Kapitel 23 - Taumelnder Träumer

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Kapitel 23

Taumelnder Träumer


~Mile~
12. Drillon 80'024 ☼IV – Mondtal, Jeshin, Twos

»Gut, sehr gut, Mile! Aber jetzt ist genug. Ruhiger! Mile, verdammt!«
Die Euphorie entglitt ihm, die Flammen stoben auf und setzten Dasmirs Kutte in Brand. Fluchend drehte sich der junge Zauberer um die eigene Achse, riss sich den bordeauxroten Stoff über den Kopf und warf ihn in den Onwasee, dessen Ufer wenige Meter von ihnen entfernt ruhig über den Steinstrand rollte.
In seiner verwaschenen Leinenunterwäsche stand Dasmir Torres nun da, seinen Schüler böse anfunkelnd.
Da der Platz der Zähne zu grossem Teil aus Obsidian bestand, war er natürlich ungeeignet, um darauf Pyrokinese zu trainieren und alle anderen Orte in der Stadt waren zu öffentlich oder gefährdet, Feuer zu fangen. Deshalb mussten sie sich ausserhalb der Stadtmauern begeben. Gleich am Ufer des Onwasees hielten sie sich nun immer auf, damit Mile sich in seinem Feuer versuchen konnte, ohne gleich die ganze Stadt abzubrennen.
»Scheisse, Dasmir, tut mir leid! War keine Absicht!«, versuchte Mile zu sagen, ohne dass er lachen musste, denn die Szenerie sah schon sehr amüsant aus. Er schaffte es, den Flammenkreis, den er um sich geschaffen, auf- und abbrennen lassen hatte und der eben leider in Dasmirs Richtung ausgeschlagen war, zu ersticken.
»Das klappt so einfach nicht«, seufzte Red und erhob sich aus dem Kies, in dem sie gesessen hatte, um ihnen beim Trainieren zuzusehen. »Du hast dich nicht im Griff, Mile!«
»Stimmt doch gar nicht!«, wehrte er sich, ohne sein Grinsen noch weiter unterdrücken zu können. »Ich war noch nie so gut wie jetzt im Feuermachen!«
»Darum geht es aber nicht«, schimpfte Dasmir grimmig, während er seine Robe wieder aus dem Wasser zog. Er versuchte sie auszuwringen, doch sie triefte noch immer.
»Ich kann versuchen, sie zu trocknen«, schlug Mile vor, doch der Zauberer schüttelte energisch den Kopf.
»Ich bin noch immer der Meinung, dass du zu meditieren beginnen solltest, bevor du noch weiter mit dem Feuer spielst!«, erklärte Red, die sich mit verschränkten Armen vor ihm aufgebaut hatte. »Der Flammenhass sollte nicht unterschätzt werden, du musst das unter Kontrolle kriegen!«
»Pha!«, machte Mile und rollte mit den Augen. »Ich meditiere doch nicht!«
»Vielleicht wäre das aber eine gar nicht so dumme Idee«, stimmte Dasmir Red zu.
»Macht euch nicht lächerlich«, winkte der junge Lichterlord ab. »Ich kriege das schon noch hin.«


~Sabrina~
Dom Askur, Om'agri, Twos

›Kru i'zric, war faturai otu zric remas!‹
›Myrmir zaric triar nyri try rem viennoi.‹
Sie versuchte, ihren Atem gleichmässig zu halten. Einatmen, ausatmen, langsam, ruhig. Dennoch stieg ihr Puls ...
›Murai savrit triar, murai mandet triar. Theoit Moja ...‹
›Mer zrim fjar ...‹
›Finnri quor ...‹
Sie spürte, wie sie abdriftete. Sie streckte die Fühler aus, wollte sich an die fremden Verstände klammern, doch sie konnte sich nicht festhalten ...
›... ioi ...‹
›... enje ...‹
›... lu Dol'blathur ad barro try ...‹
›... ibas ...‹
Sie trieb in dem Strudel aus Gedankenfetzen, hilflos wie die Feder im Sturm.
›...voss ...‹
›Bakrim!‹
›... gwonri ...‹
Etwas Warmes landete ihr auf dem Handrücken. Sabrina schlug die Augen auf und blinzelte, geblendet vom hellen Licht der Mittagssonne, die durch das Seifenblasenglas der Kuppel schien. Als sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, sah sie einen dunkelroten Tropfen über ihre Haut rinnen.
›... kyr ...‹
›... erylri ...‹
»Skath!«, zischte sie und legte eilig den Kopf in den Nacken, fasste sich an die Nase und leckte sich über die Lippen, woraufhin sich sofort ein metallischer Geschmack auf ihrer Zunge ausbreitete. Blind tastete sie über das Tischchen, vor dem sie kniete.
›... otur ...‹
›... nocru ...‹
Sie bekam ihren Traumfänger zu fassen und hängte ihn sich um. Augenblicklich wurde es still in ihrem Kopf und sie atmete erleichtert auf.
»Wieso hört Ihr auf?«, fragte Jacob Grimms vom Rauch dumpfe Stimme.
»Weil ich nicht wieder umkippen will!«, antwortete sie schnippisch und deutete auf ihr Gesicht. »War wieder zu viel! Schon wieder Nasenbluten!« Sabrina zupfte sich ihr Stofftuch – ein Geschenk eines Mythephris, eines reichen Seidenhändlers, den sie am Hof des Palasts kennengelernt hatte – aus der Brusttasche ihrer Bluse und wischte sich damit das Blut von der Nase. »Ich kriege das niemals hin!«, maulte sie frustriert.
Der alte Elf wog den Kopf. »Ihr wart nah dran. Ihr müsst es nur mehr wollen.« Er zog an dem Schlauch der Shisha und liess sie leise blubbern.
Am liebsten wäre Sabrina aufgesprungen und hätte ihm die blöde Wasserpfeife über den Kopf gehauen. »Ich will es ja! Aber es klappt nicht, ich kann keine der Stimmen isolieren! Ich kriege es einfach nicht hin!«
Der Lordadmiral der Elfen liess beinahe genauso frustriert wie sie den Rauch aus dem Mund entweichen. »Nicht mit der Einstellung, da habt Ihr recht, Rajakuri'ical«, brummte der alte Lauscher und strich sich die weissen Locken hinter die Ohren mit der versilberten Spitzen. »Ich weiss nicht, warum Ihr Euch so schwer tut. Nicht einer meiner Schüler hatte jemals solche Probleme und keiner davon war so mächtig wie Ihr!«
In den vergangenen Wochen hatte Sabrina jeden Tag Stunden in dem Lavendelturm verbracht. Vier bis acht Stunden am Stück wurde trainiert, bis sie völlig ausgelaugt war. Zu Beginn hatte sie tatsächlich Fortschritte gemacht. Langsam, aber immerhin. Sie konnte nun die fremden Gedanken blockieren, das klappte sogar schon mehrere Stunden am Stück. Zudem konnte sie andere Lauscher abwehren, damit sie nicht mehr in ihren Kopf eindringen konnten. Den mentalen Stoss, mit dem sie damals Dougal in Turdus abgewehrt hatte, konnte sie nun auch intentional einsetzen. Doch seit zwei Wochen ging gar nichts mehr, sie kam nicht vom Fleck. Der Lauscher von Dom Askur verlangte von ihr, dass sie aus dem Meer aus fremden Geistern einen aussuchte und gezielt belauschte. Doch das bedeutete, sich dem geballten Schwall fremder Gedanken, Erinnerungen und Eindrücke zu stellen und das war unbeschreiblich anstrengend. Meist mussten sie die Übungen zwischendurch abbrechen und konnten sie erst nach langen Pausen fortsetzen. Meist musste Sabrina erfolglos aufgeben, da ihr Körper irgendwann nicht mehr mitmachen wollte. Erst reklamierte der mit Nasenbluten und ignorierte sie dieses Warnsignal, was sie nur einmal getan und bereut hatte, folgte ein Neustart ihres Hirns, was sich in einem epileptischen Anfall äusserte.
»Ich scheisse auf meine Macht!«, fauchte Sabrina und gereizt rappelte sie sich vom Boden auf, um frustriert ihre Runden um den Fellteppich zu drehen. Nach dem langen Sitzen tat ihr immer der Rücken weh. »Wieso bin ich mit dieser bescheuerten Gabe gestraft! Ich will doch gar keine Gedanken lesen können!«
Jacob seufzte tief. »Und genau das ist vermutlich auch der Grund für Euren Misserfolg!« Wie es sonst nur die Magri konnten, liess der Elf seinen Rauch in Form einer kleinen Motte durch den Raum flattern. »Es ist alles nur eine Frage der Emotionen, doch die Euren sind widersprüchlich und das blockiert die Kanalisierung Eurer Macht. Euch mangelt es nicht an Willenskraft, Ihr steht Euch nur selbst im Weg!« Er deutete auf sein Geschöpf aus Qualm. »Ihr habt noch immer die Möglichkeit, auf Jethro zurückzugreifen.«
Sabrina schnaubte. »Lieber schmeisse ich hin!«
Da warf der Lauscher den Schlauch der Pfeife auf den Tisch und richtete sich ächzend auf. »So sei es!«
Die junge Eisprinzessin blickte auf. »W-was?«
»Es hat keinen Zweck«, erklärte der Elf. »Ich kann Euch nicht mehr beibringen, als Ihr zulasst und so lange Ihr Eure Einstellung nicht ändert, sollte ich mich um Wichtigeres kümmern.« Schleppenden Schrittes ging er auf die Tür zu, um den Raum zu verlassen.
Sabrina schluckte. »Und was soll das jetzt heissen?«
Der Lauscher hielt inne und wandte sich zu ihr um. »Dass Ihr morgen aufbrechen werdet. Ich lasse die Quari dafür sorgen, dass die Oturi und Frimri heute etwas höhere Abgaben leisten, um Euer Flugschiff mit Proviant und Werkzeug aufzustocken. Haltet Teile der Lagerräume frei, das Volk wird Euch zum Abschied reichlich beschenken wollen.«
»Es tut mir leid!«, beteuerte Sabrina bedrückt. Sie fühlte sich wie ein Kind, das bei irgendeiner Dummheit erwischt worden war. »Ich wollte Euch nicht beleidigen oder Derartiges. Können wir nicht bitte morgen mit den Lektionen fortfahren?«
Der Lauscher lächelte milde. »Entschuldigt Euch nicht, Rajakuri'ical, Ihr seid die Herrscherin, Euer Wille gilt. Ich glaube jedoch nicht, dass Ihr hier in Dom Askur die Antworten oder auch die Fähigkeiten finden werdet, die Ihr sucht.«
Sabrinas Mund wurde trocken. Die Vorstellung, mit leeren Händen zu den Rebellen zurückzukehren, ohne ihre Telepathie in den Griff bekommen zu haben, war entmutigend. »Aber warum?«, fragte sie. »Ich will es doch lernen. Warum kann ich es nicht? Was kann ich tun, um mich selbst nicht mehr zu behindern?«
Der alte Lauscher bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. Schliesslich winkte er sie mit sich. »Kommt mal mit, Rajakuri'ical. Ich denke, dass die Zeit gekommen ist, Euch in etwas mehr Geheimnisse einzuweihen ...«

Alte Fassung (2): Twos - Ein Märchen von Sommer und WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt