Bertington wartete schon auf mich.
„Da bist du ja. Mr Hefford hat bereits angekündigt, dass er gedenkt, häufiger die Dienste des hoteleigenen Personals in Anspruch zu nehmen. Aufgrund gegebener Umstände einigten wir uns darauf, dass es wohl die beste Lösung sei, ihm einen Mitarbeiter des Hauses persönlich an die Seite zu stellen."
„Gegebene Umstände?" Dieses Sprechen in Rätseln gefiel mir überhaupt nicht. Erst Elsa und jetzt auch noch Bertington. Konnte sich denn niemand klar ausdrücken?
Das Erklingen einer gedämpften Stimme hielt Bertington davon ab, mich endlich aufzuklären: „Mr Bertington?"
Eben jener wies mich mit einer Handbewegung dazu an, ihm zu folgen. Wir traten durch eine mit Schnitzereien verzierte Holztür auf der in goldenen Buchstaben die Worte Premier Suite standen. Dahinter eröffnete sich uns Dunkelheit.
Nachdem sich meine Augen an die plötzliche Umstellung der Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, konnte ich im spärlichen Licht einer Standleuchte einen weitläufigen Wohnraum, von dem mehrere Türen in andere Räume abgingen, ausmachen. Vor jeglichen Fenstern waren dicke, schwere Vorhänge zugezogen. In der Mitte des Zimmers stand ein ovaler Esstisch an dem das komplette Küchenpersonal des Hotels Platz gefunden hätte. Überragt wurde er von einem mächtigen, goldglänzenden Kronleuchter, der das Licht der Standleuchte reflektierte. Während sich auf der einen Seite des Raumes eine Art Küche befand, gab es auf der gegenüberliegenden Seite einen Sitzbereich mit einem ausladenden Sofa, mehreren Sesseln und einem Flachbildschirmfernseher. Mit einer Hand auf der Lehne eines Sessels stand Mr Hefford, seinen Blick zu uns gewandt. Mrs Hefford musste sich in einen der vielen angrenzenden Räume begeben haben.
„Schließen Sie doch bitte die Tür", sagte er höflich, jedoch bestimmt mit seiner angenehm tiefen, leicht rauen Stimme.
Noch immer eingeschüchtert von der plötzlichen Dunkelheit tat ich wie angewiesen und begab mich hinter Bertington näher an die Sitzecke. Mr Hefford hatte seit dem ich ihn in der Eingangshalle gesehen hatte seine Sonnenbrille abgenommen und den Knopf seiner Anzugjacke geöffnet. Bei näherer Betrachtung fiel mir auf, dass die Jacke nicht einfach nur, wie ich zuvor angenommen hatte, aus grauem Stoff bestand, sondern von tausend hauchdünnen silbernen Fäden durchzogen war.
Aus dem Augenwinkel schien er kritisch meine Uniform zu betrachten. Im Vergleich zu seiner maßgeschneiderten Anzugjacke musste sie wie ein Kartoffelsack an mir hängen. Dann richtete er sich wieder an Bertington:
„Es wäre sehr in meinem Interesse dieses Gespräch zügig hinter uns zu bringen. Die Reise war sehr ermüdend und ich würde mich gerne ausruhen."
Dem folgenden Wortwechsel zwischen den beiden Männern folgte ich nur wenig aufmerksam. Meine Aufgabe würde es sein, Mr Hefford an diesem Abend gegen sechs wieder zu wecken - in der Zwischenzeit sollte ich mir freinehmen. Ich war zu sehr damit beschäftigt, in Mr Heffords Augen nach einer Antwort auf meine Frage zu suchen, warum man in einer sonst so lichtdurchfluteten Suite bereits am Vormittag alle Fenster abdunkelte.
Während der gesamten Unterhaltung erwiderten seine Augen kein einziges Mal meinen Blick. Jedoch musste er meine fragende Mine gespürt haben, denn als Bertington sich abwendete, um den Raum wieder zu verlassen, sagte der Mann mit dem merkwürdigen Verhalten:
„Photophobie. Ich bin momentan sehr empfindlich gegenüber Tageslicht und versuche es daher so gut es geht zu vermeiden. Es ist zu grell für meine Augen. Daher die Sonnenbrille."
Bei seinem letzten Wort bildete ich mir ein, ein Schmunzeln in seinem Gesicht erkennen zu können. So langsam verstand ich und fühlte mich sofort schuldig, ihn vorschnell für sein Auftreten verurteilt zu haben. Was wohl die Ursache für die Übersensibilität seiner Augen war?
Bevor ich in irgendeiner Art antworten konnte, winkte mich Bertington mit den Worten „Wir wollen Sie nun nicht weiter stören" aus dem Raum hinaus. Auf dem Weg zur Tür kamen wir einer Garderobe vorbei an der der Pelzmantel hing, den Mrs Hefford bei ihrer Ankunft getragen hatte. Auf Brusthöhe befand sich eine filigrane Stickerei.
Eine einzelne Rosenblüte.
Auf einmal verstand ich die Aufregung um den Aufenthalt des jungen Paares in unserem Hotel.

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Excelsior
RomanceWenn sich Sams Leben plötzlich nur noch um das Wohlbefinden einer einzigen Person dreht und diese Person ausgerechnet Henry Hefford Junior ist.