•▪■Kapitel 4■▪•

9 1 0
                                    

Es war einfacher als erwartet.
Mit rot funkelnden Augen saß er neben seinem toten Opfer und betrachtete seine blutverschmierten Klauen.
Es war nicht nur einfach gewesen, nein, es hatte sogar Spaß gemacht und weckte ein ungeduldiges Gefühl in ihm, als könne er es gar nicht abwarten, seinem nächsten Opfer die Klauen ins Fleisch zu treiben, den sich in Verzweiflung und Schmerz windenden Körper erschlaffen zu sehen...

Sein Magen meldete sich mit einem lauten Knurren.
Seufzend umgriff er das Geweih des Hirschs und zog ihn hinter sich her zu Aria, die ihn schon mit großen Augen anstarrte.
Zuerst dachte er, ihr Blick würde auf dem Hirsch legen, doch er irrte sich.
Ihr Blick galt seinen Augen.

"Ist alles in Ordnung?", fragte sie dann vorsichtig. "Du siehst so mordlustig aus..."
"Ah..." Er rieb sich mit einer Hand den Nacken. "Jagen macht halt Spaß..."
"Hab ich noch nie.", gab Aria schulterzuckend zu. "Bin ja zu klein. Also...der Körper zum Fressen und das Geweih für unseren Troll. Gut?"
"Sehr gut." Er ließ sie machen, hockte sich in die Nähe und starrte in das Feuer.

Es wärmte ihn nur von einer Seite, doch als Drachen störte ihn das wenig, seine eigene Körperwärme war unnormal hoch, wenn er in sterblicher Gestalt war.
Jedoch schien das keinem aufzufallen.
Würden sie sich einfach mal konzentrieren, könnten die Sterblichen Unmengen an Drachen unter ihnen ausmachen.

'Aber sie sind dumm, und das weißt du.' Jemand kniete sich neben ihn. 'Sie triumphieren über unseren angeblichen Tod, unsere angebliche Auslöschung, und das obwohl noch reichlich von uns heimlich unter ihnen leben und sie Nachts ihre Kehlen zerfetzen.'
"Das wusste ich allerdings nicht.", meinte Raeion und zog eine Augenbraue hoch. "Kannst du Gedanken lesen?"
'Und manipulieren, warum?'
"Verschwinde einfach." Er schüttelte den Kopf. "Dich gibt es nicht. Du existierst nicht."
'Versuchst du gerade meine Existenz zu leugnen, obwohl ich direkt neben dir sitze?'
"Offensichtlich."
'Du ähnelst ihnen zu sehr. Der Kontakt zu Sterblichen macht schwach, allein ein Gedanke an sie.', spottete die durchsichtige Gestalt, die er zuvor noch als Imagination abgestempelt hatte. 'Du kennst es doch selbst am besten. Dein Vater...deine Familie...deine Kindheit, die dank einer Sterblichen alles andere als glücklich war. Du hast weit mehr verdient als einen gebrochenen Körper und ein zerstörtes Leben. Du kannst meinen Anweisungen folgen und dich aus diesem Makel befreien, aber im Gegenzug verlange ich Gehorsam.'

Raeion schwieg.
Dieser Wer-auch-immer bot ihm Sachen, die er sich schon lange wünschte.
Doch etwas sagte ihm, dass es falsch war, diesem Jemand gegenüber gehorsam zu sein.

"Raeion?"
Leise brummelnd wandte er sich Aria zu. "Ja?"
"Mit wem redest du?" Sie sah ängstlich zu ihm auf.
'Diese Blage solltest du als erstes töten...sie wird dir nur im Weg sein.'
"M...Mit niemandem.", winkte er ab und lachte peinlich berührt. "Es sei denn, du siehst ihn auch."
"Wen?"
"Na, ihn hier." Er deutete auf den Geist, doch Aria lief durch diesen durch.
"Sehe keinen." Sie widmete sich wieder dem Fleisch zu. "Sicher, dass du nicht paranoid bist?"
Wieder schwieg er.
Paranoid? Er? Offensichtlich...
'Denk nicht mal, dass ich eine Paranoiavorstellung bin.', meldete sich der Geist wieder. 'Wie könnte ich anders aussehen - noch dazu so realistisch - als jemanden, den du kennst? Denk doch mal nach, macht es nicht langsam Sinn?'
Widerspenstig schüttelte Raeion den Kopf.
Er sah ganz sicher keine Geister...

Ein plötzlicher Schmerz ließ ihn aufschreien.
Der Geist hatte in seinen Körper gegriffen und verzweifelt stellte Raeion fest, dass er provokant seine Hand um sein Herz schloss.
"Das wagst du nicht.", presste er durch zusammengebissene Zähne hervor.
Statt einer Antwort begann der Geist lediglich zu grinsen und drückte zu.

•▪■▪•

'So, und jetzt bist du hier.'
Dieselbe Stimme wie eben...
'Mach die Augen auf, Idiot.'

Zögerlich öffnete er sie und sah vor sich eine vereiste, schwarz-weiße Öde, in der Skelettdrachen lagen und teils auch flogen.
In der Ferne ragte ein Turm, der Wyrmruhtempel, aus den verschneiten Hügeln heraus.

'Hier ist der Meister gefallen. Na ja, oder jedenfalls mit seinen Mördern in Kontakt gekommen.', erklärte der Drache neben ihm weiter. 'Dieser Ort wäre dein erstes Ziel. Du solltest ihn zerstören.'
'Warum ich?', fragte er noch ein wenig benommen.
'Du bist der einzige, der sich der negativ angesehenen Geisterwelt geöffnet hat.' In all dem grau und weiß wirkten die glühend roten Augen seines drachischen Gegenübers unwirklich.
'Aha, und wie verschließe ich mich wieder?'
'Wenn du das wagst, komme ich samt Leiche zu dir und reiße dir die Gedärme aus dem Körper!', brüllte der Drache so laut, dass Raeions Ohren noch eine ganze Weile klingelten.
'Und was, wenn jemand mich dazu zwingt, mich zu verschließen?'
'Dann haben wir wohl verloren und die Sterblichen werden ihre gerechte Bestrafung nicht erlangen.'

Es war falsch, hier zuzuhören, das wusste er.
Aber irgendwie wachte er aus diesem seltsamen Traum nicht auf...

'Du träumst nicht.'
'Dann bin ich tot?'
'Hmmm...fast. Man hält dich noch am Rande.'
'Wenn ich angeblich alle möglichen Sterbliche bestrafen soll, warum bringst du mich dann um?'
'Weil du sie auch als Geist bestrafen kannst. Ist effektiver.'
'Ich verzichte.'
'Irgendwann verstehst du uns schon noch, vertrau mir.'
'Na, ich hoffe nicht.'
'Was habe ich eben gesagt?', knurrte der Drache und dankbar spürte Raeion, wie er diese Welt hinter sich ließ, langsam wieder etwas spürte und hörte.
Nur den Geist, den hörte er nicht mehr.

Eine mit irgendwas befeuchtete Hand wischte über sein Gesicht und zwei Stimmen redeten miteinander.
"Er wacht auf..." Eine eher verheulte Stimme, ganz offensichtlich Arias, ertönte direkt neben seinem Ohr.
" 'S war also wirklich 'ne knappe Sache.", seufzte der Troll und ein hölzernes Klacken ertönte, woraufhin erfrischende Wellen an Energie über ihn schwappten und ihn erstaunlich schnell stärkten, sodass er schon nach wenigen Sekunden seine Augen öffnen und in Arias sehen konnte, weitere zwei Sekunden später konnte er sie an sich drücken und dann endlich seinen gesamten Körper bewegen.
"Da haste noch ma' ziemlich Glück gehabt.", meinte der Schamane und stellte noch ein Totem auf. "Fast hätt' dich der blöde Drache mit sich genomm' ."
"Ihr habt ihn gesehen?" Verwundert sah er zu ihm auf, während das kleine Mädchen sich so fest an ihn kuschelte, dass kein Lufthauch mehr zwischen sie gepasst hätte.
"Ja, ich kenn' den. Der wollt' den Zul schon öfta in 'n Wahnsinn treib'n." Nachdenklich nickte der Troll. "Aba ich weiß, wie du ihn weghalt'n kannst. Musst mir nur gut zuhör'n. Ich werde dir ein Geistabanntotem bau'n, das musste dann imma trag'n, keine Sorge, 's wird 'n kleines Totem. Dann musste meditier'n, 'ne ganze Menge sogar, am best'n jed'n Tag 'ne Stunde, bis du wieda inna positiv'n Geistawelt landest. Hast du das geschafft, werd'n die dir helf'n, auch dort zu bleib'n. Aber ruh' dich erstma' aus, war bestimmt nich' so witzig, drüb'n inna Drach'nöde."
"Woher..."
"Zul hat 'ne gute Verbindung mit der Geistawelt.", grinste Zul, wie er wohl hieß, und öffnete einen Beutel, aus dem ohne Zweifel Voodoowerkzeug herauspurzelte.

Auch Aria fiel das auf, denn sie sah besorgt zu ihm hoch und gestikulierte mit den Augen unauffällig zu dem Troll.
Ja, sie beide hatten es gelernt.
Ein Voodoozauberer war nicht selten ein Kannibale.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 03, 2018 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

The might of AzeriteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt