Kapitel 4

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Die trostlose Landschaft ist von einer dichten Nebelwand überzogen, die mir jegliche Sicht nimmt. Ich kann nur die Dinge erkennen, die sich unmittelbar vor meinen Augen befinden. Vorsichtig setze ich einen Schritt nach dem anderen, ohne zu wissen, wohin mich mein Weg führt.

Der Vollmond leuchtet strahlend weiß am Himmel und taucht alles um sich herum in ein gleißendes Licht, ich tappe trotzdem in völliger Dunkelheit umher. Mein knielanges Nachthemd weht wild um meine Beine herum und ich spüre den kalten Asphalt unter meinen nackten Füßen, meine Hände sind so taub vor Kälte, dass ich sie nicht mehr spüren kann.

Langsam zieht der Nebel nach beiden Seiten ab und ich kann endlich die verlassene Straße vor meinen Augen erkennen. Sie führt geradlinig zu einem kleinen See, auf dem sich noch vereinzelte Nebelschwaden befinden. Ich nähere mich zögerlich dem Wasser und bleibe vor dem rankenüberzogenen Steg stehen. Ich höre leise die Frösche quaken, sehe Fledermäuse, die lautlos durch die Nacht huschen und spüre einen kalten Windstoß auf meiner Haut. Gänsehaut breitet sich auf meinem gesamten Körper aus und lässt mich erschaudern.

Als ich vorsichtig einen Schritt nach vorne gehe, knarrt der morsche Steg unter meinem Gewicht. Ich zucke kurz zusammen, gewöhne mich jedoch schnell an den unsicheren Halt und habe keine Angst.

Ich senke meinen Blick und schaue auf das glasklare Wasser, mein Spiegelbild starrte mich voller Erbarmen an. Ich schließe die Augen, weil ich mich von mir selber beobachtet fühle und beginne, mich langsam hin und her zu bewegen. So döse ich in Ruhe vor mich hin, lullere immer weiter ein und nehme nicht mehr wahr, wie ich das Gleichgewicht verliere.

Mit einem Ruck kippe ich plötzlich nach vorne und schreie auf, doch noch im selben Moment greift eine warme Hand nach mir und zieht mich schwungvoll zurück, bevor ich ins Wasser stürze.

Schlaftrunken und doch wach nehme ich die dunkle Silhouette einer jungen Frau wahr. Der Wind ist so stark, dass er ihr die langen blonden Haare ins Gesicht weht und ich nicht erkennen kann, wer sie ist.

Beide starren wir nach unten auf unsere miteinander verschränkten Hände. Meine ist kalt wie Eis, ihre heiß wie Feuer. Ihre Wärme geht über in meine Fingerspitzen und durchströmt von dort aus meinen Blutkreislauf. Mein Herz beginnt, wieder zu schlagen und ich fühle mich lebendig und kraftvoll.

Doch dann zieht der Nebel wieder auf und umhüllt sie, bis ich sie nicht mehr sehen kann. Ich spüre ihre Haut noch auf meiner, bis der Wind so stark wird, dass mir auch ihre Hand entzogen wird.

Ich versuche noch mit aller Macht, sie festzuhalten, doch die Gewalt der Natur entreißt sie mir, so dass ich nach hinten falle in das eiskalte Wasser. Die Wellen verschlucken mich und ziehen meinen Körper nach unten. Alle Energie, die sie mir schenkte, wird mir entzogen und ich erfriere, weil sie mich nicht mehr wärmen kann.

Schweißgebadet wache ich auf und schrecke in meinem Bett hoch. Meine Hände krallen sich in das verschwitzte Laken und suchen verzweifelt Halt an diesem, damit ich nicht wieder drohe zu fallen.

Ich atme luftschnappend durch den Mund ein, dann wieder aus. Immer und immer wieder muss ich mir sagen, dass ich hier in meinem Zimmer in Sicherheit bin. Doch wenn ich mich umschaue, ist da die selbe Dunkelheit wie in meinen Traum, die mich erschaudern lässt.

Durch das geöffnete Dachfenster direkt neben meinem Bett dringt ein schmaler Lichtstrahl einer Laterne in mein Zimmer, trotzdem lassen sich nur vereinzelte Silhouetten meiner Möbel erahnen. Die frische Luft, die hineinkommt, nehme ich sofort und intensiv in mir auf.

Es war nur ein Traum, nur ein blöder Albtraum, mehr nicht. Sie ist nicht fort, du wirst sie wiedersehen, sie ist nicht fort Antonia. Beruhige dich bitte.

MitternachtsroseWhere stories live. Discover now