Sturmfrei

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Beat. Bass. Sing. Song. Heiko und Roman rappten und performten durch ihr Studio. Oder viel mehr: Ihr Kinderzimmer. Sie waren mittendrin in einem aufwendigen Video-Dreh, den sie schon seit Tagen vorbereitet hatten. Bruder vor Luder sollte ihr nächster großer eigener Hit werden. Die Zwillinge Heiko und Roman Lochmann, bekannt als: Die Lochis, waren über die Jahre mit ihren Videos auf YouTube berühmt geworden. Mit eigenen Hits wie Durchgehend Online oder Ich bin blank waren sie mittlerweile sogar sehr erfolgreich, nachdem sie davor Parodien zu bekannten Hits von Rihanna bis Cro herausgebracht hatten. Die Zwillinge bemerkten vor lauter Konzentration gar nicht, dass ihre Mutter bärbel sich langsam, aber sicher von links in  ihr sorgsam ausgefeiltes Setting schob. Erst mitten im Refrain brachen die beiden Brüder genervt ab. ,,Boah Mama!", stöhnten sie.

Ihre Mutter lächelte entschuldigend. ,,Wir wollten nur Tschüss sagen." Heiko und Roman blickten auf ihren Greenscreen und beschlossen, eine kurze Pause zu machen. Sie gingen hinter ihrer Mutter her, die auf dem Weg vor das Stadthaus jede Menge gute Ratschläge verkündete: ,,vergesst nicht, den Müll raus zu bringen", sagte sie und zeigte auf die Mülltonnen, die im Hinterhoff standen. ,,Ja Mama", sagte Heiko. ,,Und denkt dran, die Blumen zu gießen." ,,Ja Mama", sagte Roman und überlegte , demnächst ein Video über die unnötigsten Ratschläge der Welt zu machen. Aber seit dieses Megakonzert anstand, hatten die Zwillinge kaum noch Zeit für ihre "normalen" Samstags- und Mittwochs Videos auf YouTube.

Bärbel drückte jedem ihrer Jungs einen dicken Kuss auf die Wange. Beide grinsten sich schief an, als sie beim anderen die Lippenstiftspuren entdeckten. ,,Im Kühlschrank ist genug für zwei Wochen, falls aber irgendwas sein sollte ... ", fuhr Bärbel unbeirrt fort. ,,Ja Mama ", sagte Heiko. ,,Äh Mama, wir kommen schon ..." Heiko wurde vom Klingeln eines Handys unterbrochen. Bärbel bedeutete ihren Jungs leise zu sein, und ging ran: ,,Ja? Ja, das ist richtig." Bärbel hielt die Hand über das Handy und flüsterte: ,,Der Konzertveranstalter." Dann telefonierte sie weiter: ,,Exakt. Also können wir uns darauf verlassen, dass in unserer Abwesenheit alles nach Plan ... "

In diesem Moment kam Ulf, der Vater der Zwillinge, aus dem Haus. Auch er hatte sein Handy am Ohr und sprach ernst hinein: ,,Das verstehe ich ja, aber das muss warten, bis meine Frau und ich vor Ort sind wir uns einen Überblick über die Situation verschafft haben." Er hielt die Hand über das Handy und wandte sich an Heiko und Roman: ,,Ihr kommt allein klar?" ,,Ja, Papa." Heiko und Roman nickten. Auch Bärbel hielt wieder die Hand über ihr Handy und fragte besorgt: ,,Seid ihr sicher, dass ihr das alles allleine durchsteht?" ,,Mh, ja.", telefonierte Ulf weiter und meinte dann flüsternd: ,,Sie werden schon nicht sterben, Bärbel!" Plötzlich besorgt, sah Ulf seine Söhne an. ,,Oder Jungs? Werdet ihr sterben?", fragte er. ,,Nein Papa." Heiko und Roman schüttelten den Kopf. 

Heiko überlegte, demnächst mal ein Video über die unnötigsten Fragen der Welt zu machen. Aber Roman hatte nur noch dieses Konzert im Kopf und würde bestimmt ausflippen, wenn er ihm das vorschlagen würde. ,,Das kommt nicht infrage", sagte Ulf ins Telefon und zischte: ,,Versprecht uns, nicht zu sterben!" Heiko und Roman blickten sich irritiert an. ,,Wir versprechen nicht zu sterben", verkündeten sie feierlich. Ulf wandte sich an seine Frau. ,,Siehst du, Schatz?" Dann rief er ins Telefon: ,,Nein nicht Sie! Warum sollte ich Sie Schatz nennen?" Heiko und Roman sahen sich an, rollten mit den Augen und waren sich einig: Die Eltern nervten. Entschlossen bugsierten die Zwillinge Bärbel und Ulf zum Auto.

,,Gute Geschäftsreise", wünschte Heiko brav. ,,Und vielen Dank für euer Vertrauen", ergänzte Roman höflich. ,,Kriegt ihr sicher alles alleine hin?", fragte Bärbel zweifelnd. ,,Keine Angst. Wir sind Profis. So ein Konzert ist für uns no biggie!", sagte Heiko selbstbewusst. Na ja", meinte Roman unsicher. ,,Wir müssen nur das kreative klären, für die Orga haben wir ja den Veranstalter", erklärte Heiko. Roman sah seinen Bruder entgeistert an. ,,NUR das Kreative?" Doch bevor Heiko ihm antworten konnte, umarmte Bärbel die Zwillinge und küsste sie. ,,Meine Jungs! Ich bin so stolz auf euch!" Ulf hielt sein Handy einen Moment von sich und runzelte die Stirn. ,,Meinst du nicht: Unsere Jungs?" Bärbel grinste. ,,Ach plötzlich sind es wieder unsere?" ,,Danke Mama. Danke Papa", unterbrachen Heiko und Roman ihre Eltern genervt. 

,,Wir versuchen alles, alles, alles, wirklich alles, alles, um pünktlich zu eurem großen Auftritt wieder da zu sein!", versprach Bärbel. ,,Kein Stress", murmelte Heiko und Roman lässig. ,,Ach, Babys." Bärbel seufzte und dann stieg sie endlich zu Ulf ins Auto, der genau wie sie, noch immer das Handy am Ohr hielt und telefonierte. Endlich fuhren sie los und die Zwillinge wirkten hinterher. ,,Puh, Eltern, immer am Handy", stellte Heiko fest und dann grinste er Roman an. ,,Sturmfrei!" Doch Roman grinste weder zurück, noch wirkte er erleichtert. Er hohlte eine megalange To-do-Liste aus der Tasche und begann, den ersten der vielen Punkte vorzulesen:

,,Setlist. Wir müssen klarkriegen, welche Songs wann drankommen. Punkt zwei: Stage-Show. Wir müssen die Choreografie einstudieren und ... "Heiko unterbrach seinen Bruder: ,,Darf ich kurz?", fragte er, nahm Roman die Liste weg und zerriss sie kurzerhand. ,,Hey!", empörte sich Roman. ,,Mach dich locker, Brüderchen. Das wird alles!", meinte Heiko. Roman stellte sich vor seinen Bruder und sah ihm ernst in die Augen. ,,Heiko, es ist was anderes, im Kinderzimmer vor'nem Greenscreen zu performen als live vor tausenden Leuten." Heiko legte Roman beruhigend die Hand auf die Schulter. ,,Roman. Du musst einfach mal unter Leute. Nichts baut Lampenfieber besser ab ..."

Bruder vor Luder mal andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt