Kapitel 9

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Seit Lily wieder aufgetaucht war, war nun ein weiterer Monat vergangen. Inzwischen hatte ich aufgehört, Briefe an Bellamy zu schreiben, da er mir sowieso nicht mehr antwortete. Und irgendwie vertraute ich auf das, was Murphy gesagt hatte. Dass Bellamy zurückkommen würde, wenn er dazu bereit war.
Doch ich hoffte, dass er das bald war. Denn ich war mittlerweile in der 35. Schwangerschaftswoche und ich wünschte mir so sehr, dass er bei der Geburt unseres zweiten Kindes dabei sein konnte. Er war ja schon nicht dabei gewesen, als Lily geboren worden war.
Ich seufzte tief. Warum musste das Leben eigentlich so kompliziert sein? Warum konnte nicht einmal alles glatt laufen?
Während ich so über all das nachdachte, saß ich am Ufer eines kleinen Flusses und ließ meine Füße darin baumeln. Wenn ich hier war, fühlte ich mich zwar einerseits frei, doch andererseits musste ich immer an Bellamy denken. Ich stellte mir immer vor, wie perfekt es wohl wäre, wenn er jetzt neben mir sitzen würde.
„Ach, hier bist du", hörte ich plötzlich eine Stimme. Erschrocken fuhr ich herum. Es war Monty. „Ich habe schon überall nach dir gesucht."
„Warum hast du nach mir gesucht?", fragte ich auf einmal beunruhigt. „Ist etwas passiert? Geht es Lily gut?"
„Clarke, beruhige dich", meinte er und setzte sich zu mir. „Lily ist bei Kane. Es ist alles in Ordnung." Er seufzte. „Ich habe dich gesucht, weil ich mir Sorgen um dich mache."
„Um mich?", wiederholte ich ungläubig. „Warum?"
„Naja, du bist in der 35. Woche schwanger und da solltest du nicht unbedingt allein umherlaufen", merkte er an. „Was wenn dir plötzlich schwindlig wird und du umkippst?"
„Monty, es geht mir gut", seufzte ich leicht genervt. „Manchmal brauche ich eben einfach ein bisschen Zeit für mich."
Er nickte verständnisvoll. „Das verstehe ich. Ich will nur nicht, dass dir etwas passiert."
Und ganz plötzlich war ich mit meinen Nerven endgültig am Ende. Vielleicht lag es daran, dass ich von der ganzen Situation momentan überfordert war. Aber vielleicht lag es auch nur an den Hormonen wegen der Schwangerschaft. Aufgebracht stand ich auf und blickte Monty wütend an. „Für wen hältst du dich eigentlich? Ich bin erwachsen und ich brauche niemanden, der sich um mich kümmert! Ich kann sehr gut allein auf mich aufpassen. Also hau ab und lass mich in Ruhe!"
Erschrocken sprang er auf und wich ein paar Schritte zurück. „Hey, ich wollte nur helfen. Tut mir leid, dass ich dich damit verletzt habe." Sichtlich gekränkt drehte er sich um und verschwand im Wald.
Ich seufzte. Vielleicht war ich ein wenig hart zu ihm gewesen. Aber ich konnte im Moment einfach niemanden brauchen, der andauernd an meinem Rockzipfel hing.
Nachdenklich ging ich ebenfalls in den Wald hinein. Jedoch in eine andere Richtung als die, in der Monty verschwunden war. Der Wald sah noch immer so aus, wie er schon vor Jahren ausgesehen hatte. Damals hatten wir auf diesem Boden Kriege geführt. Doch jetzt war alles anders. Und trotzdem war es nicht besser als damals. Zumindest nicht für mich. Ohne Bellamy würde einfach immer ein Teil von mir fehlen.
Denn genau das war er schon immer gewesen. Ein Teil von mir. Das war er selbst da gewesen, als ich noch nicht gewusst hatte, wie sehr ich ihn liebte. Und er war nicht nur ein Teil von mir, sondern auch ein Teil meiner Familie. Und ohne ihn würde dieser Familie immer etwas fehlen.
Und ganz plötzlich hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Mir wurde ganz schlecht und schwindlig. Ich kannte dieses Gefühl nur allzu gut. Das war eine der negativen Seiten der Schwangerschaft. Aber wenn ich mich irgendwo hinsetzte, war es bestimmt gleich wieder vorbei.
Langsam ging ich zum nächsten Baum, um mich dort abzustützen. Doch bevor ich den Baum zu fassen bekam, fing sich plötzlich alles an zu drehen. Ich konnte nur noch verschwommene Bilder erkennen. Da war jemand! Ein Mann. Ich spürte, wie er seine Arme um mich legte. Und ich hatte keine Ahnung, was das sollte, aber ich konnte mich auch nicht wehren. Dafür war ich viel zu schwach. Und dann war alles schwarz.

Als ich wieder zu mir kam, wurde ich von einem grellen Licht geblendet. Ich hatte keinen Schimmer, wo ich war. Alles was ich spürte, war der harte Boden, auf dem ich lag.
Langsam versuchte ich mich aufzusetzen, um herauszufinden, was hier eigentlich vor sich ging. Doch ich war viel zu schwach, um mich zu bewegen. Vor allem brauchte ich mit dem dicken Bauch gleich noch viel mehr Kraft.
„Ganz ruhig", drang plötzlich eine sanfte Stimme an mein Ohr. „Es ist alles gut, Clarke. Bleib einfach liegen."
Ich kniff die Augen zusammen, um mich ganz auf die Stimme zu konzentrieren. Erst hatte ich gedacht, sie würde vielleicht Monty gehören, aber das war nicht Monty's Stimme. Und trotzdem war sie mir nur allzu vertraut. Sie erinnerte mich irgendwie an...aber nein, das war nicht möglich.
Und da schlug ich meine Augen wieder auf. Angestrengt kämpfte ich mit dem Licht, das mich blendete. Und dann sah ich ihn. Zuerst konnte ich nur seine Umrisse erkennen, aber dann blickte ich direkt in seine warmen braunen Augen. In Bellamy's warme braune Augen. „Bellamy...", murmelte ich erschöpft. Und wieder versuchte ich mich aufzusetzen. „Warum bist du hier?"
Doch bevor er mir eine Antwort gab, stützte er mich und half mir hoch. Dann strich er eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und blickte mir tief in die Augen. „Warum ich hier bin?", wiederholte er. „Wo sollte ich denn sonst sein, wenn nicht bei dir?" Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Außer als ich nach Lily gesucht habe, war ich die ganze Zeit über nirgendwo anders. Ich war immer entweder bei dir oder bei Lily. Vor allem nach Lily's Verschwinden habe ich euch beide nicht mehr aus den Augen gelassen."
Noch immer ein wenig benebelt drückte ich seine Hand. „Danke. Wärst du nicht gewesen, würde ich jetzt vermutlich irgendwo bewusstlos im Wald liegen und niemand hätte mich gefunden."
„Aber ich war da", entgegnete er. „Und ich werde in Zukunft immer da sein." Eingehend sah er mich an. „Also natürlich vorausgesetzt, du willst das auch wirklich."
Überrascht blickte ich auf. „Das heißt, du bleibst?", fragte ich. „Für immer?"
Lächelnd nickte er. „Für immer."

Eine Entscheidung fürs LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt