Zacharias

36 1 0
                                    

Der Schreck der Joleen durchfuhr, als ihre Mutter mitteilte, nun gehen zu wollen, war heftig. Zacharias, der sich auf die Gefühle der Kleinen eingestellt hatte, gelang es nur mit Mühe, nicht selbst zusammenzufahren.

Ohne einen weiteren Blick für ihre Tochter übrig zu haben, stand die Frau auf und verließ den Raum. Erst als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, kam Leben in das Mädchen.

»Meine Mama soll aber nicht gehen«, schluchzte Joleen auf und sprang plötzlich von der Couch. Ihre unerwartete Agilität überraschte sie alle und weder er noch Cirrus waren in der Lage, sie zurückzuhalten.

»Mama, Mama, Mama, warte!«, rief die Kleine und lief auf die Tür zu.

Zacharias wollte aufspringen, um sie aufzuhalten, doch Fayn hielt ihn mit einer sanften Berührung zurück und schüttelte den Kopf. »Lass sie Abschied nehmen«, flüsterte seine Cousine. Zacharias nickte, obwohl ihn eine dunkle Ahnung beschlich.

Sehr viel langsamer und ruhiger folgten sie alle gemeinsam dem Mädchen. Diesem war es inzwischen gelungen, die schwere Tür zu öffnen und in die Eingangshalle zu stürmen.

»Mama! Mama! Mama! Warte bitte! Mommy!« Die Rufe hallten durch das Haus. Zacharias versuchte zu verstehen, was Joleen an ihre Mutter band, obwohl diese sie derart schlecht behandelte.

Als er gemeinsam mit seiner Familie die Eingangshalle betrat, stand die Crackhure bereits an der Eingangstür und das Kind erreichte sie gerade noch rechtzeitig, um die kleinen Arme um die Taille der Mutter zu legen. Sie drückte sich fest an die Frau.

»Mama, nimm mich mit!«, flehte sie und sah mit großen Augen zu Martina auf. Diese machte sich nicht einmal die Mühe zu ihr hinabzusehen, sondern versuchte stattdessen, die dünnen Ärmchen von ihrem Körper zu lösen. »Bitte, Mama. Oder bleib mit mir hier, ja?«, flüsterte das Mädchen inbrünstig und Zacharias fragte sich, ob sie wirklich das Richtige taten.

»Lass mich los!«, fauchte die Frau mit gefühlloser Stimme. »Ich will dich nicht!«

»Aber du bist doch meine Mama«, murmelte das Mädchen in völligem Unverständnis.

»Nein, nicht mehr«, antwortete die Frau und lächelte kalt. »Und nun lass mich los, du Göre!« Sie holte aus.

Sie schlug das Mädchen mit viel Kraft dahinter. Der Griff des Kindes löste sich tatsächlich von der Mutter und Joleen fiel hart zu Boden. Doch das war der Frau anscheinend nicht genug, denn sie ging auf das am Boden liegende Kind zu und trat noch einmal nach ihm.

Zacharias reagierte rein instinktiv, als er nach vorne schnellte. Ehe er sich selbst bewusst dazu entschied, schloss sich seine Hand um den Hals der Frau und er presste sie mit einem kräftigen Ruck an die Wand. Alles, was er sah, lag hinter einem feinen, roten Schleier. Seine Wut sorgte dafür, dass seine Instinkte seine Handlungen bestimmten. Und er war sich bewusst, dass auch seine Augen nun in einem tiefen Rot glühten.

»Du hast kein Anrecht mehr auf sie«, zischte er drohend. Die Frau legte sie Hände um sein Handgelenk, in der Bemühung den Griff zu lösen. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als ihre Füße den Boden verließen. »Das heißt, wenn du noch einmal die Hand gegen unser Eigentum erhebst, werden wir dich töten!«

Die Frau nickte. Sie verstand ihn. Angewidert warf er sie mit einem Ruck von sich fort. Ihr Körper rutschte einige Meter weit über den Boden, bis ihr Kopf kräftig gegen die Wand schlug. Zacharias achtete nicht weiter auf sie. Stattdessen schloss er die Augen, um sich wieder zu beruhigen.

Nur langsam spürte er, wie die Wut in seinem Inneren nachließ.

»Mama? Mama, bitte wach auf!«

Erst als das leise Weinen an sein Ohr drang, öffnete er die Augen wieder und suchte den Raum nach Joleen ab.

Das Mädchen hockte neben den Körper seiner Mutter, die kleinen Hände auf deren Schulter gelegt. Sie schüttelte die Frau immer wieder. Unter dem Kopf bildete sich bereits eine kleine Blutlache. Sein Stoß war kräftiger gewesen, als beabsichtigt.

»Mama, bitte wach auf«, flüsterte Joleen erneut und sah erschrocken auf das Blut. Dann richtete sie den Blick auf Zacharias. Anders, als erwartet, sah er keine Wut in ihm, sondern ein Flehen. »Kannst du sie nicht wieder gesund machen? Du hast auch mein Knie wieder gesund gemacht.«

»Ich denke, das ist nicht möglich, Joleen«, erklärte Zacharias leise und ging auf sie zu.

Sie weinte nur noch heftiger und schüttelte ihre Mutter erneut. »Doch, du kannst das. Das weiß ich«, flüsterte sie und die großen Augen musterte seine ganze Familie nacheinander. »Bitte«, flehte sie. Zacharias kostete es große Überwindung, den Kopf erneut zu schütteln.

»Sie lebt noch«, flüsterte Fayn und warf ihnen allen einen vielsagenden Blick zu. Sie alle wussten, was sie damit andeutete. Alles in Zacharias sträubte sich dagegen.

»Könnt ihr gar nicht helfen? Bitte?«, flehte die Kleine erneut, und selbst in Nikolas' Blick schlich sich ein Anflug von Mitgefühl. Das Kind sah jedoch bereits wieder auf die Mutter und weinte immer heftiger. »Mama, du musst aufstehen«, bat sie. »Du wirst bestimmt wieder gesund, die Sirs und die Ladys helfen dir bestimmt, aber du musst jetzt aufstehen!«

Zacharias hörte, wie sein Vetter tief brummte. Das Flehen des Kindes hatte Erfolg. Es berührte seinen Cousin. Nikolas ging zu ihr und kniete sich neben der Frau nieder. »Steh auf Kind und lass dich wegbringen«, forderte er. »Ich mache sie dann wieder gesund.«

Joleen sah Nikolas zögernd an und dann sprang sie sofort auf und umarmte ihn kräftig. Zacharias konnte sehen, wie sich der Körper seines Cousins verspannte. Er mochte keine überraschenden, körperlichen Berührungen. Dennoch ließ er es sich für wenige Sekunden gefallen, was erstaunlich war. Dieses Kind schien auf sie alle eine seltsame Wirkung zu haben.

»Danke, Sir«, wisperte das Mädchen und sprang dann schnell beiseite.

»Bringt sie weg, wir wissen nicht wie die Mutter reagiert, wenn sie wach wird. Womöglich hat sie Durst«, sagte er und drehte den Körper der Mutter um, damit sie mit dem Gesicht nach oben lag.

»Komm mit mir«, hörte Zacharias seine Cousine sagen. »Wir werden ein schönes Zimmer für dich suchen und deine Sachen auspacken. Und später besuchen wir dann deine Mutter.« Zacharias nickte zufrieden und wusste, Fayn würde sich gut um das Kind kümmern.

Nikolas führte sein Handgelenk an den Mund und biss hinein. Zwei feine Rinnsale Blut traten daraus hervor. Dann hielt er seine Hand an den Mund der Mutter.

Zacharias beschlich ein ungutes Gefühl, während er zusah, wie sein Vetter die Mutter der Kleinen zu einer von ihnen machte und er das anhaltende Schluchzen von Joleen hörte, das sich wie eine dunkle Vorahnung durch die Flure des Hauses zog. 

Colors of Moonlight 1 - Blutmond XXL-LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt