1. If only

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Lediglich der Kaffee in seiner Hand war das, was Kihyun davor bewahrte, nicht komplett auszurasten, als sein Vorgesetzter ihm aufbrummte, einem Firmenangehörigen Café einen Besuch abzustatten.

"Qualitätsmanagement" nannte sein Chef das. Kihyun zog seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. Natürlich konnte er sich nicht gegen seinen Vorgesetzten auflehnen, aber diese Arbeit für den PR-Manager der Firma war doch etwas degradierend. Zur Mittagszeit in die Innenstadt aufzubrechen, grenzte zudem an Selbstmord. Es würde Stunden dauern, mit dem Auto am Café anzukommen. Kihyun seufzte, als er realisierte, dass kein Weg dran vorbei führte: Er musste mit der U-Bahn fahren. Bereits die Vorstellung widerte ihn an. Natürlich musste es auch noch in Strömen regnen. Am liebsten hätte Kihyun sich einfach wieder in sein Bett verkrochen.

Aber irgendwie fand er sich nach nicht mal einer halben Stunde vor dem Café wieder. Das leuchtende Schild mit der Aufschrift "Angel-in-Us Coffee" über dem Eingang, flimmerte bedenklich und immer dann, wenn der Regen stärker wurde, fiel der Strom sogar ganz aus. Nicht unbedingt einladend. Das sahen die vorbeikommenden Passanten ganz ähnlich, die das Café nicht mal eines Blickes würdigten.

Kihyun tippte eine Notiz in seinem Handy ein: "Schreckliche Fassade". Dann betrat er das Café und wurde sofort positiv überrascht. Ein erster Blick und er hatte kurz das Gefühl, sich in einem der unzähligen Starbucks zu befinden, die in der ganzen Stadt verstreut waren. Es hatte diese typische heimische Atmosphäre, die eben nur Cafés ausstrahlen konnten. Kaffeegeruch lag in der Luft und im Hintergrund erklang beruhigender Jazz. "Never judge a book by it's cover" war passenderweise das Sprichwort, was ihm beim Betreten einfiel.

Kihyun richtete den Kragen seines Mantels, als er zum Bestelltresen vortrat. Sein Blick fiel auf die große Karte, die über der Theke hing und allerlei Kaffeesorten und Softdrinks beinhaltete. Was Kaffee betraf, war Kihyun nicht wirklich wählerisch. Er entschied schnell, richtete seinen Blick auf den einzigen Barista im Laden und stand einen Augenblick wie versteinert da. Wäre er nicht aus geschäftlichen Gründen hier, hätte er auf Anhieb angefangen zu flirten, als er ihn sah. Der Barista, der von Kihyun regelrecht angestarrt wurde, lächelte freundlich. „Hallo.", begrüßte er. „Jooheon" stand auf seinem Namensschild und Kihyun gefiel der Klang seines Namens jetzt schon.
"Hallo...", kam es eher zögerlich vom PR-Manager, der sich erst aus seiner Trance lösen musste. "Ich nehme einen Karamell Macchiato.", gab er endlich seine Bestellung auf und das Lächeln auf dem Gesicht des Baristas schien für einen kurzen Moment noch breiter zu werden. „Kommt sofort."

Und daraufhin war „Jooheon" damit beschäftigt, den perfekten Karamell Macchiato zuzubereiten, während Kihyun hinter der Theke wartete und dem Barista bei der Arbeit zu sah. Der PR-Manager erwischte sich selbst dabei, wie er Jooheon dabei mehr als nur ausführlich musterte. Braune Haare, etwa so groß wie er selbst, perfekte Frisur und ein süßes Lächeln. Eigentlich entsprach der Barista genau Kihyuns Typ und wäre da nicht seine Arbeit, hätte er den Barista mit Sicherheit um den Finger gewickelt. Stattdessen nahm er einfach nur dankend das Heißgetränk entgegen, als es nach wenigen Minuten fertig war und setzte sich an einen freien Platz, direkt am Fenster.

Auch wenn Kihyun noch immer nicht verstand, warum sein Chef gerade ihn auswählte, um eine „Qualitätskontrolle" durchzuführen, genoss er die Pause, die ihm diese Aufgabe brachte. Während er das Café genauer musterte, blieb sein Blick wieder an Jooheon hängen, der hinter der Theke ein paar Gläser spülte. Noch immer wünschte er sich, aus einem anderen, nicht beruflichen Grund hier zu sein.

Vorsichtig nippte Kihyun an dem Macchiato und jedes Mal verbrannte er sich dabei leicht die Zunge, aber es schmeckte einfach zu gut, um zu warten.
Der Manager untersuchte das Café genauer. Rein optisch machte es nicht viel her, aber es strahlte einen ganz persönlichen Charme aus, der Kihyun besonders gefiel. Dieser Charme könnte aber auch von dem gutaussehenden Barista stammen.

Kihyun wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er plötzlich eine laute, zornige Stimme vernahm. Sein Blick richtete sich zum Sprecher. Ein Mann, etwa in seinen vierzigern, stellte energisch seinen halbvollen Kaffee auf der Theke ab und machte dem armen Barista Vorwürfe, wie grauenvoll dessen Kaffee schmecken würde. Kihyun beobachtete vermutlich etwas zu amüsiert, wie Jooheon nur hilflos dastand und gegen die mittlerweile wirklich geschmacklosen Vorwürfe des Kunden nichts unternahm, außer sich zu entschuldigen. Das Spiel ging einige Sekunden so: Der Kunde, der sich völlig in Rage geredet hatte, kritisierte Jooheons Kaffee und dieser reagierte, als hätte er einen schrecklichen Fehler begannen. Kihyun konnte kaum zusehen. Es störte ihn total, wie passiv Jooheon reagierte. Wollte er sich denn gar nicht wehren?

Letztendlich stand Kihyun an der Theke. Er wusste nicht mal mehr, was ihn dazu gebracht hatte, aufzustehen und nach hier vorzutreten. Ein Beschützerinstinkt? Die Ruhestörung? „Es reicht." Seine Stimme klang viel tiefer, viel bedrohlicher, als er es geplant hatte. Überrascht über sich selbst, wollte Kihyun jetzt nicht nachgeben. Auch dann nicht, als der zornige Mann seine Aufmerksamkeit nun auf den Manager richtete. „Und wer sind sie? Hoffentlich der Manager. Dieser Typ" - Er deutete auf Jooheon, der beschämt zu Boden sah - „Ist zu nichts zu gebrauchen. Sie sollten Ihrem Personal wirklich beibringen, wie man einen ordentlichen Kaffee zubereitet, denn das hier ist definitiv keiner!"

Einen Moment stand Kihyun nur sprachlos da. Jooheon, der ihn wie einen getretenen Welpen ansah und dieser endlos quatschende Typ vor ihm, gaben ihm wirklich den Rest. Wenn man ihn schon für den Manager hielt, sozusagen war er das ja auch, konnte er das Spiel auch mitspielen, um die Situation friedlich zu deeskalieren: „Ich kann Ihnen versichern, unser Personal ist bestens geschult. Wenn Ihnen der Kaffee nicht schmeckt, dann suchen Sie sich doch bitte ein anderes Café, statt den Aufenthalt auch noch für die anderen Kunden zu ruinieren. Schönen Tag." Kihyun lächelte, aber die Freude erreichte seine Augen nicht. Stattdessen spiegelte sich dort nur der Hass wieder, die in seinem Inneren wütete. Und auch wenn dem Mann noch einige Worte auf der Zunge lagen, die er gerne losgeworden wäre, gab er sich doch noch der Vernunft hin.

Er verließ das Café, Flüche grummelnd und eigentlich sollte alles gut sein, doch Jooheon wirkte immer noch niedergeschlagen. „Danke, aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen." Für einen Typ der, wenn er nicht lächelte, aussah, als wäre er schon mal im Gefängnis gewesen, war er wirklich ein Softie. „Offensichtlich war es das.", korrigierte Kihyun. „Wieso hast du den Typen nicht einfach gleich rausgeschmissen?" Jooheon zuckte zunächst nur mit den Schultern, ehe er zum Reden ansetzte: „Ich weiß nicht, ob es nicht für Konsequenzen sorgt, wenn ich die Kunden vergraule. Das Café ist sowieso die meiste Zeit des Tages wie ausgestorben. Es ist ein Wunder, wenn sich überhaupt jemand hier hin verirrt." Kihyun hob eine Augenbraue an. „Bei der Fassade? Kein Wunder." Würde man Cafés nach dem Aussehen ihrer Mitarbeiter auswählen, wäre dieses ganz klar die erste Anlaufstelle Südkoreas, aber Jooheon hatte Recht. Das Café sah grauenvoll aus und wäre Kihyun nicht beruflich hier, würde er ein so hässliches Gebäude auch nie betreten. „Trotzdem danke. Der Typ hat wirklich angefangen, mir den Tag zu vermiesen." Jooheon lächelte zufrieden, ein Lächeln, welches Kihyuns Herz schneller schlagen und ihn förmlich dahinschmelzen ließ. „Alles gut.", winkte er ab. „Ich werd dann mal..." Kihyun deutete auf seinen Platz, an dem noch immer der Karamell-Macchiato stand. „Oh, klar." Jooheon sah dem PR-Manager noch nach, als dieser sich an seinen Platz setzte, bevor er sich weiter seiner Arbeit widmete, die aus schmutzigen Gläsern und Tassen bestand.

Währenddessen schrieb sich Kihyun allerlei Notizen auf sein Smartphone. Es war nicht wirklich ein Geheimnis, dass es schlecht um das Café stand, finanziell als auch optisch. Dafür gab es mehrere Gründe: Äußerlich bröckelte die Fassade, das Kaffeeangebot konnte nicht wirklich mit dem von Starbucks und Co. mithalten und sogar zur geschäftigsten Stunde Seouls verirrte sich niemand hierher. Für Kihyun war das Café bereits abgeschrieben, auch wenn der Karamell-Macchiato wirklich gut war.

Der PR-Manager brachte das leere Glas zurück zur Theke, um Jooheon etwas Arbeit zu ersparen. „Oh, vielen Dank. Hat es geschmeckt?" Schon wieder war da dieses Lächeln, dass Kihyun mit Sicherheit nicht mehr aus dem Kopf gehen würde. „Ja, nur... etwas zu süß." Meinte er damit wirklich nur den Kaffee oder vielleicht auch etwas anderes? „Das tut mir leid, ich hoffe es war noch genießbar?" „Ja, klar.", beschwichtigte Kihyun. Der Gedanke eines hilflosen, herumstreunenden Welpen war wohl die beste Assoziation für Jooheon. Er hatte das Gefühl, ihn um jeden Preis beschützen zu müssen, vor allem, da er selbst nicht dazu in der Lage zu sein schien. „Dann schönen Tag noch.", verabschiedete sich Kihyun schließlich und ging in Richtung Ausgang. „Auf Wiedersehen!", rief der Barista noch hinterher und Kihyun unterdrückte ein Lächeln. Ein Wiedersehen würde es auf jeden Fall geben. 

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