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Bin ich eigentlich nur von Idioten umgeben? Frage ich mich. Heute ist aber auch alles schief gegangen was schief laufen konnte. Mark, mein bester Kumpel und die rechte Hand in meiner Firma hat einen Vortrag so derbe verpatzt dass noch nicht einmal das Thema klar wurde über das er sprechen wollte. Ich habe mich so für ihn geschämt! Wäre er nicht mein Freund seit der Schule hätte ich ihn spätestens heute entlassen. Das Mittagessen ist ausgefallen weil ich versucht habe noch zu retten was nicht mehr zu retten ist. Die Verhandlungen mit den Investoren war nach Marks Katastrophenvortrag wirklich mühsam. Und auf dem Weg zur Bank ist mir ein Volltrottel in die Limousine gebrettert. Wütend habe ich meinen Chauffeur Jack an der Unfallstelle mit diesem Idioten alleine gelassen. Dann nehme ich halt die U Bahn! Die New Yorker U Bahn ist weltberühmt und ich bin früher viel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen. Erst seit dem meine Firma so richtig gut läuft kann ich mir ein bisschen Luxus gönnen. Egal, der Termin bei der Bank ist wichtig und ich muss da hin. Ich setze mich in die natürlich rappelvolle Bahn. Ein Punk kommt und fragt schüchtern ob der Platz mir gegenüber noch frei sei. Die Mutter mit dem heulenden Blach schaut den Teenager entsetzt an aber die ältere Dame ihr gegenüber sagt freundlich: „Aber natürlich! Setz dich." Der Junge (ich hoffe mal dass sich kein Mädchen so hässlich kleidet, aber genau kann ich das Geschlecht nicht bestimmen) lächelt ihr freundlich zu und setzt sich. Er kramt ein Buch aus seinem Armeerucksack und fängt an zu lesen. Ich erhasche den Titel und muss schmunzeln. Der Kerl liest Kant. ,Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft' lautet der Titel des Buches. Mit einem Bleistift bewaffnet unterstreicht er eifrig Passagen und schmiert Notizen an den Rand. Ich hoffe mal dass es sein eigenes Buch ist und er es nicht aus der Bibliothek geliehen hat. Obwohl - so einer wie er würde es sicherlich eher klauen als leihen denke ich verächtlich. Ich lasse meinen Blick schweifen und sehe eine andere abgerissene Gestalt. Ein Bettler arbeitet sich durch die Reihen und schnorrt nach Geld. Als er bei uns ankommt erntet er von allen böse Blicke. Der Punk aber lächelt den Typen an und gibt ihm sein Sandwich und seine Flasche Wasser. „Sorry alter, Ende des Monats." sagt er grinsend zu dem Bettler. Der bedankt sich trotzdem mit einem breiten Grinsen und frühstückt das Sandwich mit Heißhunger. Der Punk vertieft sich wieder in sein Buch und trotz des Lärms höre ich seinen Magen Knurren.
Ich fass es nicht. Der Kerl hat zerrissene Hosen, einen Hoodie der mehr aus Löchern als aus Stoff besteht an. Die Jacke steht vor Dreck. Seine Haare sind grün. Die Docks haben definitiv schon mal bessere Zeiten erlebt, bei Regen hat der Kerl sicherlich nasse Füße! Sein Magen knurrt und er verschenkt sein Brot. Ich kann mir gut vorstellen dass er heute nichts mehr zwischen die Zähne bekommt. Ende des Monats ist gut, es ist gerade einmal der zwanzigste. Wenn der Typ jetzt schon blank ist dann kann er definitiv nicht Wirtschaften. Kann er definitiv nicht. Der Volltrottel verschenkt sein Essen! Kein Wunder dass er nen Philisophen liest. Ich muss wohl ziemlich gestarrt haben. Zumindest blickt der Punk hoch und schaut mir direkt in die Augen. Hübsche Augen hat er. Dunkelblau. Mit langen blonden Wimpern. Nora wäre neidisch. Nora ist meine Sekretärin. Sie ist voll eingebildet weil sie so gut aussieht. Zugegeben, sie sieht gut aus. Aber auch ziemlich künstlich. Sie trägt die Schminke immer einen Hauch zu dick auf um elegant zu sein. Und ihre kurzen Wimpern hasst sie. Sie klebt künstliche auf und sieht ziemlich lächerlich aus. Mich mit ihr zu unterhalten langweilt mich. Sie plaudert immer über Musik weil ich Musik liebe. Ich liebe klassische Musik und gehe gerne in die Oper. Ich spiele Trompete in unserer Kirchengemeinde. Irgendwie bin ich da hängen geblieben. Die Gemeinde ist der einzige Ort an dem ich noch ich bin und nicht der Geschäftsmann. „Is was?" fragt mich der Punk nachdem ich ihm lange in die Augen gestarrt habe. Er nimmt den Blick nicht weg. Er starrt nicht er schaut. Sein Gesicht ist offen und freundlich. Sein kleines Lächeln lädt ein mit ihm zu reden. Will ich aber nicht. Ich schaue ihn weiter an weil wegschauen Schwäche bedeutet hätte. Er schaut auch nicht weg und lächelt die ganze Zeit. Die Bahn schaukelt uns sanft hin und her. „Du hast schöne Augen." sagt er plötzlich. „Nur schauen sie traurig. Du solltest mal wieder was machen was dir Spaß macht." Ehe ich realisieren kann was der Kerl mir gesagt hat hat er mir zugezwinkert und ist aufgestanden um auszusteigen. Eine Haltestelle später muss ich auch raus. In Gedanken an den blöden Punk gehe ich zum Bankenviertel. Wieso sagt er mir ich hätte schöne Augen? Meine Augen sind grau und den meisten Menschen stört mein intensiver Blick. Ich selber hasse meine Augen. Ich habe sie von meinem Vater geerbt und der hat Mum für eine andere verlassen als ich zehn Jahre alt war. Ich hab die Welt nicht mehr verstanden. Ich hasse den Kerl von meinem Vater und ich hasse die Augen jeden Morgen wenn ich in den Spiegel sehe. Wie kann dieser Blödmann sie schön finden?
Missmutig komme ich in der Bank an. Auch dieser Termin wird ein Misserfolg. Es fehlen noch einige Unterlagen. Ich bin mir sicher dass ich Nancy damit letzte Woche beauftragt hatte sie zur Bank zu schicken. Nun sitze ich hier wie ein kleiner Schuljunge der seine Hausaufgaben vergessen hat und muss mir einen neuen Termin für morgen geben lassen. Ich hasse Nancy! Ich hasse mein Leben! Wütend gehe ich heim. Jack sagt die Limousine sei in der Werkstatt und er könne mich gerne mit seinem Privatauto abholen. Ich verzichte und gehe zu Fuß. Mich durch die Straßen von New York treiben zu lassen tut gut. Meine Wut kühlt ein bisschen runter. Von ferne höre ich ein paar Strassenmusiker. Es ist eine Blaskapelle und die haben richtig was drauf. Sie spielen supertolle Jazz Stücke. Ich gehe in Richtung Musik. Es ist eh schon spät und wann ich in die Firma gehe um den Abschluss zu schreiben ist eh egal. Um die Musiker hat sich eine lockere Menschentraube gebildet. Die Musiker spielen und tanzen gleichzeitig. Es sind zwei echt gute Posaunisten. Zwillinge. Mädchen. Wirklich hübsche Mädchen mit langen blonden Haaren und wahnsinnig blauen Augen. Die beiden sind wirklich eine Augenweide obwohl sie so lässige Kleidung tragen. Und spielen können die ja mal richtig gut, ich habe noch nie jemanden so spielen sehen. Sie ziehen nicht an den Zügen, ihre Arme tanzen die Musik. Und der Trompeter erreicht Höhen von denen ich gar nicht wusste dass sie noch auf dem Instrument sind. Ich spiele ja gut aber der hier ist ein Meister. Ich erkenne den Kerl natürlich sofort. Seine Grünen Haare, die zerfetzten Klamotten, es ist der Punk aus der U Bahn. Hier ist er in seinem Element. Mann, kann der spielen. Ich stelle mich ein wenig abseits. Ich weiß nicht wieso aber ich will nicht dass er mich erkennt. Ich lausche gebannt seiner Musik. Er ist hoch konzentriert weil er die Gruppe führt. Er gibt den Takt vor und leitet die Tempiwechsel ein. Ich frage mich ja wie so ein abgerissenes Kerlchen so tolle Musik machen kann. Da gehört doch Disziplin und Ehrgeiz zu und nicht die null Bock Mentalität der Punks. Als die Gruppe aufhört zu spielen ist es spät. Ich eile schnell noch in die Firma um den Tagesabschluss zu schreiben. Die Unterlagen für die Bank suche ich mir selber raus.

RyanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt