Cirrus

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Er saß neben seiner Schwester auf der Couch im Salon und schwenkte einen Kelch, der mit Blut gefüllt war. Cirrus betrachtete angespannt seine Familie. Sie alle schienen ähnlich nervös, denn von der Entwicklung dieses Mädchens hing einiges für sie ab.

Vampire mochten Veränderungen nicht sonderlich. Wenn sie ihnen jedoch derart nützlich sein konnten, wie diese – vorausgesetzt ihr Vorhaben klappte – dann hießen sie sie durchaus willkommen. Zacharias nahm ihre Gäste in Empfang und dies war begrüßenswert. Nicht nur, weil er von ihnen allen am besten mit Menschen umgehen konnte, sondern auch, weil seine Fähigkeit, die Gefühle seines Gegenübers zu erforschen, nützlich in solchen Angelegenheiten war.

»Sie kommen zu spät!«, stellte Nikolas fest und rümpfte die Nase.

»Immer mit der Ruhe Nikolas, vielleicht stecken sie im Stau fest«, murmelte Fayn und legte ihrem Bruder beruhigend die Hand auf den Unterarm. Nikolas schnaufte, sagte jedoch nichts mehr.

»Ihr täuscht euch«, bemerkte Agenta. »Sie sind bereits im Haus. Wenn ihr weniger reden und euch mehr auf eure Sinne konzentrieren würdet, wäre euch das bewusst.« Ihre Stimme drang sanft und ruhig durch den Raum und Cirrus bemerkte, wie auch Nikolas sich wieder entspannte.

»Nun, dann werden sie sicherlich bald hier sein«, erklärte Cirrus und lächelte selbstgefällig. »Ich bin gespannt, was für einen kleinen Vogel wir uns da ins Nest holen.«

Agenta sah ihn unsicher an, nickte aber dann. »Ja, ich auch. Mit diesem Kind steht und fällt vielleicht alles. Ist euch bewusst, was sich uns für Möglichkeiten bieten werden wenn sich unser Vorhaben bewährt?«, fragte sie.

»Wenn«, bemerkte Nikolas. Im Gegensatz zu Agenta war er immer noch nicht glücklich mit ihrem Mehrheitsentscheid und etwas in Cirrus flüsterte, Nikolas würde es diesem Kind nicht leicht machen.

»Sie kommen!«, bemerkte Fayn, ehe noch jemand etwas sagen konnte.

Es war erholsam und amüsant zu sehen, wie jedes seiner Familienmitglieder eine gleichgültige Miene aufsetzte und zur Tür hinüber sah. Er tat es ihnen gleich.

Die Tür öffnete sich und Zacharias trat ein. Hinter ihm betrat eine hochgewachsene, blonde Frau den Raum. An der Hand hielt sie das, worauf sie alle gewartet hatten. Ein Kind, gerade mal fünf Jahre alt, blond, mit strahlend grünen Augen. Cirrus war zufrieden. Dieses Mädchen würde einmal eine Schönheit werden.

Das Kind sah verunsichert in die Runde und musterte sie alle. Der Blick war nicht aufdringlich und doch fehlte ihm die Scheu, mit der die Menschen sie normalerweise ansahen.

»Ihr dürft euch setzen«, erklärte Zacharias knapp und kam dann zu ihnen hinüber, um gleich neben platz zu nehmen. Cirrus blickte seinen Bruder fragend an, der kaum merklich nickte. Er wirkte zufrieden.

Lächelnd wandte er sich zu der Frau und dem Mädchen um, die immer noch unschlüssig mitten in dem Raum standen. »Schau dir das an!«, raunte Zacharias ihm kaum hörbar zu und dann beugte er sich ein Stück nach vorn, damit er das Mädchen ansehen konnte. »Joleen, komm doch her und setzt dich zwischen mich und meinen Bruder!«, forderte Zacharias das Kind auf.

Cirrus warf ihm einen überraschten Blick zu.

Sein Bruder bedachte ihn lediglich mit einem breiten Grinsen und es stellte sich schnell heraus, wieso.

Das Mädchen blickte kurz zu ihrer Mutter, die mit ausdrucksloser Miene nach vorne starrte. Als Joleen keine Anweisung von ihr bekam, nickte sie erfreut. »Ja.« Sie klang froh über die Einladung seines Bruders, was Cirrus in höchstes Erstaunen versetzte. Für gewöhnlich mieden Menschenkinder sie. Es war ein natürlicher Schutzinstinkt. Doch dieses Kind schien überhaupt keine Furcht vor ihnen zu haben.

Das Mädchen blieb nach zwei Schritten stehen, was ihn noch mehr in erstaunen setzte, und blickte dann Zacharias an, um hinzuzufügen: »Sir.«

Cirrus wandte den Blick wieder zu Zacharias um, der höchst zufrieden wirkte und sich auf der Couch zurücklehnte. Das Mädchen kam zu ihnen herübergelaufen und sprang dann mit einem Hüpfer zwischen ihnen auf die Couch. Dann sah sie Cirrus neugierig an. »Bist du auch ein Sir?«, fragte die Kleine und die großen Augen musterten ihn.

Cirrus konnte seinen Bruder leise lachen hören und warf ihm einen giftigen Blick zu. »Ja, bin ich«, antwortete er.

Sie nickte und runzelte dabei die Stirn, als würde sie versuchen die Bedeutung dahinter zu verstehen. »Du auch?«, fragte sie schließlich an Nikolas gewand, der eine Augenbraue hob und nickte. Das Mädchen lächelte und sah dann zu Fayn. »Sind Mädchen dann auch Sirs?«, fragte Joleen.

Agentas plötzliches Lachen ließ die Angespanntheit, die bis zu diesem Augenblick in dem Raum vorherrschte, verschwinden. »Nein, Mädchen oder Frauen, sind Ladys«, erklärte Fayn mit einem sanften Lächeln.

Wieder nickte das Mädchen und sah schließlich zu Agenta, deren tiefrotes Haar im Licht der Kronleuchter aufleuchtete. »Deine Haare sind toll«, rief das Mädchen und machte große Augen. »Darf ich die mal anfassen?«

Cirrus bemerkte, wie Zacharias dem Kind einen kleinen Stups verpasste und sie sah zu ihm. Er sah Joleen an, als erwartete er etwas von ihr und das Mädchen nickte verstehend. Cirrus hatte nicht die geringste Ahnung, was dort vor sich ging, doch als das Mädchen sich schließlich wieder zu Agenta umdrehte und »Lady?«, hinzufügte, verstand er.

Anscheinend hatte sein Bruder sich ein wenig Zeit genommen, um dem Mädchen einige Grundregeln zu erklären. Die Tatsache, sie derart schnell umgesetzt zu sehen, war durchaus beeindruckend. Cirrus nickte zufrieden. Die Zeichen standen günstig. Wie es aussah, war es die richtige Entscheidung gewesen. 

Colors of Moonlight 1 - Blutmond XXL-LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt