Kapitel 8: Ein Funke namens Zweifel

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 „So war das aber nicht geplant", begrüßte sie Rob während er sich in den fließenden Verkehr einordnete. Er warf ihr einen Seitenblick zu. „Ist alles okay? Du blutest."

„Ist schon okay. Ist nur ein Streifschuss." Alex presste ihre linke Hand auf die Wunde und ließ sich im Sitz zurücksinken. Ihr ganzer Arm pochte vor Schmerz. „Ist nur ein Kratzer."

Mit einen Blick auf ihre geschunden Füße stellte er fest: „Du hast keine Schuhe an."

„Barfuß gehen ist im Moment total angesagt, hab ich gehört. Wollte ich mal ausprobieren." Rob lächelte. Sie hatte schon immer gemocht wie er lächelte. Dabei entstand ein kleines Grübchen in seiner rechten Wange.

„Was ist den schief gelaufen, Alex? Ist die Zielperson wenigsten tot? Hast du die Kette?"

„Ja, er ist tot und ich hab auch die Kette, aber sie waren einfach viel schneller im Zimmer als gedacht." Lügnerin! Du hattest genug Zeit abzuhauen. „Ich musste mich die Balkone runterhangeln und da hat so ein Idiot auf mich geschossen."

„Wirklich? Du hast dich die Balkone runtergehangelt? Das hätte ich gern gesehen", lachte er. Das Grübchen erschien wieder. Sie nickte nur und wendete sich ab zum Fenster. Ihr war im Moment nicht nach Reden zumute, dafür schwirrte ihr der Kopf zu sehr. Alex versuchte noch zu verstehen, was da in diesem Hotelzimmer mit ihr passiert war. Sie hatte sich selbst nicht mehr so gut unter Kontrolle, wie sonst und das machte ihr Angst.

Rob bog schließlich in ein Parkhaus ein, parkte den Wagen und machte den Motor aus. Alex schaute sich stirnrunzelnd um. Sie hatte angenommen er würde sie direkt zu Anjas Wohnung fahren. Er stieg aus, umrundete den Wagen und öffnete ihr die Tür.

„Ich nehme dich lieber noch kurz mit in meine Wohnung", beantwortete er ihre unausgesprochene Frage. „So kann ich dich schlecht bei Anja abliefern, wenn sie dich mir schon mal ausleiht", sagte er zwinkernd. „Die haut mir eine runter, wenn sie dich so sieht."

Alex war noch nie hier gewesen. Rob zog ständig in eine neue Wohnung. Sie folgte ihm zu einer schweren Feuerschutztür und zu den dahinter liegenden Fahrstühlen. Sie hoffte inständig keinem Nachbarn von Rob zu begegnen. So wie sie aus sah, barfuß und mit Blut beschmiert, konnte sie gut als Entführungsopfer durchgehen. Es würde schwer sein ihr Aussehen plausibel zu erklären, damit nicht gleich die Polizei anrückte. Der Fahrstuhl war wenigsten schon mal leer, als die Türen vor ihnen aufglitten. Während der Lift sie in den fünfundzwanzigsten Stock brachte, blitzte in ihren Gedanken kurz das Bild von ihrem Opfer und ihr vorhin im Fahrstuhl auf. Sie musste heftig Schlucken und hatte das Gefühl sie müsste sich übergeben. Rob bemerkte zum Glück nichts davon.

Er stieg aus dem Fahrstuhl und ging voran. Er führte sie durch einen angenehm breiten Hausflur, der mit Teppichboden ausgelegt war. Dann ging er bis zur Stirnseite des Flurs, zur letzten Tür des Gangs, und schloss auf. Dahinter befand sich ein großer offener Raum, der mit teurem Laminat ausgelegt war. Alex zögerte kurz vor der Türschwelle. Sie hatte bereits Fahrstuhl und Flur mit Blut beschmiert und wollte ungern Robs Wohnung auch noch schmutzig machen, aber sie konnte auch schlecht auf dem Flur stehe bleiben, also trat sie ein. Gegenüber der Tür bestand die gesamte Wand aus bodentiefen Fenstern und bot einen atemraubenden Blick über die nächtliche Stadt. Davor war ein Schreibtisch auf dem drei PC-Bildschirme hinter einer gläsernen Tastatur platz fanden und ein teuer aussehender Tower darunter. Die linke Wand war weiß gestrichen und ein bequem aussehendes vanille-farbendes Sofa stand davor. Rechts neben dem Sofa befand sich eine Tür, die wahrscheinlich zum Schlafzimmer führte. Über dem Sofa waren unzählige Bilderrahmen befestigt. Auf einigen waren Anja und sie zu sehen. Rob liebte es, neben stundenlang vor dem PC-Bildschirm zu sitzen und den ein oder anderen Abend Poker zu spielen, zu fotografieren. Und seine Bilder waren wirklich gut. Am liebsten lichtete er Menschen ab und zwar nicht die Art von Fotos, wo sich jemand in einstudierten Posen vor der Kamera präsentiert, sondern es sollte immer so natürlich und spontan wie möglich sein. Meistens fotografierte er sie, ohne dass sie es bemerkten.

Rechter Hand befand sich eine schicke offene Edelstahlküche mit Tresen davor. Ein Esstisch mit fünf Stühlen war an die Wand, wo auch die Eingangstür war, gerückt. Direkt rechts neben der Eingangstür befand sich eine weiter Tür, vermutlich zum Badezimmer.

Rob ließ seine Schlüssel in eine Schale auf einem kleinen Tisch links neben der Tür fallen. Als nächstes gab er auf seiner Smart-Watch etwas ein und angenehme Jazz-Musik erfüllt durch geschickt versteckte Lautsprecher den Raum.

„Am besten du setzt dich an den Tisch. Ich werde den Erste-Hilfe-Koffer holen."

Während Alex sich auf einen der Stühle nieder ließ, huschte er in die Küche und suchte unter der Spüle danach. Dann befüllte er noch eine Schüssel mit warmen Wasser, schnappte sich ein Handtuch und kam mit allem zu ihr herüber. Er zog einen Stuhl zu ihr heran, umfasste zärtlich ihr Handgelenk und säuberte mit dem nassen Handtuch vorsichtig ihren Arm von Blut und Dreck. Dort wo seine Finger sie berührten kribbelte ihr Haut. Sie hatten ungefähr vor einem Jahr ein Affäre gehabt. Alex hatte sich wohl und geborgen bei ihm gefühlt. Sie hatte die Zeit zu zweit genossen, doch wenn sie mit ihm zusammen war, hatte sie immer das unterbewusste Gefühl gehabt, dass an seinem Platz jemand anderes sein müsste. Vielleicht hatte das mit diesem Jack zu tun, überlegte sich jetzt. Ihn schien sie bedingungslos geliebt zu haben.

Ein Brennen durchfuhr ihren Arm als Rob die Wunde desinfizierte. „Sorry, aber das muss genäht werden." Alex nickte nur stumm. Sie zuckte bei jedem Stich vor Schmerz zusammen, obwohl sie versuchte so still wie möglich zu halten.

„So, fertig. Willst du noch unter die Dusche springen, bevor ich es verbinde?"

„Ja, das ist eine gute Idee", antwortete sie mechanisch, obwohl sie nur noch ins Bett wollte.

„Okay, dann bring ich die Kette, die du erbeutet hast, schnell weg und besorge dir was Frisches zum anziehen und dann fahr ich dich nach Hause", er machte eine kurze Pause, „... wenn du willst."

Die Kette beinhaltete sicherlich eine Speicherkarte, doch Alex hatte nicht nachgefragt. Es war nicht ihr Job Fragen zu stellen.

„Hört sich gut an", sagte sie nur.

Im Badezimmer blieb sie vor dem Spiegel stehen. Sie nahm die blauen Kontaktlinsen heraus. Ihre dunkelgrünen Augen blickten ihr aus dem Spiegel entgegen. Auf ihrer Wange befand sich ein winziger Fleck Blut. Sie sah wieder vor sich, wie ihre Kugel seinen Hinterkopf durchschlug. Sie drehte den Wasserhahn auf, befeuchtete ihre Fingerspitzen. Ihre Hände zitterten leicht. Sie wusch den Fleck fort. Das Gefühl, dass er immer noch da war, blieb jedoch. Wie ein Mal brannte er auf ihrer Haut. Wie eine Berührung, die man noch meint danach eine gefühlte Ewigkeit zu spüren. Sie stieg in die Dusche. Wasser prasselte wohltuend warm auf sie hinab. Es sollte alle Sünden von ihr waschen. Sie dachte noch einmal über den Abend nach. Die Zielperson war ihr wirklich sympathisch gewesen. Für einen kleinen Moment, als sie so neben ihm saß, hatte sie sich vorgestellt, wirklich die Verlegerin, die sie spielte, zu sein. Einfach eine normale Frau, die bei einer Party einen tollen Mann kennen lernt und vielleicht mit ihm später noch verschwindet.

Ihr war es noch nie so schwer gefallen den Abzug zu drücken. Vorher hatte sie alle Jobs hoch professionell erledigt und keine Gefühle zugelassen, kein Mitleid und schon gar keine Reue. Jetzt ließ sie der Gedanke, etwas Schreckliches getan zu haben, nicht mehr los. Es hatte sich etwas seit der Sache auf der Brücke im Park verändert. Ein Funke namens Zweifel, groß wie ein Saatkorn, hatte sich in ihre Gedanken geschlichen, und wuchs ganz langsam und fast unbemerkt wie ein Tumor in ihrem Inneren.

Deadly BonesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt