2

1.3K 29 2
                                    

Am nächsten morgen bin ich todmüde als der Wecker klingelt. Schlapp schleppe ich mich unter die Dusche und freue mich auf meinen Kaffee. Beim Rasieren fällt mir siedend heiß ein dass ich ja nicht abgeholt werde. Missmutig bestelle ich mir ein Taxi und ziehe mich rasch an. Ich checke im Taxi meinen Tagesplan und freue mich auf abends: da ist Posaunenchorprobe. Lächelnd denke ich an das was die Strassenmusiker gestern geleistet haben. So etwas würden wir nicht zu Stande bekommen. Aber das Stück  an dem wir spielen beißen wir uns schon eine Weile die Zähne aus. Es soll zur Eröffnung der neu renovierten Kirche gespielt werden. Unser Chorleiter hat aber eingesehen dass keiner von uns gut genug für die Solo Trompete ist und hat einen Berufsmusiker gebucht. Der wird heute Abend das erste mal mit uns proben. Ich bin gespannt ob er dem Stück Auftrieb gibt. Heute morgen habe ich zum Glück keine Katastrophenmeetings. Ich habe etwas Schreibkram zu erledigen und pflaume Nancy an die der Bank nicht die Unterlagen geschickt hat. Ich habe extra die Mail rausgesucht mit der ich ihr die Anweisung gegeben habe. Bei mündlichen Anweisungen kann ich mir nämlich sicher sein dass sie die Hälfte der Aufträge nicht erfüllt. Also schreibe ich ihr die Aufträge als Mail. Jetzt klatsche ich ihr wütend den Ausdruck der Mail auf ihren Schreibtisch. „Ich bin es ja gewohnt dass sie mündliche Aufträge ignorieren, aber bei schriftlichen hört der Spass auf! Soll ich ihnen ihre Arbeit um die Ohren hauen damit sie sie erledigen?" Nancy schaut mich entsetzt an. Sie versucht sich rauszureden aber ich werde immer wütender. „Sie sind definitiv nicht hier um hübsch auszusehen! Von mir aus könnten sie aussehen wie ein Punk! Hauptsache sie arbeiten vernünftig!" schreie ich sie an. Ehe ich ihr eine runter haue gehe ich wutschnaubend in mein Büro. Der Termin bei der Bank ist wichtig und dieses Mal will ich vorbereitet sein. Ich nehme mir alle Unterlagen und gehe zur U Bahn. Ich will die Akten in der Bahn noch einmal durchsehen. In der Bahn sitzt mein Punk. Er ist wieder in sein Buch vertieft. „Ist hier noch frei?" frage ich lächelnd und er grinst mich breit an als er mich erkennt. Er nickt und macht eine einladende Geste. Ich setze mich und hole die Akten raus. Ich schaue sie noch einmal durch und ärgere mich. Die Investoren geben nicht so viel wie erhofft und es könnte gleich echt eng werden. Ich rechne auf einem Zettel meine Finanziellen Möglichkeiten durch und mir wird schlecht. Ich merke dass ich mein Frühstück und mein Mittagessen hab ausfallen lassen. Mein Magen knurrt das ist echt peinlich. Ich schaue hoch und der Punk hält mir lächelnd sein Sandwich entgegen. Ich starre darauf und er sagt freundlich: „Iss was. Du siehst aus als würdest du gleich umkippen." Dankbar nehme ich sein Brot und beiße rein. Es schmeckt lecker, ist aber undefinierbar. „Was ist das?" frage ich kauend. Hummus mit Rucola und Cashew Nüssen. Ich weiß, ist ne wilde Mischung. Aber ich hab nix anderes mehr da." sagt er entschuldigend. Ich halte ihn sein Brot hin und frage: „Willst du auch mal?" Er grinst und beißt ab. Kauend kramt er die Wasserflasche raus. Er bietet mir einen Schluck an und gemeinsam essen wir auf was er fürs Leben hat. Er fährt mit mir zum Bankenviertel. Wir unterhalten uns ein bisschen über seinen Kant. Er liest ihn für die Uni. Er erzählt ein bisschen was er an Kant gut findet und was er kritisiert. Er ist nett in seiner Kritik. Er lässt Kant in seiner Zeit und bewundert ihn für seine Ideen die er damals hatte. Doch er selber ist ein paar Jahrhunderte später und kann weiter denken als Kant. Interessanter Ansatz. Denke ich. Ich muss zugeben dass ich mit Kant kaum Berührungspunkte habe. Ich hab in der Schule von ihm gehört und das wars. Als ich das erzähle lacht der Punk und sagt: „dass du frei denken kannst und leben kannst verdankst du den Philosophen der Aufklärung und den Humanisten. Ohne sie wärst du heute ein anderer Mensch."  Gemeinsam betreten wir die Bank und ein Mitarbeiter begrüßt mich mit Handschlag. „Schönen guten Tag Herr Carter! Darf ich bitten?" Ich grinse meinem Punk zu und er nickt zum Abschied. Dann höre ich ein fröhliches: „Doktor Green! Schön sie zu sehen! Haben sie wieder Geld für ihr Waisenhaus gesammelt?" und eine adrette Bankangestellte nimmt den Punk freundlich mit zum nächsten Schalter. Mit offenem Mund starre ich ihm hinterher. Hab ich mich verhört? Hat der kleine Kerl echt schon nen Doktortitel? Ich kann das kaum glauben.
Zufrieden verlasse ich die Bank. Ich habe das Geld bewilligt bekommen. Nun kann ich mich um das Projekt kümmern. Ich gehe zu Mark ins Büro um ihm die gute Nachricht mitzuteilen. Er ist immer noch geknickt dass er es gestern versaut hat. „Ich hab es echt verbockt." sagt er traurig. „Komm schon, Kopf hoch. Wir haben alle mal einen schlechten Tag." versuche ich ihn zu trösten. Mark sieht mich an und meint dann: „Mein Tag gestern war nicht schlecht - er war unterirdisch! Und um ne gute Rede zu halten brauche ich einen echt guten Tag. Du kennst mich. Ich kann so was nicht." Ich schaue Mark an und nicke. „Wir sollten uns was einfallen lassen. Nen Rhetorik Kurs oder so." Mark schaut mich an und nickt. Ich sage ihm: „Komm schon. Wir müssen zur Kirche. Gleich ist Probe. Ich hab kein Auto, wir müssen zu Fuß da hin." Mark schaut verdattert und fragt während er seine Sachen packt : „Was ist denn mit deiner Karre passiert?" Ich brumme ihn missmutig an. Aus meinem Gebrumme kann er heraushören dass das Auto futsch ist. „Hey, sieh es mal positiv: du kannst dir jetzt ruhigen Gewissens den Sportflitzer holen den du schon immer haben wolltest." Ich hasse Mark dafür! Er weiß nicht dass ich Schiss vorm Fahren habe und ich würde es auch nie zugeben. Natürlich hätte ich gerne ein Rennauto. Aber ein Rennauto haben und sich dann chauffieren lassen ist mehr als peinlich. Darum lasse ich das lieber. Ich lege Matk einen Arm um die Schultern und sage: „Danke dass du mich in deiner Karre mit nimmst." Mark wird rot und stammelt vor sich hin. Ich weiß dass er noch nicht einmal einen Führerschein hat, geschweige denn ein Auto.

RyanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt