Kapitel 10

250 9 2
                                    

„Sollen wir uns langsam auf den Rückweg machen?", fragte mich Bellamy. „Deine Mum soll sich um dich kümmern."
Ich seufzte. „Bellamy, ich bin schwanger. Da kommt es nunmal vor, dass mir schwindlig wird. Das ist überhaupt nichts dramatisches. Und mir geht es schon wieder viel besser."
„Bist du sicher?"
Ein wenig genervt nickte ich. „Ja, Bellamy."
„Tut mir leid", entschuldigte er sich. „Dann machen wir uns einfach einen schönen Tag hier draußen. Wie in alten Zeiten."
Eigentlich klang das ja wunderschön und romantisch. Doch irgendwie durchströmte mich plötzlich ein seltsames Gefühl. Ich war auf einmal wütend. Nein, nicht nur wütend. Ich war stinksauer, gekränkt und fühlte mich im Stich gelassen. „Wie in alten Zeiten?", wiederholte ich ungläubig. „Es ist aber nicht mehr wie in alten Zeiten! Und das wird es auch nie wieder sein." Eingeschnappt sprang ich auf und lief davon. Zumindest so gut, wie es mit meinem Bauch eben ging.
„Clarke, jetzt warte doch mal!", rief Bellamy und rannte mir nach. „Was hast du denn plötzlich? Es ist doch alles gut, oder nicht?"
„Alles gut?", entgegnete ich. „Ich fass es nicht! Wie kannst du nur denken, dass alles gut ist, wenn du plötzlich wieder hier auftauchst?"
Verwirrt blickte er mich an. „Aber...aber ich dachte, das wolltest du", stammelte er. „Ich dachte, du wolltest, dass ich zurückkomme."
Ich schnaubte verächtlich. Wie konnte er ernsthaft nicht erkennen, wo mein Problem lag? „Ja, das wollte ich!", schrie ich ihn an. „Und zwar vor mehr als sieben Monaten! Naja, wenn ich es mir recht überlege, stimmt das eigentlich gar nicht. Denn eigentlich wollte ich überhaupt nicht, dass du gehst! Und nach über sieben Monaten tauchst du plötzlich auf und meinst, es wäre alles genau wie früher! Aber da irrst du dich! Das ist es nicht!"
„Du warst doch einverstanden damit, dass ich gehe", entgegnete er. „Was hast du plötzlich?"
„Einverstanden?", schnaubte ich. „Nein, einverstanden war ich nie. Aber du wärst doch sowieso gegangen! Oder wärst du geblieben, wenn ich gesagt hätte, dass ich das nicht will?"
Er biss sich auf die Lippe und sah dann traurig zu Boden. „Nein, wahrscheinlich nicht."
„Da hast du's!", erwiderte ich. „Und jetzt lass mich in Ruhe!"
„Das heißt, ich soll wieder gehen?", fragte er. „Und wir tun so, als hätten wir uns heute nicht gesehen?"
Ich seufzte und atmete tief durch. Bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, musste ich mich erst wieder ein wenig beruhigen. Aber natürlich wollte ich nicht, dass Bellamy wieder ging. Trotzdem konnte ich nicht einfach so weitermachen, als hätte Bellamy Lily und mich nie im Stich gelassen. „Du kannst bleiben", meinte ich. „Wegen unseren beiden Kindern." Seufzend blickte ich auf meinen Bauch. „Aber erwarte nicht von mir, dass ich mich in irgendeiner Weise für dich interessiere."
„In Ordnung", erwiderte er. „Dann komme ich nicht mit. Du scheinst mich ja nicht zu brauchen."
„Ist es nicht egal, ob ich dich brauche oder nicht?", warf ich abgekämpft ein. „Das hat dich ja auch nicht sonderlich interessiert, als du gegangen bist."
Verständnislos starrte er mich an. „Ich habe das für dich und Lily getan. Ich bin gegangen, um euch zu beschützen."
„Das ist doch nur das, was du dir einredest, um dich besser zu fühlen", warf ich ihm vor. „In Wahrheit hattest du einfach nur Angst. Angst davor, dass du als Vater versagst. Aber weißt du was? Das hast du schon. Das hast du in dem Moment, als du gegangen bist. Du bist ein Feigling, Bellamy Blake."
Ich konnte ihm ansehen, dass ihm das einen Stich versetzte. Aber das war mir egal. Ich hatte schließlich nur die Wahrheit gesagt und das konnte er nicht bestreiten.
Schließlich seufzte er. „Vielleicht hast du recht." Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich mir das einbildete, aber ich glaubte, Tränen in seinen Augen zu sehen. „Vielleicht hatte ich wirklich Angst. Ich meine, Lily war seit dem Tag ihrer Geburt bei dir. Und mich kennt sie doch kaum. Außerdem habe ich keinen blassen Schimmer, wie man mit Kindern umgeht. Clarke, sie ist fast direkt vor meinen Augen entführt worden! Einem guten Vater wäre das nicht passiert."
In dem Moment wurde mir klar, dass er kein Feigling war. Seine Schuldgefühle waren dafür verantwortlich, dass er gegangen war. Das bedeutete nicht, dass ich ihm verzeihen konnte, aber zumindest machte es die ganze Sache etwas erträglicher. „Lass uns gehen. Lily und Octavia werden sich bestimmt freuen, dich zu sehen."
Mit diesen Worten lief ich voraus und achtete kaum darauf, ob Bellamy mir folgte oder nicht. Dennoch konnte ich nach einer Weile seine Schritte hinter mir hören. Er sagte kein Wort und schien etwas Abstand von mir zu halten, aber er folgte mir.
So oft hatte ich mir gewünscht, dass Bellamy einfach nur zurückkommen würde. Aber nie hatte ich daran gedacht, dass ich sauer auf ihn sein könnte. Ich hatte mir immer nur Sorgen um ihn gemacht und gehofft, dass es ihm gut ging. Doch jetzt, da ich mit eigenen Augen sah, dass er in Ordnung war, war das plötzlich zweitrangig geworden.
Da war auch schon der Eingang zur Höhle in Sicht. Ich fragte mich, wie die anderen alle wohl reagieren würden, wenn sie sahen, dass Bellamy wieder da war.
Ohne mich nach ihm umzusehen, ging ich nach drinnen. Dort machte ich mich dann schnurstracks auf den Weg zu Kane, um Lily bei ihm abzuholen.
„Clarke, du siehst fertig aus", bemerkte dieser besorgt, als er mir die Tür öffnete. „Ist alles in Ordnung?"
Nein, natürlich war nicht alles in Ordnung. Aber ich wollte im Moment wirklich nicht über meine Gefühle reden. „Ist nur wegen der Schwangerschaft", log ich.
Er nickte, schien jedoch nicht ganz überzeugt zu sein. Aber er ging zum Glück nicht weiter darauf ein. „Du bist bestimmt hier, um Lily abzuholen."
„Ja genau", erwiderte ich.
In dem Moment verharrte sein Blick plötzlich auf irgendetwas hinter mir. Verwirrt drehte ich mich um, um zu sehen, was da war.
Oh. Es war Bellamy. Er hielt sich zwar im Hintergrund, aber er war eindeutig in Kane's Sichtfeld.
Doch Kane hatte sich bereits wieder mir zugewandt. „Was hältst du davon, wenn du kurz reinkommst?"
Ich zuckte die Achseln. Eigentlich sprach ja nichts dagegen. Vor allem war ich dann Bellamy einstweilen los. Also warum eigentlich nicht. „Klar."
Er bot mir eine Tasse Tee an und dann setzten wir uns an den Esstisch. „Lily ist gerade eingeschlafen", meinte er. „Aber du kannst zu ihr, wenn du willst."
Aber ich schüttelte den Kopf. „Später." Dann sah ich ihn eindringlich an. „Du hast mich doch nicht ohne Grund zu dir hereingebeten, hab ich recht? Also was ist los?"
Er seufzte. „Bellamy ist also wieder hier", stellte er mit ausdruckslosem Gesicht fest. „Und du siehst nicht so aus, als wärst du besonders glücklich darüber."
„Das ist kompliziert", erwiderte ich. „Ich meine, ich kann nicht einfach so tun, als wäre alles wieder wie..."
„Ist schon gut", unterbrach er mich. „Du brauchst dich vor mir nicht zu rechtfertigen. Ich kann dich verstehen." Nachdenklich blickte er mich an. „Aber denk doch mal ein paar Jahre zurück. Nachdem du zusammen mit Bellamy den Hebel in Mount Weather umgelegt hast, bist du gegangen. Das hat Bellamy verletzt und es war offensichtlich nicht leicht für ihn, dir das zu verzeihen. Aber er hat es geschafft, weil er dich liebt. Er hat dich auch damals schon geliebt." Tröstend legte er mir eine Hand auf die Schulter. „Und ich bin mir sicher, dass du ihm auch eines Tages verzeihen kannst. Weil du ihn liebst."

Eine Entscheidung fürs LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt