Mein Fahrrad

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Ob mich Taehyung vorhin so komisch angeglotzt hat, weil er gesehen hat, dass ich geweint habe? Bestimmt, selbst dem unachtsamsten Trottel würden meine rot geschwollenen Augen auffallen. Sicher hat er einfach nicht mit meiner Sensibilität gerechnet.

Als der Naturkundeblock endlich vorbei ist, beeile ich mich, aus dem Klassenzimmer zu kommen. Nach der Situation auf dem Gang hat vermutlich jeder gecheckt, was hier abgeht. Ich bin einer der ersten, was mir den Vorteil bringt, dass ich so gut wie alleine auf dem Weg zum Pausenhof bin. Wenn ich doch jemandem begegnen sollte bremse ich mein Tempo und laufe unauffällig vorbei, während ich, sobald ich aber aus dem Sichtfeld der anwesenden verschwinde, haste ich mit unauffällig kleinen Schritten zu den Fahrradständern.

Dort angekommen, kann ich mir einen erneuten Aufschrei an diesem Tag nicht verkneifen. „Wie kann das... ich war doch der erste... aber?!" frage ich mich selbst, nicht fähig meine Augen von meinem knallorangen Fahrrad mit Ledersitz zu wenden.

Irgendjemand war vor mir hier, und dieser jemand hat sich nicht davor gescheut, meine Fahrradreifen abzumontieren und mir sein Loser Warning Post-It dazulassen. Fassungslos ziehe ich den Aufkleber vom Sattel und sehe ihn wie hypnotisiert einfach nur minutenlang an. Erst die Menschenmassen, die zum Mittagsende mit beachtlicher Lautstärke aus dem Schulhaus quellen.

Aggressiv flitzen meine Pupillen hin und her, nach links und rechts, immer auf der Suche nach einem pinken Haarschopf in der Menge. Klar war er es, vielleicht auch Jungkook, Jin oder Yoongi, aber das geht zu weit. Mein Verhalten rechtfertigt nicht seines.

Ich packe mein Rad, welches demonstrativ an einen der Sportzäune gelehnt wurde, an Lenk- und Sattelstange und mache mich auf die Suche nach den vier Spielern.

Yoongi sitz vor dem Basketballfeld auf einer alten Kiste, einem Mutternschlüssel in der Hand und ist in ein Gespräch mit Taehyung und Seokjin vertieft, die auf der Bank vor dem Zaun sitzen. Jin fummelt an dem Basketball in seiner Hand herum und hat nur Augen für Taehyung, dessen einer Arm locker mit dem Ellenbogen auf meinem Vorderrad lehnt, eine etwas kleineren Mutternschlüssel in der Hand. Hinter ihm steht Jungkook, der irgendetwas murmelt und vor Vergnügen auf den Reifen in Taes Hand klopft, an den er sich selbst festklammert, als könnte er einfach davon rollen.

Sie staunen nicht schlecht als ich ihnen das Fahrrad mit all meiner Kraft und so viel Schwung wie nur möglich vor die Nase auf den grauen Beton werfe. Während Yoongi nur zurückstreckt, springt Jin auf der Bank auf und kreischt wie ein Mädchen. Jungkook krallt sich ebenso wie er in den Zaun zu ihren Rücken. Taehyung zeigt wenig Reaktion.

Wütend starre ich ihm ins Gesicht und mein Blick signalisiert Schau mich an, schau mich an, Idiot und er schaut mich an. Ganz langsam, aber gar nicht so erschreckt oder eingeschüchtert wie erhofft und vermutet. Er wirkt sogar recht gleichgültig, als hätte er mit meiner Aktion gerechnet oder zumindest, als würde er sie gut nachvollziehen können.

Das macht mich aus irgendeinem Grund so unglaublich wütend, am liebsten hätte ich ihn angeschrien. Doch allein, dass ich genug Mut aufgebracht habe, um ihm das Fahrrad vor die Nase zu pfeffern wundert mich. Klar, ich habe aus Affekt gehandelt, aber hat mein Hirn den Betrieb eingestellt, als ich zu ihnen, mit dem Fahrrad in den Armen, über den ganzen Schulhof gewandert bin? Sicher waren es gute drei Minuten gewesen, in denen ich es mir anders überlegen, und einfach heimgehen hätte können.

Von meinen Emotionen getrieben schmeiße ich ihm erneut die Papierkugel das Post-Its an den Schädel. Akzeptierend kneift er beim Aufprall seine Augen etwas zusammen und schaut mir verwundert hinter her. Nur weg von hier, zu Fuß brauche ich sowieso länger, da sollte ich mich beeilen. Ich spüre die Finger auf mich zeigen. Jin, ist der erste, der sich wiederfindet und Jungkook schließt sich ihm direkt an. Beide schreien sie mir etwas wie eine Drohung hinterher, doch ich kann sie nicht mehr verstehen.

Taehyung richtet sich auf und zieht beide an den Schultern zurück, was dazu führt, dass mir alle vier einfach nur wie Autos hinterher starren. Und wenn ich mich nicht täusche, sind Taehyungs Mundwinkel, wenn auch nur schwer sichtbar und für wenige Millisekunden, anerkennend in die Höhe gezuckt. Ich weiß nicht weshalb, doch das beschwert mir auf dem gesamten Heimweg ein dämliches Grinsen, dass einfach nicht aus meinem Gesicht verschwinden will. In einer gewissen Weise stolz hüpfe ich über den Gehweg nach Hause und fühle mich wie ein Fünfjähriger, der sich ein Eis holen darf.

Unter uns ~Vhope Short~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt