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Ich habe die Situation im Bett liegend noch ein paar mal reflektiert, dann bin ich darüber eingeschlafen. Als ich am nächsten Morgen aufwache, liegt das nicht an der Sonne, sondern an der Weckerapp auf meinem Handy. Ich blinzele, merke, dass mir kalt ist und richte mich auf. Die Sonne scheint gar nicht aufgegangen zu sein... es regnet wie aus Eimern. Seufzend stehe ich auf, spüre aber sofort wieder meinen schmerzenden Knöchel. Och nööö. Nachdem ich mich vorsichtig in Jeans und Hoodie geworfen habe, mache ich mich im Badezimmer fertig und lege einen Verband an. Zum Glück stabilisiert dieser meinen Fuß soweit, dass ich einigermaßen schmerzfrei auftreten kann.
Nachdem ich kurz gefrühstückt habe, mache ich mich auch schon auf den Weg zur Schule, weil ich tatsächlich etwas knapp dran bin.

In der ersten Doppelstunde habe ich meinen Leistungskurs Englisch, Karla hat Deutsch als Leistungskurs, deswegen kann ich ihr noch nicht von meinem Erlebnis erzählen. In Englisch diskutieren wir über die Vor- und Nachteile von Gentechnik. Ich beteilige mich gerne, weil mir die Sprache liegt und ich sinnvolle Diskussionen sehr genieße. Ein Junge, circa 18 Jahre alt, bringt immer wieder Proargumente, gegen die ich natürlich angehe. Seine Augen strahlen richtig und nach einer Weile handelt es sich um eine leidenschaftliche Diskussion von nur noch uns beiden. Am Ende der Stunde kommt er grinsend zu meinem Tisch und streckt mir die Hand entgegen. "Hi there, das war 'ne coole discussion! Hast du Lust nach der Schule was zu machen?", sagt er, selbstbewusst grinsend. "Hallo erstmal, mein Name ist Ally.", antworte ich lachend. "Haha, sorry, hast ja recht! Ich bin Victor, hättest du denn Lust?", beharrt er weiter. "Joa, warum nicht. Ich warte dann um 4 am Haupteingang.", erwiedere ich schulterzuckend. Er nickt, dreht sich um und geht, wieder strahlen seine Augen. Witziger Typ.

In der anschließenden Doppelstunde Biologie Grundkurs treffe ich dann endlich Karla und erzähle ihr von gestern und von Victor. Als ich geendet habe ist Karla seltsam ruhig. "Hey, alles okay?", frage ich besorgt. Sie erklärt mir abwesend, dass es "wieder los geht". Ich verstehe kein Wort und frage noch einmal, da fährt sie mich an:" Pass bitte ganz besonders gut auf dich auf, ja?". Ich bejahe ganz verwundert und sie bricht fast in Tränen aus, als sie mir anschließend um den Hals fällt. Sie nimmt meine Hand und ich wundere mich noch mehr, bis ich einen gefalteten Zettel in meiner Hand spüre. Als Karla los lässt schließe ich meine Finger um das Papier. Sie sieht mich warnend an. Ich stopfe den Zettel möglichst unauffällig in meine Handyhülle und Karla wirkt erleichterter. Okay, was zur Hölle ist in diesem Dorf los?!?

Ich konzentriere mich den Rest des Tages auf den Unterricht und esse sogar ausnahmsweise in der Schulmensa. Zu meiner Überraschung  setzt sich Victor zu uns an den Tisch und mit ihm gleich noch zwei Mädels und ein weiterer Typ, deren Namen ich leider sofort wieder vergessen habe nachdem sie ihn gesagt haben. Victor und Karla fragen mich über meinen alten Wohnort aus und ich antwortete brav, quetsche sie aber genauso aus. Wir verstehen uns gut und der Rest des Unterrichts vergeht wie im Flug.

Nach der Schule stehe ich am Haupteingang unter dem Vordach und warte auf Victor. Er braucht nicht allzu lange und schlägt vor, zu einem  Bistro zu gehen. Das ist zum Glück nicht allzu weit entfernt. Keiner von uns hat allerdings einen Regenschirm dabei und es schüttet noch immer.
Als wir dann endlich im Bistro ankommen, ist schon ein bisschen was los. Victor führt mich zu einem Tisch am Fenster. Er verrät mir, dass sich unter den Fenstern Heizungen befinden und wir dort unsere Jacken trocknen können. Ich lache und er grinst. Nachdem wir Burger und Pommes bestellt haben fragt er mich nach meinen Interessen und wir fangen an, uns angeregt zu unterhalten. Ich habe das Gefühl, dass wir tatsächlich auf einer Wellenlänge sein könnten. Irgendwann fragt er wo ich wohne und als ich ihm antworte, bricht er in Gelächter aus. "Gibt's ja nicht! Wir sind Nachbarn!". Auch ich lache verblüfft und nach dem Essen bestellt er sich einen Kaffee und ich mir einen Tee. Wir lachen und quatschen noch eine ganze Weile, ehe wir uns zusammen auf den Weg nach Hause machen. Anders als meine Familie und ich lebt Victor allerdings alleine in einer Wohnung innerhalb eines Mehrfamilienhauses. Vor meiner Haustür schreibt er mir noch seine Nummer auf die Hand und drückt sie sanft. Dann verabschiedet er sich und ich betrete freudig das Haus. Ich begrüße meine Eltern und gehe bald darauf schlafen. Das war ein schöner Tag. Meinen Knöchel spüre ich kaum mehr.

Wenn die Dunkelheit ruftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt