Can't let memories become the death of me

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Als ich durch das alte Eisentor vom Friedhof trat meldete sich mein Handy. Zuerst achtete ich nicht darauf und ging den schmalen steinigen Weg entlang. In meine Ohren schrie gerade Avril Lavigne. Es roch nach Erde und vermoderten Pflanzen. Und ein bisschen nach Weihrauch.
Auf dem Rücken trug mich meinen Rucksack, gefüllt mit allerlei Sachen die man für den Garten brauchte. Eine kleine Hacke, so ein Ding mit drei Metallfingern. Ein paar kleine winterfeste Blumen und Gewächse.

Die Sonne schien noch ein bisschen durch die Wollen und spendete Wärme.
Es war merkwürdig hier zu sein. Um jemanden Trauern den man nicht kannte. Jemanden an den ich keine Erinnerung hatte.
Als ich vor dem Grad stand das unter einer mächtigen Fichte und einem Ahorn lag zog sich ein Schauer über meinen Rücken.
Die Inschrift. Das Datum. Das überwucherte Grab.
Bevor ich mich an die Arbeit machen wollte, sah ich noch schnell auf die Uhr. Liza hatte mir geschrieben.

Ich würde gerne mit dir reden...

Hab aber keine Zeit.

Ein paar Minuten später als ich gerade die Blätter aus dem Beet fischte, klingelte mein Telefon.
"Was?", sagte ich schroff.
"Geht's dir gut?", fragte sie besorgt.
"Scheiße wie immer", grummelte ich.
"Wo bist du gerade?".
"Auf dem Friedhof".
"Was machst du da?", wollte sie wissen.
"Das geht dich nichts an", maulte ich Liza an und legte auf.
Sie konnte schon nervig sein. Ich ging meiner Arbeit nach und begann die kaputten Pflanzen aus der Erde zu reißen. Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Doch die meisten waren eher belanglos.
Der Wind pfiff mir eine Viertel Stunde später um die Ohren und die Sonne ging unter.
Ich setzte die neuen Gewächse ein und drückte die Erde um die herum fest. Danach holte ich eine Gießkanne mit bewässerte alles gut. Ich steckte gerade einen kleinen Blumenstrauß in die komische Plastikvase als plötzlich jemand hinter mir stand.
"Grace?", fragte eine bekannte Stimme. Ich sah erschrocken auf.
"Was willst du hier?", sagte ich bitter.
"Ich hab mir Sorgen gemacht", antwortete sie zärtlich.
"Das musst du nicht, mir geht's blendend", meinte ich abwesend und wollte die Kanne zurückbringen. Doch sie stand mir im weg.
"Darf ich mal?".
"Was ist los?", sagte sie ernst und packte mich an den Schultern. Dann wanderte ihr Blick zum Grabstein. Sie las schnell die Inschrift. Dann ließ Liza mich los und zog die Augenbrauen zusammen. Flink quetschte ich mich zwischen ihr und einem Grabstein durch. Etwas zu wild hagte ich sie Kanne wieder an ihren Hacken.
"Ich verstehe das nicht, war..." .
"Er war mein Bruder und ich hab ihn getötet!", schrie ich ungehalten. Tränen rannen mir über die Wangen.
"Grace", meinte sie vorsichtig, als ich mich unter der Fichte niederließ, die Füße anzog und den Kopf auf die Knie sinken ließ. Fürsorglich streckte sie den Arm nach mir aus. Ich wollte nicht berührt werden und zuckte unter ihrer Hand weg.
"Fass mich nicht an!", zischte ich mit zittriger Stimmen. Es war die zweite Panikattacke diesen Monat und sie war heftig. In meinem Kopf brummte, summte und pfiff es laut. Stimmen schrien durcheinander. Verzerrte Bilde tauchten auf und kurze Filmschnipsel spielten sich einfach so ab.

Und ich konnte mich nicht dagegen währen da es ja in mir passierte, musste es über mich ergehen lassen. Ich hätte mir jedes Haar einzeln ausreißen können. Verzweifelt verkreuzte ich die Finger über dem Schädel und drückte meine Stirn noch fester gegen meine Kniescheiben.

Ich war gefangen in den psychischen Schmerzen und konnte nicht fliehen. Wie wild zitterte ich am Körper und wankte vor und zurück. Es musste ein bizarres Bild gewesen sein. Eine hockt unterm Baum heult und zittert wie eine verrückte die andere daneben, sichtlich verzweifelt.
Geschlagene 20 Minuten hielt das ganze so an. Als das schlimmste vorüber war hob ich vorsichtig den Kopf.
"Grace?", fragte Liza mit leiser, brüchiger Stimme. Hatte sie geweint? Langsam drehte ich den Kopf zu ihr. Ihre Augen waren gerötet und verweint. Spitze.
"Oh Gott", murmelte ich ließ mich zurückfallen, um mit dem Rücken an der Rinde zu lehnen. Dann legte ich den Kopf in den Nacken.
"Es tut mir leid", flüsterte ich und schloss die Augen. Liza setzte ich sich neben mich und legte den Kopf an meine Schulter.
"Tu mir das nie wieder an", meinte sie und suchte meine zitternde Hand.
"Sorry". Ich atmete die kalte Luft ein und langsam wider aus.
"Wie kommst du darauf dass du..", begann sie langsam.
"Jackson hat immer viel geschrien als er klein war und irgendwann fand ich heraus dass wenn man ein Kissen auf ihn drückt, dass er die Klappe, hält, so haben zumindest es mir meine Eltern erzählt. Und mein älterer Bruder ist verschwunden, wegen alle dem", erzählte ich ruhiger.
"Ich glaub nicht das du so etwas getan hast", versicherte Liza mir.
"Liza, ich war ein Kind!", verteidigte sie mich. Obwohl sie recht hatte. Ich würde es doch wissen, wenn das passiert wäre. Jemand hätte mit mir doch reden können. Oder nicht unbedingt einer 3-Jährigen erzählen, dass sie ihren Bruder ermordet hat.
"Trotzdem. Weißt du wie dein Bruder heißt?", fragte sie nach.
"Ethan Shaw Weeks", murmelte ich. Sie zog die Luft ein.
"Wie alt wäre er jetzt?". Ich rechnete hoch.
"27".
"Okay", meinte sie.
"Und Ethan wurde nie begraben, oder?". Ich schüttelte den Kopf.
"Und Jackson?".
"Er war 13 Monate Alt und ich damals 3", erklärte ich.
"Meine Eltern geben mir die Schuld an allem, sie sagen mach Jacksons tot ist Ethan weggerannt und sie haben ihn nie gefunden. Die Polizei hat seine Akte nie geschlossen, aber suchen tun sie trotzdem nicht". Ich versuchte ruhig zu bleiben, obwohl es noch mehr Zorn in mir entflammen ließ.
"Sie reden mit mir nur das notwendigste und lassen mich einfach links liegen. Anstatt dass wir das zusammen geregelt hätten, haben sie mich so kurz es ging groß gezogen und jetzt steh ich allein da. Ich fühle mich auch irgendwie verpflichtet dazu, immer das Grad zu richten. Ein kleiner Versuch das ganze wieder gutzumachen", erzählte ich weiter.
"Darf ich mal mit ihnen reden?, fragte Liza vorsichtig.
"Nein das würde alles noch schlimmer machen". Sie nickte.
Dann bleiben wir still. Sehr lange. Ich starrte den Baum empor. Konzentrierte mich auf Kleinigkeiten. Wie sich die Nadeln im Wind drehten, wie der Baum roch.
"Tut mir leid, dass ich heute so unfair zu dir war. Es steht mir nicht zu dich so rumzukommandieren", flüstere sie leise.
"Schon gut", murmelte ich und küsste sie auf den Kopf.
"Geh'n wir nach Hause?".
Ich nickte und stand auf. Ich wollte weg von hier. Schnell packte ich meine Sachen zusammen. Ein letzter Blick auf den weiß glänzenden Marmorstein.

Jackson Dallon Weeks
*12.3.2002
+5.4.2003
Geliebt und unvergessen

Gemeinsam gingen wir Hand in Hand über den dunklen Friedhof. Es war schon ein bisschen gruselig. Nur die kleinen Kerzen brannten und die alten, riesigen Bäume warfen gewaltige Schatten auf den Boden. Eisern blies der Wind um uns herum.

"Danke das du gekommen bist, das war nicht selbstverständlich", sagte ich als wir durch das alte Tor gingen.
"Die ging's nicht gut und ich bin immer für dich da, also nicht der Rede wert", meinte sie lässig.
"Trotzdem". Sie lächelte. Liza drückte meine Hand etwas fester und ging mit mir zu ihr nach Hause. Es waren ja vielleicht 700 Meter Luftlinie.

Als sie die Tür aufschloss, fühlte ich mich wie zu Hause, angekommen und geborgen.
Gemeinsam kuschelte wir und auf die Couch und redeten noch lange zusammen. Doch die Sache mit meinen Brüdern erwähnte sie mit keinem Ton, dafür redete sie über ihre Schwestern. Sarah und Anna. Sarah war die jüngste, hatte rostrote Naturlocken, blaue Augen und studierte in Columbia. Sie lachte viel und war extrem unmusikalisch. Wie jeder in der Familie.
Anna war die älteste, blond, verheiratet mit einem Anwalt und war in der Buchführung einer großen Firma beschäftigt. Außerdem hatte sie schon zwei Kinder, Louis und Adam, beide unfassbar nervig, laut Liza aber trotzdem irgendwie süß.
"Da hast du mit mir echt schlechte Karten erwischt", meinte ich müde.
"Warum?".
"Ich pass ja gar nicht dazu".
"So ein Unsinn, du bist perfekt wie du bist", meinte sie entrüstet. Ich lächelte.
"Danke". Ich gähnte und Liza tat es mir gleich.
"Wie würdest du mich deinen Schwestern beschreiben?", fragte ich dann.

"Hmm. Sie ist wunderschön, extrem musikalisch aber grottenschlecht in Naturwissenschaften und ein Sturkopf. Dann ein bisschen zu naiv und sie unterschätzt sich gerne. Auf eine gute Art und Weise extravagant", sagte sie mit ein paar Denkpausen dazwischen.
Ich dachte über das, nach was sie gesagt hatte. So würde ich mich nie beschrieben.
"Jetzt du", verlangte sie.
"Na gut. Also Liza ist der schönste Mensch im ganzen Universum, sie ist recht talentiert mit Sprachen. Sie kann unfassbar nervig sein aber trotzdem fürsorglich. Sie ist schlau und eine tolle Köchin. Aber extrem schlecht im Lügen", erzählte ich. Dann lachte sie auf.
"Ich bin doch nicht nervig", meinte sie. Ich zog die Augenbrauen hoch.
"Ja sicher". Lachend drückte die mir einen Kuss auf die Lippen.
"Du bist echt schlimm", sagte sie.
"Ich weiß". Wir vertieften den Kuss. Es war echt schön. Mein Puls schoss in die Höhe und meine Wangen glühten.
So Scheiße war der Tag dann doch nicht gewesen...

Ein neues Kapitel, wie gewünscht. Dieses Mal etwas härtere Kost, aber ich hoffe es gefällt euch trotzdem.

Sagt mir doch wie ihr die Entwicklung zwischen Liza und Grace findet und was ich besser machen kann bzw. was ihr euch noch wünscht vorstellt.
L

G Todeskind 🔮⚘

Miss JacksonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt