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Kapitel VII

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Im Wald war es still, bis auf das gelegentliche Rauschen der Blätter im Wind. Nur Mondlicht erleuchtete spärlich den schmalen Waldweg, den Neal mit mir einschlug. Obwohl ich oft in diesem Wald unterwegs war, kannte ich mich in diesem Areal nicht besonders gut aus. Die Wege schienen brauchbar und nicht allzu zugewuchert, weshalb ich mich spontan dazu entschloss, meine Laufrunde in Zukunft ein wenig auszuweiten.

Es war die eine Sache sich tagsüber hier aufzuhalten; doch seit ich den Wolf gesehen hatte, war mir der Wald bei Nacht ein wenig unheimlich geworden. Die Äste der Bäume hingen über uns wie schwarze Arme, die das Waldesinnere von der Außenwelt abschirmten. Das dichte Laub, das bei Tag Schatten und Lichtspiele bot, verdeckte zu dieser Tageszeit den Himmel, sodass der Mond kaum zu uns durchdrang. Es war kühl, kälter als ich erwartet hatte, und schon nach wenigen Metern spürte ich die Kälte bis auf die Knochen. Schützend schlang ich meine Arme um mich und das dünne Tanktop. Neal, der sich neben mir meinem Tempo angepasst hatte, schlüpfte ohne großes Aufheben aus seiner dunkelblauen Stoffjacke, um sie mir anzubieten. Er trug noch ein lockeres Hemd und T-Shirt darunter, weswegen ich kaum Schuldgefühle dabei hatte, die Jacke anzunehmen.

„Danke", sagte ich leise, den warmen Stoff eng um mich ziehend. Er roch genau wie Neal, nach einer Mischung aus Wald und Zitronenseife.

„Ich hoffe, du nimmst mir die Frage nicht übel, aber mir ist aufgefallen, dass Mira ziemlich viel von deinen früheren Pflegefamilien erzählen konnte. Du bist oft umgezogen, oder?"

Er blickte mich fragend an, während ich die plötzliche Frage verdaute.

„Das ist noch untertrieben."

Ich zuckte mit den Schultern, die Augen auf den dunklen Waldboden gesenkt. Sein Blick war nicht unfreundlich, aber ein wenig zu intensiv. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich röntgen wollte, als würde er nach etwas suchen. „Aber ich fürchte, ich kann dafür niemand anderen als mich selbst verantwortlich machen."

„Das kann ich mir schwer vorstellen. Weshalb denkst du das?"

Das Gespräch hatte eine ernstere Wendung genommen als erwartet, was mich meine nächsten Worte mit Sorgfalt wählen ließ.

„Manchmal treffe ich nicht die klügsten Entscheidungen." Oder denke gar nicht erst nach, fügte ich bei dem Gedanken an meine vergangenen Episoden hinzu. Aber falls ich die Wahl hatte, sie zu stoppen, so tappte ich noch darüber im Dunkeln, wie ich das anstellen sollte. „Und manchmal war ich nicht von den klügsten Menschen umgeben. Oder den nettesten."

Neal schien nach den passenden Worten zu suchen, und ich lächelte, um die aufkommende Befangenheit abzuwehren.

„Das tut mir leid zu hören."

Ich bemühte mich, die aufkommende Verstimmung niederzukämpfen. Dass es den Leuten leid tat, ändert auch nichts an meiner Lage.

Seine Schritte wurden langsamer, bis sie für einen Moment aussetzten. Neal stellte sicher, dass ich ihn ansah, bevor er fortfuhr. „Das kannst du bestimmt nicht mehr hören. Aber ich meine es ernst. Ich hatte gehofft, dass es dir besser ergangen ist."

Die Aufrichtigkeit seiner Worte ließ meinen Ärger abebben und ersetzte ihn mit Verlegenheit. Die einzige Antwort, zu der ich mich durchringen konnte, war ein halbes Lächeln, aber Neal erwartete nicht mehr. Still setzten wir unseren Weg fort.

„Du hast erzählt, dass du deine Mutter früh verloren hast", nahm er den Faden nach einer Weile wieder auf. „Aber hast du herausgefunden, wer dein Vater ist? Hat er jemals versucht, Kontakt aufzunehmen?"

Obwohl ich zunehmend das Gefühl bekommen sollte, dass mein Gesprächspartner zu tief in meine Privatsphäre vordrang, schüttelte ich bloß den Kopf. Da meine Mutter weder seinen Namen, noch eine Adresse für das Krankenhauspersonal hinterlassen hatte, war es unmöglich gewesen, ihn ausfindig zu machen. Nicht, dass ich es in einigen schwachen Momenten nicht versucht hätte. Aber ist er es wert, gefunden zu werden? Weiß er von mir?

Finding CaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt