Sofie schlief am Tag nach dem Kampf sehr lange. Es war zermürbender gewesen, als vermutet. Doch ihr Erfolg in Lovlin war all dies wert. Sie hatten wie erhofft Verbündete gefunden. Und dank Zandas und Kunas Hilfe würden die Opfer in den anderen Dörfern lediglich unter den Magiern zu finden sein.
Es beschäftigte Sofie immer noch, dass Sorin gestorben war. Sie hatte nie vergessen, dass er ihr zugehört hatte, als es um das seltsame Verhalten der Werwölfe ging. Für einen kurzen Augenblick hatte sie sich gleichberechtigt gefühlt und ihrer Ansicht nach, war sein Tod ein Verlust.
Doch es war, wie es war und sie konnten es nicht ändern. Es gab wichtigere Dinge zu tun. Luc hatte für heute die erste Trainingseinheit für die beiden Jäger aus Lovlin eingeplant und das wollte Sofie unter keinen Umständen verpassen. Es wäre spannend, zu sehen, wie sie sich mit den neuen Waffen anfreunden konnten. Zudem war Luc der Ansicht, es könnte hilfreich sein, wenn sie ebenfalls anwesend sei.
Aus diesem Grund ging sie nach dem Frühstück nicht wie üblich in die Klinik, sondern steuerte die Waffenkammer an. Dort würde Luc bestimmt schon auf sie warten. Ob jemand daran gedacht hatte, Zanda und Kuna aus dem Gästehaus zu holen? Es wäre nun vorerst ihr Heim. Sofie konnte ihre Bitte, gemeinsam ein Haus bewohnen, nachvollziehen. Mitten unter Wölfen war es für die beiden bestimmt eine Umstellung. Ihr ganzes Leben war ihnen anerzogen worden, die Wölfe seien das böse. Ebenso wie ihr. Und nun lebten und arbeiteten sie mit ihnen gemeinsam. In dem Haus jedoch waren sie unter sich. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sie abends zusammensaßen und ihr erlerntes Wissen gegen das abwogen, was sie hier erlebten.
Wie sie wohl reagieren würden, sobald sie auf Riaan trafen? Der Vampir lebte nach wie vor im Dorf. Nachdem er Lenaya und ihr zur Hilfe geeilt war, bemühte Sofie sich darum, besser mit ihm zurechtzukommen. Meistens gelang es ihr. Sie mochte ihn immer noch nicht sonderlich, er war zu ruhig, zu eigenbrötlerisch. Doch man konnte sich auf ihn verlassen und dies war die Hauptsache.
Es war alles nicht einfach. Noahs Verrat hatte die Vampire schwer getroffen. Lenaya hatte Sofie in einem ruhigen Augenblick gestanden, sie hätte schon länger einen Verdacht gehegt, doch das ...? Es war ihnen nicht gelungen herauszufinden, was Noah dazu gebracht hatte, mit Virtus zusammenzuarbeiten. Er war zu schnell gestorben, so hatten sie ihn nicht mehr befragen können.
Und Bea ... Als Luc und die Wölfe ihre Leiche verbrannten, hatte Sofie sich geweigert wegzugehen. Wie viele Stunden hatte sie den Tod ihrer Schwester beweint? Sie konnte es nicht sagen. Es war seltsam. Bis zur letzten Sekunde hatte sie gehofft, sie könne sie retten. Doch ihre Hoffnung war zerschlagen. Um ihre neue Familie zu beschützen, hatte sie ihre Schwester umbringen müssen. Beatrices Blut würde auf ewig an ihren Händen kleben.
Sofie schüttelte die betrüblichen Gedanken ab, als sie in das Waffenlager trat. Luc und Gaian waren bereits da, doch Zanda und Kuna fehlten. Sie lächelte ihren Gefährten und seinen jüngeren Bruder zu. »Hat einer von euch daran gedacht, unsere Gäste hier her zu holen?«, erkundigte sie sich.
»Natürlich«, antwortete Luc und runzelte die Stirn. »Ich bin ja nicht blöd. Wenn ich daran denke, wie überfordert du die ersten Tage hier warst, wie hätte ich es da vergessen können?«
Während Gaian kicherte, widerstand Sofie dem Drang, Luc einen bösen Kommentar an den Kopf zu werfen. Auch den kindischen Impuls die Zunge herauszustrecken und laut »Bäää« zu rufen, unterdrückte sie. Und doch ... das erste Mal seit Beas Tod, war ihr danach laut zu lachen. Sie fühlte sich, mit einem Mal, vollkommen losgelöst von allen Was wäre wenns und Abers. Lag es daran, dass sie nun endlich etwas taten, um gegen das wahre Böse vorzugehen? Oder war die Ursache eine andere?
Konnte es sein, dass seelische Wunden einfach mit der Zeit weniger schmerzhaft waren? Sie waren nicht verheilt. Weder den Tod ihrer Mutter, noch den ihrer Schwester hatte sie vergessen. Der Gedanke an die beiden schmerzte immer noch. Doch es schien leichter zu werden. Als Bea vor vielen Jahren verschwand, hatte Sofie immerzu an der Hoffnung festgehalten ihre Schwester eines Tages wiederzufinden. Sie hatte sie gefunden und wieder verloren. Diese Tatsache war schmerzhafter, als die Unwissenheit, in der sie dermaßen viele Jahre verbracht hatte. Hinzu kam das Wissen, selbst für den neuerlichen Verlust verantwortlich zu sein.
Sofie atmete tief durch. Sie bemerkte selbst, wie sich ihre Gedanken im Kreis bewegten. Wieder schob sie die Erinnerung an Bea beiseite und konzentrierte sich auf die vor ihr liegende Aufgabe. »Also, was ist geplant? Welche Waffen willst du ihnen zeigen?«
»Sie sind kampferprobt. Du meintest, sie seien Jäger gewesen, also werden sie sich mit den Fernkampfwaffen die in eurem Dorf üblich waren gut auskennen. Ich dachte, wir setzen an diesem Punkt an. Sie haben bestimmt eine gute Hand-Augen-Koordination, also beginnen wir mit den Schusswaffen.
»Klingt nach einer guten Idee. Sie werden sich bestimmt geschickter anstellen, als ich.«
Wieder kicherte Gaian. Als Sofie ihren Blick auf ihn richtete, grinste er sie breit an. »Du hättest Luc beinahe in Flammen aufgehen lassen.«
Luc warf seinem jüngeren Bruder einen warnenden Blick zu, doch Sofie grinste ebenfalls. »Und du meintest, seine schnellen Reflexe in der Situation rührten daher, dass nicht nur ich diesen Fehler gemacht habe. Und ich muss dich nicht daran erinnern, dass ich mit dem Handflammenwerfer inzwischen sehr gut umgehen kann.«
»Nein, musst du nicht«, stimmte Gaian zu. »Du bist in vielen Dingen besser geworden. Und ich auch.«
»Ihr seid beide noch lange nicht gut genug. Also hört auf euch hoch zu loben und konzentriert euch lieber auf das Training«, ging Luc dazwischen. Er war wieder im Alphawolfmodus, doch Gaian reagierte ebenso wenig darauf, wie Sofie. Sie grinsten ihn lediglich an.
Der Alpha rollte mit den Augen und knurrte leise. Nun war es Sofie, die kicherte. Sie kannte dieses Gebaren von Luc bereits. Am liebsten würde er mit ihnen herumalbern, doch sein Status ließ es nicht zu. Von ihm erwartete man, dass er als Vorbild diente und immer den Überblick behielt. Doch sie hatte ihn in seiner Wolfsgestalt beobachtet, wenn er mit Gaian und den anderen Jünglingen im Dorf herumtollte. Zwar behauptete er immer, es sei notwendig, um ihre Instinkte zu trainieren, wenn auch auf spielerische Weise, doch Sofie wusste es besser. Es waren die Momente, in denen er seiner wölfischen Spielnatur freien Lauf lassen konnte.
Die Tür öffnete sich und Bando trat gefolgt von den beiden Jägern in den Vorraum. Die losgelöste Stimmung von Gaian und Sofie verschwand sofort – die grinsenden Gesichter wurden ernst. Nun würde es zur ersten Übungseinheit für die beiden Jäger kommen.
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Fedora Chroniken III - Keim der Hoffnung
FantasyAbgeschlossen. Die Rassen haben sich zusammengeschlossen, um gegen Virtus vorzugehen. Sophie und die Wölfe beschließen die Dörfer der Menschen über die Machenschaften der Virtus Cooperation aufzuklären. Dort erleben sie eine Überraschung, die nicht...