Der nächste Morgen ist noch immer verregnet und kalt, entsprechend weckt mich wieder einmal mein Handy. Schade, ich hatte von einem Luxusresort am Strand geträumt. Stattdessen bin ich immer noch hier. Am seltsamsten Ort der Welt.
Heute habe ich einen richtigen Bad-Hair-Day. Irgendwie stehen ein Paar Strähnen in unmögliche Richtungen an. Ich bürste aggressiv durch mein langes, schwarzes Haar und flechten es zu einem langen Zopf. Jetzt sieht das Ganze wenigstens einigermaßen manierlich aus. Auch heute ziehe ich Jeans und Hoodie an, es ist nämlich wieder DIESE Zeit im Monat. Entsprechend bereite ich mich vor und packe Hygieneartikel in meine Tasche. Anschließend gehe ich nach unten und verlasse das Haus. Meine Eltern haben, wie immer, bereits das Haus verlassen und aufgrund der monatlichen Umstände lasse ich das Frühstück ausfallen. Wenn ich meine Periode habe, neige ich zu extremer Übelkeit und das sollte ich erfahrungsgemäß wirklich nicht ausreizen! Ich verlasse also das Haus und schreibe Victor eine Nachricht. "Schon wach?" "Theoretisch ja..." , antwortet er. Ich schlage vor, an seinem Haus auf ihn zu warten und zusammen zur Schule zu gehen und auch er ist einverstanden. Nach wenigen Minuten des Wartens tritt Victor auch schon aus seiner Haustür und lächelt verschlafen. "Morgen...", murmelt er und umarmt mich lange. Er trägt ein unglaublich gutes Parfüm, das ich vorsichtig einatme. Erneut wird mir bewusst, dass er älter und größer ist als ich. Er überragt mich fast um einen ganzen Kopf, obwohl ich nicht besonders klein bin.
Als wir die Schule erreichen sind wir pünktlich zu Unterrichtsbeginn dort. Hier trennen sich unsere Wege, denn ich habe meinen Leistungskurs Psychologie und Victor hat seinen LK Chemie. In Psychologie denke ich über Victor nach. Seine Nähe empfinde ich als sehr angenehm, was bei mir eigentlich gar nicht üblich ist. Normalerweise brauche ich sehr lange, um mit Anderen richtig warm zu werden. Nach einer Weile wische ich die Gedanken aber beiseite, dafür ist später auch noch Zeit. Jetzt sollte ich mich besser auf den Unterricht konzentrieren. In der kleinen Pause, zwischen den Fächern, krame ich mein Handy aus meiner Tasche und hoffe auf ein Paar Nachrichten. Nichts. Allerdings bemerke ich eine Beule in meiner Handyhülle. Verwundert ziehe ich einen kleinen Zettel hervor und da fällt mir alles wieder ein. Den Zettel in der geschlossenen Faust, verschwinde ich auf dem Mädchenklo und schließe mich in einer der Kabinen ein. Auf dem Zettel steht eine Adresse, die mir nicht bekannt ist. Den Zettel stecke ich wieder an den Ort, wo ich ihn hernahm. Dann betätige ich die Spülung und verlasse die Toilette. Im Geschichtsunterricht treffe ich auf Karla, die total mitgenommen aussieht. Als ich sie darauf anspreche reagiert sie mit einem müden Lächeln und meint, ihr kleiner Bruder, der noch im Säuglingsalter sei, hätte die Nacht hindurch ununterbrochen geschrien. So richtig will ich ihr das nicht glauben, belasse es aber einfach dabei. Hoffentlich erzählt sie mir am Freitag, nach dem Kino, mehr. Immerhin ist schon Mittwoch. In der Mittagspause kann ich Victor nirgends sehen, lasse mir aber nichts anmerken. Karla und ich quatschen ein bisschen, essen unsere Spaghetti und ich habe das Gefühl, sie wird etwas munterer. Das beruhigt mich, ich frage sie, ob sie nach der Schule noch mit zu mir möchte. Wir müssen nämlich in Geschichte eine Präsentation vorbereiten und halten. Karla sagt allerdings nicht zu und faselt irgendwas von einem wichtigen Termin. Etwas enttäuscht drücke ich aber mein Verständnis aus. Der restliche Schultag verläuft eher unspektakulär, in Deutsch lerne ich zwei weitere Mädels kennen, die auch neu hergezogen sind. Und dann gehen die Übelkeit und die Krämpfe los. Normalerweise ist es bei Weitem nicht so schlimm. Sofort nach Unterrichtsschluss renne ich auf die Toilette und übergebe mich. Mein Körper kommt mir heute seltsam schwach vor. Beim Waschen von Gesicht und Händen fallen mir meine zittrigen Finger auf. Ich trinke deshalb noch einen guten Schluck Wasser und schultere bald meine Tasche. Nach einem Blick auf die Uhr, merke ich, dass ich mich fast eine halbe Stunde lang übergeben haben muss. Ich verziehen das Gesicht. Die Gänge der Schule sind nur noch schwach beleuchtet und ich befürchte, dass ich eine der letzten Personen im Gebäude bin. Auf dem Weg zum Haupteingang, sehe ich einen Lichtstrahl durch einen Türspalt auf den Gang scheinen. Erinnert mich ein bisschen an meinen ersten Tag hier. Ich wäre auch einfach weiter gegangen, hätte ich nicht das Wimmern gehört. Abrupt bleibe ich stehen. "...nichts falsches getan...", dringt eine leise, weinerliche Stimme an mein Ohr. Daraufhin brüllen und weiteres Wimmern. Mein Herz pocht laut. Ein Geräusch, wie ein lautes Klatschen ertönt. Bloß, dass es dem dazu einher gehenden Schrei nach zu urteilen, kein einfaches Klatschen, sondern eine Ohrfeigen war. Alarmiert stehe ich unmittelbar neben der Tür. Bis zum Haupteingang ist es nicht mehr weit. Ich schreie:"Sofort aufhören!", reiße die Tür so auf, dass man mich nicht sehen kann und renne los. Die Aktion zeigt Wirkung. Ich bin schon die Treppe halb herunter gerannt, da ertönen Schritte auf dem Flur, und Stimmen, die nach mir suchen. Wenige Sekunden später ein lautes:"Mist, sie ist abgehauen!". Erleichtert verlasse ich im Sprint das Gebäude, bin in wenigen Minuten wieder zu Hause. Ich würde mich gerne auf der Couch ausruhen, doch das lassen weder mein Magen, noch mein Unterleib zu. Stattdessen zieht es mich wieder einmal über die Kloschüssel. Mein Mageninhalt leert sich erneut, obwohl seit dem letzten Mal schon nichts mehr drin ist. Ich wasche mich noch einmal, trinke etwas und taumele in mein Zimmer. Nachdem ich auf das Bett gefallen bin, übermannt mich schnell Dunkelheit. Ob ich ohnmächtig geworden bin oder einfach nur eingeschlafen, kann ich selbst am nächsten Morgen nicht sagen.
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Wenn die Dunkelheit ruft
Vampire"Dass meine Eltern mit mir umgezogen sind, ist schon nervig genug, aber auch noch in ein Dorf jenseits von aller Zivilisation? Wie nervig ist das Bitte?!? Und dann passieren auch noch super merkwürdige Dinge...