Kapitel 10: Ein neuer Auftrag

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Jack frühstückte mit seiner Tochter Caroline. Sie erzählte gerade von irgendeinem Schulball den sie mitorganisierte. Er hatte Schwierigkeiten ihr zu zuhören. Er hatte die ganze Nacht wach gelegen. Hoffentlich setzt die Wirkung des Koffeins bald ein.

Caroline unterbrach ihren Redefluss abrupt. „Dad, ist alles in Ordnung?"

„Ja, Schätzchen. Tut mir Leid. Es war nur eine lange Nacht."

Sie nickte ernst. Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn. Wenn sie so sorgenvoll schaute, sah sie ihrer Mutter verdammt ähnlich.

„Es ist alles okay, Schatz. Soll ich dich zur Schule fahren?"

Sie schaute hoch zur Küchenuhr. „Ich nehm den Bus."

Sie nahm ihren Rucksack, gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange und verschwand aus der Tür. Jack holte sich noch einen Kaffee.

Er war bei Kaffee sechs, als der Chief endlich gegen Mittag ins Büro kam. Jack beobachtete von seinem Platz aus wie er in seinem Büro verschwand. Er warte anstandshalber noch zehn Minuten, dann stand er auf und klopfte an die Tür.

„Herein", der Chief war ein großer Mann mit Wohlstandbauch und einer Halbglatze, der stets gepflegt war und in teure Anzüge trug.

„Hallo Chief. Ich muss etwas mit ihnen besprechen." Jack schloss die Tür hinter sich. „Ich musste feststellen, dass in der Asservatenkammer Waffen fehlen und jemand diese auch aus der Datenbank gelöscht hat," er machte eine kurze Pause. „Nur sie haben die Zugangsberechtigung solche Daten zu löschen."

Der Chief lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Seine Miene blieb undurchdringlich.

„Dann muss uns wohl jemand gehackt haben", stellte er nüchtern fest.

„Jemand der Zugang zur Asservatenkammer hat", fügte Jack hinzu. „Also kann es nur jemand vom Revier sein, der ihr Passwort geknackt hat oder ... Sie."

„Haben Sie jemanden davon erzählt?"

„Nein, nur ich weiß davon."

„Gut", der Chief begann etwas auf einen Block zu schreiben. „Die Sache bleibt erst einmal unter uns. Ich werde mich darum kümmern. Nehmen sie sich den Rest des Tages frei. Sie sehen furchtbar aus."

Jack verließ das Büro. Er hatte gerade seinen Chef beschuldigt, Waffen zu stehlen und dieser hatte es noch nicht mal wirklich verneint. Er spürte, dass da etwas Unheilvolles auf ihn zugerollt kam.

Der Chief nahm sobald Jack weg war das Telefon in die Hand. Seine fleischigen Finger schwebten kurz über den Tasten. Sollte er es wirklich tun? Vielleicht reagierte er über. Anderseits erfuhr jemand davon und wies ihm etwas nach, würde es ihm nicht nur den Job kosten. Er wählte. Beim dritten Klingeln meldete sich Fiona Forbes.

„Ich habe einen Auftrag für uns." Alex saß mit Anja am Tisch im Wohnzimmer und aß frische Donuts.

„Ich habe bereits angenommen. Ich hoffe das ist okay für dich. Ich hätte dich ja gefragt, aber du warst ja...", kurze Pause. Anja schien nach dem richtigen Wort zu suchen. „...nicht da." Alex entging der komische Unterton nicht. Nahm Anja wirklich an, ich würde wieder mit Rob schlafen? Alex überging Anjas Bemerkung. Nach dem sie die Kirche verlassen hatte war sie noch etwas in der Stadt herum gelaufen und erst vor einer halben Stunde hier aufgeschlagen.

„Was ist es den für ein Auftrag? Ich könnte etwas Ablenkung gebrauchen." Alex bekam einen fragenden Blick von Anja. Sie tat so als würde sie ihn übersehen. Sie hoffte ein neuer Auftrag würde sie wieder in die richtige Bahn lenken. Sie musste wieder funktionieren.

Anja schob wortlos ein Mappe über den Tisch. Alex säuberte ihre vom Donut klebrigen Finger und überflog die erste Seite. Die Hälfte der Seite nahm ein Bild des Ziels ein. Ein Déjà-vu durchzuckte Alex. Ein Kribbeln ging von ihrem Herzen über ihre Arme bis in die Fingerspitzen. Ein Gefühl, als würden hunderter Ameisen auf ihrer Haut krabbeln. Sie ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. Atmete tief durch. Das Gefühl blieb, wurde aber erträglich, so dass sie sich wieder auf die Unterlagen vor ihr konzentrieren konnte.

Sie schaute sich das Foto genauer an. Es stammte offensichtlich aus einer Polizeiakte. Der Mann darauf trug Uniform. Er lächelte nicht, wirkte aber trotzdem sympathisch. Kurze dunkelblonde Haare, eine Narbe an der rechten Augenbraue, eisblaue Augen. Woher sie ihn kannte, wusste sie nicht. Darunter: Name: J. Foster. Beruf: Polizist (Detective der Kriminalpolizei). Größe: 1.85 m.

Dann folgten einige Zahlen: 58001M24SWS. Alex entschlüsselte es automatisch: Prioritär: 5, also hoch. Bis acht Uhr morgens soll es geschehen sein und zwar mit einem Kopfschuss und einem M24 Scharfschützengewehr.

Die Mappe enthielt außerdem Adresse, Lageskizze und einen Tagesablauf des Ziels.

Alex schaute auf. Anja musterte sie neugierig.

„Das ist alles?", in Alex Stimme schwang Enttäuschung mit. „Ich hatte auf etwas anspruchsvolleres gehofft. Warum machen wir so ein Auftrag?"

„Du fliegst bald wieder. Da lohnt sich kein größerer Auftrag."

Wenn hier alles erledigt war, würde Alex nach Prag fliegen. Die goldene Stadt. An ihre Zielperson dort war schwer heran zu kommen und er war ständig von Bodyguards umgeben. Es galt trotzdem ihn so diskret wie möglich zu töten. Alex konnte es kaum erwarten. Ein spannender Auftrag in einer tollen Stadt.

„Okay", brummte Alex. „Dann muss ich wenigstens nicht gleich morgens zum Arzttermin." Doktor Smith, der die halbjährlichen Untersuchungen vornahm, war Alex immer etwas unheimlich. Noch mehr jedoch freute sie sich auf die Ablenkung von ihrer düsteren Gedanken.

„Ich habe den Termin bereits abgesagt", bestätigte Lisa.

Als am nächsten Tag der Wecker klingelte, war Alex sofort hell wach, obwohl draußen noch Nacht war. Am Frühstückstisch wurde noch einmal der Ablaufplan besprochen. Dann nahm sie den großen Rucksack und verschwand aus der Tür.

Die kühle Morgenluft tat gut und machte sie wach. Sie nahm das Motorrad. Ziel war ein Vorort mit Einfamilienhäuser. Alex parkte in der Nähe einer Kirche, nicht weit von J. Fosters Haus entfernt. Sie verschwand in der Kirche und schritt zielstrebig an den leeren Bänken vorbei. Dann brach Alex eine alte Holztür ohne Mühe auf und erklomm den Kirchenturm. Sie öffnete eine Luke und befand sich nun auf einer Plattform direkt unter den Glocken. Sie öffnete den Rucksack und baute das Scharfschützengewehr zusammen. Dann legte sie sich hin und wartete.

Irgendwann kam die Sonne hinter dem Horizont hervor und verkündete den neuen Morgen. Es schien ein gewöhnlicher Tag zu werden. Am Horizont ließen sich erste Regenwolken erblicken, also wurde es vielleicht ein verregneter Tag. Es wird auf jeden Fall J. Fosters letzter Tag, dachte Alex.

Gegen sechs regte sich schließlich etwas im Haus von J. Foster. Vorhänge wurden zur Seite geschoben. Gestalten bewegten sich hinter den Fenstern. Ein Mädchen erschien in der Küche. Alex hatte nicht gewusst, dass J. Foster eine Tochter hatte, doch es beirrte sie auch nicht. Sie war auf der Jagd und da hatten Gefühle, insbesondere Mitleid, keinen Platz. Schließlich tauchte auch J. Foster in der Küche auf. Hier waren zu viele Hindernisse zum Schießen. Er würde jedoch gleich, wie jeden Morgen, hinaus bis zur Straße gehen und die Post herein holen.

Über Alex legte sich eine tiefe Ruhe. Die Ruhe eines Jägers, der in seinem Versteck auf seine Beute lauert und nur darauf wartet zuzuschlagen. Den Zeigefinger neben dem Abzug, ein Auge am Zielfernrohr, um die Einzelheiten zu erfassen, das zweite auf die Umgebung gerichtet, wartete sie auf den perfekten Augenblick. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Sie konzentrierte sich nur auf das Hier und Jetzt. Ihr Instinkt hatte die Kontrolle übernommen und sie war zur absolut tödlichen Waffe geworden. J. Foster kam aus der Haustür. Anlegen. Er ging zum Briefkasten. Sicherung lösen. Sein Kopf erschien im Fadenkreuz. Einatmen. Ausatmen. Schuss.

Deadly BonesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt