ich hoffe ihr missbraucht es nicht.«

»Das klingt fair«, bemerkte Lasslo und seufzte dann. »Wir werden in die Schenke gehen. Dort sollte genug Platz für alle sein, die an diesem Gespräch teilnehmen wollen. Ich möchte niemanden ausschließen. Jeder muss für sich entscheiden. Allerdings darf niemand, der nicht teilnimmt, hinterher unsere Entscheidung in Frage stellen, inwieweit wir euch vertrauen. Entschließen wir uns, mit euch zu kooperieren, ist dieser Entschluss bindend für das gesamte Dorf.«

»Dies scheint mir annehmbar.« Luc drehte sich zum Rudel um und ließ seinen Blick über die vielen Wölfe schweifen. »Ihr habt es gehört. Geht zurück ins Dorf. Wir werden nachkommen, sobald wir hier alles geregelt haben.«

Sofie entging der vorwurfsvolle Blick von Gaian und einigen der anderen Wölfe nicht, doch Luc ignorierte es. Er war der Alphawolf und damit mussten sie sich seinem Willen fügen. Gabe erschien dankbar, diesmal nicht wieder zurückgeschickt zu werden, da er als Stellvertreter all zu oft im Dorf blieb, wenn Luc auf eine Mission ging. Sie selbst war überrascht, dass Luc ihr gestattete zu bleiben. Doch dann wurde ihr der Sinn dahinter klar. Die Menschen in Lovlin kannten sie. Auch wenn sie fast zwei Jahren nicht mehr zur Dorfgemeinschaft gehörte, setzte Luc darauf, dass man ihr eher vertraute, als den Wölfen.

Die Wächter sahen dabei zu, wie die Wölfe sich zurückzogen und schließlich im Wald verschwanden. Dann betrachtete Lasslo Luc, Gabe und Sofie für einen Augenblick, ehe er nickte, als sei er zu einer Entscheidung gekommen.

»Folgt mir«, wies er sie an und drehte sich um, um ins Dorf zurückzugehen. Sofie und ihre Begleiter folgten der Aufforderung, gespannt, was nun auf sie zukam.

Fedora Chroniken III - Keim der HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt