Mein Fahrrad pt. 2

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Da inzwischen sowieso schon jeder zumindest den Verdacht hat, dass ich schwul sein könnte, schere ich mich auch nicht mehr darum, es nicht so wirken zu lassen.

Mit meinem pinken Herzchenpulli und kurzer weißer Hose schlendere ich gedankenverloren über die Wege neben den Sportanlagen. Keine Ahnung, ob mein Gehirn sich umgepolt hat, aber seit dem Vorfall vor fast zweieinhalb Wochen, hatte ich nie mehr einen Fuß auf das Basketballfeld gesetzt.

Ein Fahrrad, das queer knapp vor meinen Füßen zum Stehen kommt, reißt mich aus meiner Traumwelt. Gleich an der Lampe und dem Lack erkenne ich, dass es kein geringeres als mein Fahrrad ist.

Mein Fahrrad. Fahrend. Mit Reifen.

Ich bestaune es freudig, als wäre es das schönste und tollste Fahrrad, das die Menschheit jemals produziert hat. Als ich mich jedoch zum Fahrer richte, vergeht meine gute Laune sofort. Reuevoll dreht Taehyung seinen Kopf in meine Richtung und steigt ab. Sofort übernehme ich den Lenker und schwinge mich mit bösem Blick auf meinen bequemen Ledersattel.

Die ersten beiden Tritte in die Pedale sind noch wackelig und mein Vorderreifen rudert synchron zu dem Lenker in meinen Armen etwas hin und her. Gerade als ich mein Gleichgewicht gefunden habe, werde ich unsanft zum Stoppen gebracht.

Verärgert wirble ich herum und sehe direkt in Taehyungs lächelndes Gesicht. Mein Blick wandert weiter und ich muss feststellen, dass sein kräftiger Griff meinen rostigen Gepäckträger umschließt. Was soll der Mist? Warum hat er mein Fahrrad denn repariert, wenn ich es nicht fahren darf? Warum hat er mein Fahrrad überhaupt repariert? Na ja, kann mir eigentlich egal sein. Genervt drehe ich mich wieder nach vorne, aber er will mich einfach nicht loslassen.

"Was?!" pampe ich ihn unhöflich an. Er zuck allerdings nur mit den Schultern: "Darf man mitfahren?" Ohne auf eine Antwort zu warten, lässt er sich lässig mit dem Rücken zu mir auf den Gepäckträger fallen. Mir bleibt nicht viel mehr, als die Augen zu verdrehen und zu hoffen, dass mein Herzschlag nur in meinen Ohren hörbar bleibt.

Keine Ahnung, wo ich hinsoll, fahre ich inzwischen das siebte Mal wahllos einen Kreis um unser Schulgebäude. Taehyung hat nichts dazu gesagt, also ist er entweder zufrieden oder eingeschlafen. Aber da vernehme ich etwas, was ich nicht für möglich gehalten hätte: Tae kichert, er kichert wie ein kleines Mädchen. Es ist kein gehässiges Kichern, es hört sich ehrlich und fröhlich an.

Ich kann nicht anders, als meinen Kopf in seine Richtung zu drehen und ebenfalls zu lächeln. Taehyung lässt seine unglaublich strahlenden Zähne zwischen seinen perfekten Lippen aufblitzen und schaut abgelenkt hin und her. Inzwischen ist der Pausenhof wie leergefegt und ich habe viel Platz, um alle beliebigen Muster, die ich mir in meinem Kopf vorstelle, nachzufahren.

Taehyung lacht immer noch. Und dann passiert das, was ich mir nie erträumt hätte. Er lehnt sich zurück, gegen meinen Rücken und legt den Kopf in den Nacken. Augenblicklich fange ich an zu schwitzen und habe das Gefühl, mein Kopf und Herz setzten beide zur gleichen Zeit aus.

Kim Taehyung lehnt sich an mir an! An Jung Hoseok, dem Loser, der Niete, dem Versager, dem Schwachmaten, dem schwulen Schlappschwanz, der übrigens nicht mehr ganz so schlapp ist, wenn er zu lange über Taehyung nachdenkt.

Mit zitternden Händen fahre ich weiter geradeaus an den Spielfeldern entlang. Bis auf die Basketballer trainiert hier heute wohl auch keiner mehr. Langsam lasse ich mein Fahrrad ein wenig rollen. Wir passieren das Handballfeld, das Tennisfeld und das Basketballfeld, bis zum Federballfeld kommen wir nicht mehr, den mitten unter der Fahrt springt Taehyung einfach ab.

Ich bleibe natürlich stehen und drehe mich zu ihm, könnte ja sein, dass er mit dem Fuß hängen geblieben ist oder so. Aber er wirft nur einen Blick durch den Zaun des Basketballfeldes, bevor er wieder mich ansieht. Natürlich, seine Freunde, wie konnte ich das vergessen.

Missbilligend beobachte auch ich die Jungen kurz und dann Tae, der etwas überfordert zu mir starrt. Denkt er, ich raffe nicht, was da abgeht. Klar, auf der Bühne den coolen Macker schieben und hinter den Kulissen mit den Niemanden abhängen. Aber ich bin zu gut für sowas, ein für alle Mal! Hoseok schlag dir Tae aus dem Kopf, er ist es nicht wert!

Schüchtern sieht er noch einmal Jin beim Werfen zu und macht sich schnellen Schrittes davon. Bloß nicht, das ihn einer mit mir sieht!


Unter uns ~Vhope Short~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt