Trotz dass ich normalerweise nicht tagsüber schlafen konnte, musste ich weggedöst sein, denn als ich auf mein Handydisplay schaute, war es bereits kurz nach 5. Ich setzte mich aufrecht auf mein Bett und schaute aus dem Fenster über meinem Schreibtisch. Nach einem der letzten spätsommerlichen Tage verabschiedete sich die Sonne. Mehr und mehr verschwand sie hinter den mächtigen Eichen des an die Hotelanlage angrenzenden Parks.
Ich musste unwillkürlich an Mr Hefford denken, der wahrscheinlich keinen einzigen sonnigen Tag genießen konnte. Vielleicht würde sich in den kommenden Tagen eine Gelegenheit ergeben, bei der ich mehr über seine Lichtempfindlichkeit herausfinden könnte. War sie ein Symptom einer bestimmten Krankheit?
Fluchend öffnete ich die Tür meines Kleiderschranks. Beim Schlafen hatte ich meine Uniform total zerknittert, sodass ich nun mehrere Falten in meiner Weste hatte. Schnell zog ich diese aus und wechselte auch mein weißes Hemd. Nachdem ich präsentabel gekleidet war, betrat ich das winzige angrenzende Bad meines Zimmers. Für einen Moment schaute ich mir in meine dunkelbraunen, bei wenig Licht fast schwarz erscheinenden Augen. Dann wusch ich mir mein Gesicht mit eiskaltem Wasser und fuhr mir mit meiner noch nassen Hand durch die vom Schlaf zerzausten Haare.
Jeder Versuch sie zu bändigen, scheiterte kläglich - eine Tatsache für die mich Bertington schon des Öfteren beinahe entlassen hätte. Aussagen zufriedener Gäste - darunter zugegebenermaßen vor allem ältere Frauen - die mein Auftreten als keineswegs ungepflegt, sondern viel mehr „charmant" empfanden, hatten mich bisher davor bewahrt.
Ein letzter Blick auf mein Handy verriet mir, dass ich noch 20 Minuten hatte, bevor ich Mr Hefford wecken würde. Vorher wollte ich noch eine Kleinigkeit essen.
Eine Viertelstunde später fand ich mich gesättigt an der Rezeption ein. Schnell hatte ich die Durchwahl für die Premier Suite nachgeschlagen und den Hörer am Ohr. Es rief und rief. Niemand nahm ab. Nach zwei vollen Minuten legte ich wieder auf. Geduldig wartete ich das Verstreichen fünf weiterer Minuten ab und versuchte es erneut. Auch dieses Mal hatte ich keinen Erfolg.
Es kam schon selten vor, dass Gäste unseres Hauses nach dem ersten Weckruf nicht wach wurden, aber auch das zweite Klingeln unbeantwortet zu lassen? Sehr ungewöhnlich.
Vielleicht hatte er seinen Schlaf schon eher als erwartet beendet und seine Suite verlassen?
Ich wandte mich an Olivia, die die nächste Schicht an der Rezeption übernommen hatte.
„Liv, dir ist den letzten Stunden nicht zufällig ein Mann aufgefallen, der aus dem Fahrstuhl gekommen ist? Durchschnittlich groß, braune zurückgebundene Haare, wahrscheinlich mit Sonnenbrille und eventuell in Begleitung einer eleganten Dame?"
Sie grinste breit. „Du redest von Henry Hefford?"
Ich nickte. Natürlich kannte Liv die Heffords. Sie hatte wahrscheinlich jeden jemals publizierten Artikel über diese Familie gelesen.
„Habe schon von deinem Job gehört. Glückwunsch, Mann. Was würde ich nur tun, um einmal Henry Hefford Senior zu treffen", schwärmte sie.
Ich verdrehte die Augen. „Hast du ihn nun gesehen oder nicht?"
„Wenn der heute Nachmittag im Foyer gewesen war, wäre mir das sicherlich aufgefallen. Warum hatte ich auch nicht die Frühschicht, dann wäre ich bei seiner Ankunft dabei gewesen!"
Eilig bedankte ich mich und nahm den Fahrstuhl in die zehnte Etage.
Ich musste Henry Hefford wohl persönlich wecken.

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Excelsior
RomanceWenn sich Sams Leben plötzlich nur noch um das Wohlbefinden einer einzigen Person dreht und diese Person ausgerechnet Henry Hefford Junior ist.