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Zurück im neuen Haus, werde ich von meiner gut gelaunten Mutter direkt einmal umarmt. "Und, Liebes, wie wars heute?", fragt sie übertrieben fröhlich und grinst. Ich lüge sie eigentlich nie an also sage ich:"War schon ok. Ich hab ein Mädel kennengelernt, Karla, redet ein bisschen viel aber ist eigentlich ganz nett.". Meine Mutter freut sich für mich, nimmt mir meine Tasche ab und legt sie auf die Treppe. Danach gehen wir in die Küche, in der mein Vater mit hochgekrempelten Ärmeln das Chaos bearbeitet. Nachdem er das Essen auf dem Tisch und das dreckige Geschirr in der Spülmaschine platziert hat, dreht er sich zu mir um und grinst. "Sorry, fettige Finger, sonst würde ich dich richtig begrüßen.", lacht er und ich nicke lächelnd.

Am Tisch bestaune ich das Werk meines Vaters. Er ist ein echt guter Koch und hat eine köstlich duftende Gemüselasagne gezaubert. Der Käse ist wunderbar goldbraun und wird von verschiedenen Kräutern geziert. Alle stürzen sich auf die Lasagne und sie schmeckt natürlich großartig. Zu meiner Überraschung bringt mein Vater anschließend sogar noch einen Nachtisch. Ein Mousse au Chocolat mit frischen Beeren. "Papa, du bist große Klasse!", sage ich mit vollem Bauch. Meine Mutter stimmt mir zu und küsst ihn auf die Wange. Er errötet leicht und kichert. Wie süß sich die beiden noch immer umwerben, da müssen doch diverse Paare vor Neid erblassen!

Nach dem Essen setzen meine Eltern sich ein bisschen ins Wohnzimmer und ich nehme meine Tasche und gehe hoch in mein Zimmer. Glücklicherweise bekommen wir Schüler aufgrund des langen Tages keine Hausaufgaben auf. Entspannt lasse ich mich also erst einmal auf mein Bett fallen und genieße die weiche Matratze unter meinem Rücken. Endlich Feierabend! Nachdem ich mich genüsslich in meinem Bett herumgerolt und mir eine Jogginghose angezogen habe setze ich mich an den Schreibtisch und fahre meinen Laptop hoch. Während der Ladebildschirm erscheint, fische ich mein Smartphone aus meiner Tasche und checke meine Nachrichten. Karla hat mir geschrieben und vorgeschlagen am Wochenende ins Kino zu gehen. Außerdem habe ich ein paar Nachrichten meiner alten Schulfreunde bekommen. Ein beklemmendes Gefühl breitet sich in meiner Brust aus, wie gern würde ich sie treffen... Aber weil das neue Schuljahr gerade erst angefangen hat wird das erstmal nichts. Schade Schokolade. Erst einmal antworte ich aber allen und widme mich dann meinem Laptop. Als erstes öffne ich Youtube und starte einen Beatles-Song. Dann google ich das Dorf und dessen Geschichte. Vielleicht ist hier wenigstens mal ein spannender Mordfall oder so passiert. "All you need is love!", schmettere ich mit, während ich in meiner Recherche auf eine Schlagzeile aufmerksam werde.

"Nicht enden wollende Entführungen geben der Polizei Rätsel auf". Es handelt sich um einen Artikel aus dem vergangenen Jahr. Überrascht lese ich weiter. Scheinbar wurden mehrere junge Frauen entführt und entweder blutleer oder gar nicht aufgefunden. Wenn sie gefunden wurden, waren sie an den verschiedensten Orten und oftmals in äußerst merkwürdigen Positionen. Eine Frau lag auf dem Grund eines Sees, eine Andere wurde kopflos in einem Kessel an einemGrillplatz gefunden, so, als hätte man sie essen wollen. Das klingt ziemlich wiederlich aber so richtig Angst macht es mir nicht. Mir tun bloß die Frauen und deren Familien leid. So etwas hat meiner Meinung nach keiner verdient. Ich suche nach weiterer Information zu diesem Thema. So wie es aussieht geht die Polizei von mehreren Tätern aus und zu allem Überfluss schlagen diese wohl immer wieder zu, ohne gefasst zu werden. Einige mögliche Verdächtige wurden wohl in Untersuchungshaft genommen aber wegen mangelnder Beweislage wurden sie wieder laufen gelassen. Inkompetente Dorfpolizisten. Ich schüttele leicht den Kopf. Hoffentlich passiert das nicht auch dieses Jahr.

Ich schließe die Website und wechsele das Lied. Irgendwie habe ich Lust auf einen massiven Genrewechsel. "Teenagers scare the living shit out of me!", schreien Gerard Way und ich im Chor. Ich kann mich nicht mehr auf dem Stuhl halten und tanze, wie bei einem Rock-Konzert, durch mein Zimmer. Irgendwie fühle ich mich nicht richtig ausgelastet. Also ziehe ich meine Schuhe wieder an, schnappe Handy, Kopfhörer und Hausschlüssel und gehe noch einmal nach draußen. Mittlerweile ist die Sonne fast untergegangen. Ich starte ein anderes Lied von My Chemical Romance und passe das Schritttempo an den Takt der Musik an. Das hab ich wirklich gebraucht. Ich umrunde das ganze Dorf und als ich fast wieder zu Hause bin sehe ich in der abgehenden Straße eine junge Frau, die von einem Mann bedrängt zu werden scheint. "Hey! Aufhören!", rufe ich energisch und gehe auf die beiden zu. Dann aber kommt ein zweiter Mann, reißt den Ersten von der Frau weg und pfeffert ihn mit unbändiger Kraft gegen eine Hauswand. Der Bedränger bleibt reglos liegen. Ich bleibe verunsichert stehen. Die verbliebenen Beiden stecken die Köpfe zusammen, wenden sich schließlich zu mir um. Oh Shit! Sofort drehe ich um und gehe  schnell in Richtung neues Haus. Zwischendurch drehe ich mich um und merke, sowohl der Mann als auch die Frau rennen los, direkt auf mich zu. Panisch sprinte auch ich los. Ich kann doch aber jetzt nicht nach Hause oder? Dann wissen die doch wo ich wohne! Nein, auf gar keinen Fall! Blöd, dass ich am Rande des Dorfes enlanggelaufen bin. Neben mir sind entweder die Verfolger oder tiefster Wald. Mist. Hoffentlich finde ich da schnell ein Versteck oder sowas. Okay, scheiße, im Wald ist es verdammt dunkel. Ich stolpere über einen Baumstumpf und lande schmerzhaft mit dem Fuß in einer Kule, die ich - oh Wunder - nicht gesehen habe. Ich lasse mich auf den Boden fallen, mein Fuß schmerzt wie Hölle. Warum muss ich eigentlich so verdammt oft umknicken?! Ich versuche flach zu atmen und keinen Mucks zu machen. Es ist wirklich so richtig, richtig dunkel im Wald. "Hab sie aus den Augen verloren...", flüstert die Frau. "Komm, lass gut sein, es ist zu dunkel.", sagt der Mann in normaler Lautstärke. Komisch, beide sind gar nicht außer Atem. Ich höre Schritte, die sich entfernen. Trotzdem warte ich noch eine ganze Weile, ehe ich in Richtung Dorf zurück humpele. Zum Glück sind die Lichter der Häuser noch leicht erkennbar. Ich bin bei meinem Rückweg äußerst vorsichtig und leise und atme erleichtert aus, als ich mich von innen an die Haustür lehne. Ich gehe duschen, er war wohl ganz schön matschig, der Waldboden. Danach hole ich mir ein Kühlakku für meinen Knöchel und lege mich aufs Bett. Ich muss Karla morgen unbedingt davon erzählen!

Wenn die Dunkelheit ruftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt