... Zahn um Zahn

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Ich schleppte mich mühsam durch mein Zimmer und schaltete diesen fiesen Wecker aus.
Dann ging ich duschen, machte mich fertig und frühstückte. Dabei versuchte ich auf andere Gedanken zu kommen. Aber es klappte nicht.

In meinem Kopf wiederholten sich immer wieder Leons Worte. Sag es mir. Wer ist er? Ich hätte es ihm niemals sagen können. Am Ende wäre er noch auf die Idee gekommen Mr George zur Rede zu stellen. Eine Horrorvorstellung, denn ich hatte nichts mit ihm und da würde auch nichts sein. Denn er war Referendar an meiner Schule und so etwas war doch nicht einmal erlaubt.

Konnte der Lehrer dafür nicht sogar ins Gefängnis kommen? Ich wusste es nicht. Aber ich meinte, so etwas schon mal gehört zu haben. Und ansonsten gab es noch Schulverweise und wahrscheinlich einiges an gesellschaftlicher Verachtung.
Was soll's. Eine Beziehung mit diesem attraktiven Mann ist für mich eine utopische Vorstellung - aber eine unglaublich schöne.

Ich schnappte mir meine Tasche und verließ das Haus. Meine Eltern waren schon weg - sie mussten sehr früh, weil sie immer in die nächstgrößere Stadt fahren mussten und das dauerte.

Deshalb schloss ich ab und ging zur Bushaltestelle. Mady war schon da. Sie wohnte nur ein paar Straßen weiter, deshalb waren wir schon seit unserer Kindergartenzeit die besten Freundinnen.

Sie sah mich erwartungsvoll an. Ich schüttelte den Kopf und sie runzelte die Stirn. Ich erzählte ihr alles - fast alles - also wusste sie auch, dass Leon schon lange mit mir schlafen wollte. Sie fand es aufregend, ich aufdringlich. Aber wir hatten eben einen ziemlich verschiedenen Geschmack.

"Wie war's?", sie sah mich trotzdem neugierig an. "Sag lieber das war's. Wir sind... Zwischen uns ist Schluss. Ja, das war's.", ich zuckte mit den Schultern. Ganz so egal wie ich tat, war es mir nicht. Aber nachdem ich mich gestern Nacht ausgeheult hatte, fühlte ich mich jetzt frei. Frei von diesem Druck eine gute Freundin zu sein und frei von dieser ohnehin verkorksten Beziehung.

Ja, es war das Ende von 2 Jahren Freundschaft, aber nicht von einer Ära, bestehend aus purer Leidenschaft und Begehren. Ganz im Gegenteil. Und so stellte ich mir eine Liebesbeziehung einfach nicht mehr vor. Es war zu selbstverständlich geworden. Und viel zu normal. Zu sehr Standard, als dass es noch etwas Besonderes wäre.

Nein, ich wusste nicht, ob es das war, was ich wirklich fühlte oder einfach das was ich fühlen wollte.

Mady sah mich fassungslos an. Sie hatte uns für das perfekte Paar gehalten. Schon immer.
Falsch gedacht.

"Aber... warum?", fragte sie noch immer geschockt.

"Er wollte es wieder, ich hab ihn aufgehalten und er ist ausgerastet und hat mich beschuldigt, ich hätte einen Neuen, würde ihm nicht vertrauen oder ihn noch wollen. Ich bin gegangen und das war's. Vorbei.".

"Vorbei? Aber ihr...", sie verstand es einfach nicht.

"Es war die letzten Wochen, wenn nicht Monate sowieso nur noch eine Freundschaft. Da ist kein Feuer mehr, nicht die kleinste Flamme..."

Der Bus kam und Mady umarmte mich schnell tröstend, bevor wir einstiegen und der 'Begegnung danach' entgegen fuhren.

Ich ging direkt in meinen Fachraum, da würde ich ihm sicher nicht begegnen. Mathe. Schon wieder. Das lag zwar daran, dass ich es als Leistungskurs gewählt hatte, aber das Thema zog sich so unendlich...

Die Stunde war insgesamt ziemlich langweilig, aber ich konnte mich nicht beschweren, es gab genug Aufgaben, also genug Ablenkung von unpassenden Gedanken.
Einerseits die an Leon, andererseits die, die viel stärker in meinem Kopf kreisten - und zwar die an Mr George, dem ich in der zweiten Stunde mit ein bisschen Glück in Politik begegnen würde.

Die letzteren waren noch unpassender, weil ich noch nicht mal seit 24 Stunden von meinem Freund getrennt war. Aber dazu musste gesagt werden, dass ich eigentlich schon seit Wochen über ihn hinweg war, weil schon seit Wochen nicht mehr wirklich was lief.

Beim Klingeln packte ich meine Sachen zusammen und verschwand so schnell es ging in Richtung des Politikfachraumes.

Der Raum war ähnlich wie Chemie - oder Erdkunderäume. Nur mit Schlüssel begehbar, also immer abgeschlossen, und vom Aufbau sehr langweilig.

Die Tür stand offen. Kein Wunder, Mr Lewis war immer extrem pünktlich da und extrem pünktlich wieder weg.
Kein Wunder, er mochte uns Schüler einfach nicht und freute sich, wenn er uns wegen Zuspätkommens anmotzen und so schnell es ging wieder verlassen konnte.

Er saß ausnahmsweise nicht hinter dem Pult und kramte seine Unterlagen zurecht. Stattdessen stand da Mr George und diskutierte mit ihm, worüber auch immer. Mr Lewis hatte sich einen Tisch schräg an die Wand gerückt und die Regie offensichtlich Mr George überlassen.
Ich war sehr gespannt auf den Unterricht.

Ich ging an meinen Platz, stellte meine Tasche ab und hob noch einmal den Blick. In diesem Moment bemerkte er mich und unsere Blicke trafen sich. Augenblicklich lächelte er und wurde vielleicht sogar ein wenig rot. Ich lächelte zurück und musste an unseren Zusammenstoß gestern denken. Wir waren uns so nah gewesen...

Mady kam, der Rest des Kurses tauchte auch nach und nach auf. Ich hatte keine Gelegenheit mehr, mit ihm zu reden, auch wenn ich mich zu gerne mit ihm unterhalten hätte.

Der Unterricht begann und ich war begeistert. Er machte nicht mit dem alten Zeugs weiter, sondern behandelte ein anderes Thema mit einer Menge aktueller Bezüge.
Der Unterricht machte mir mehr Spaß, ich war motiviert, interessiert und hochkonzentriert.
Vielleicht lag es auch nur an diesem wirklich attraktiven Mann da vorne, aber seine lockere, entspannte und humorvolle Art brachte mir dieses Fach einfach in dieser einen Stunde um so vieles näher als vorher...

Mady war weniger angetan. Das lag wahrscheinlich daran, dass in ihrem Hinterkopf noch Leon herumspukte, aber mich hatte Mr George schon vollkommen in seinen Bann gezogen. Schon seit dieser ersten Begegnung gestern, war er mir lieber als der Großteil meiner Mitschüler. Ach was, ich konnte ihn besser leiden als sie alle. Auf eine andere, viel schönere Art.

Er beendete den Unterricht mit einem: "So, das war's für heute. Ich wünsche euch noch ein schönes Wochenende.". Einerseits führte es mir vor Augen, dass er ein Lehrer war. Andererseits, dass wir morgen keinen Politikunterricht hatten und ich ihn also bis zum nächsten Dienstag nicht sehen würde. Letzteres siegte und ich ging nach vorne, nachdem ich meine Sachen zusammengepackt hatte.
Die meisten waren schon raus aus dem Raum, Mr Lewis sowieso. So viel zu Integration von neuen Kollegen...
Aber ich konnte mich nicht beschweren, es war nur gut für mich, dass ich den nicht auch noch am Hals hatte.

"Sie machen das gut. Ich hab das erste Mal das Gefühl in Politik wirklich was gelernt zu haben." Er sah mich an und lachte.
"Das freut mich. Letzten Endes ist das das Ziel jedes Lehrers. Oder sollte es zumindest sein..." Ich schmunzelte. Er hatte unser erstes Gespräch nicht vergessen. Er lächelte auch und mein Blick traf wieder seinen. Diese Augen...

Die Tür fiel zu und riss mich aus meinem Schwärmen. Ich drehte mich um und bemerkte, dass alle gegangen waren. Selbst Mady. Ich konnte nicht einschätzen, wie lange wir uns sonangestarrt hatten.

Ich räusperte mich und sah ihm wieder in die Augen.

"Verdammt...", hatte ich das richtig verstanden? Hatte er gerade wirklich...? Warum?

"Was denn?", fragte ich ihn und suchte seinen Blick.

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Hey!
Geht weiter...
Viel Spaß weiter beim Lesen!
Und danke für die Votes💗
LG
GM

Fuck SocietyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt