"Look at how a single candle can both defy and define the darkness."
― Anne Frank---
Mit schnellen Schritten bahnte ich mir meinen Weg durch das dicke Geäst.
Nachdem ich meine Kamera geschnappt hatte war ich eilig, ohne meiner Mutter bescheid zu geben, aus dem Haus gestürzt.
Ich wollte mir unbedingt noch vor der Dämmerung die Waldlichtung ansehen und beeilte mich jetzt, mit den letzten Sonnenstrahlen dort anzukommen.
Immer wieder verfingen sich Äste und Blätter in meinen Haaren, denen ich so gut es ging keine Beachtung schenkte, bis die Bäume auf einmal nicht mehr so dicht aneinander standen und den Blick auf eine silber-blau glänzende Fläche freigaben.
Ich hatte die Größe der Lichtung bei Weitem unterschätzt.
Vor mir erstreckte sich ein gewaltiger See, auf dem sich mehrere kleine mit Pflanzen bewachsenen Inseln befanden. Auf einer konnte ich eine erloschene Feuerstelle erkennen, die jetzt nur noch aus Asche und Kohle bestand, aber keinen Menschen weit und breit.
Durch die Baumlücken hindurch drangen Sonnenstrahlen und tauchten die Lichtung in ein warmes Rot.
Während die Wolken wie Orange glühende Wattebäusche aussahen, hatte der Himmel einen leuchtenden Türkiston angenommen. Die Wasseroberfläche des Sees glitzerte durch die vielen Lichtreflexionen und vereinzelt spiegelten sich Bäume und Sträucher darin. Als die Spiegelbilder zu verschwimmen begannen und eine Windböhe die Baumkronen rascheln lies, fröstelte ich und beschloss, meine Expedition eher kurz zu halten.
Am Rand meines Blickfeldes machte ich ein großes Holzgestell aus und entdeckte mehrere Kanus, die darin gestapelt waren. Nach kurzem Überlegen schlenderte ich hinüber.
An dem Kanugerüst lehnend schaltete ich meine Kamera ein, stellte Blende, Belichtungszeit und den schwarz-weiß Filter ein.
Ich machte grundsätzlich nur schwarz-weiß Bilder.
Nach einem Moment hatte ich dann auf einem Bein kniend auch eine gute Position gefunden. Der Wind hatte sich mittlerweile gelegt, und damit verstummte auch die Geräuschkulisse.
Abgesehen von dem Leisen Vogelgezwitscher nahm ich nun auch ein anderes Geräusch war.
Ich blieb stehen und versuchte das Geräusch zuzuordnen. Es war eine Art Plätschern, so als würde jemand das Wasser aufwirbeln.
Aufmerksam lies ich meinen Blick über den See schweifen, und sah, wie ein leuchtend rotes Kanu gemächlich treibend hinter einer der Inseln auftauchte.
Als ich jetzt auch den Insassen sehen konnte, hob ich meine Kamera vor mein Gesicht und tat so, als würde ich den See fotografieren, wobei ich das Boot durch die Linse im Sichtfeld hatte.
Auf der Vorderbank stand eine kleine Campinglaterne eine runde Pappbox, die ich als ben&Jerry's Eiscreme identifizierte.
Viel interessanter waren jedoch die schokoladenbraunen Locken.
In dem Boot lang ein Junge, sein Alter konnte ich aus der Entfernung nicht abschätzen, und hielt sein alt aussehendes Buch so über sich, dass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte.
Ab und zu fuhr er sich durch die Haare oder griff mit einer Hand nach dem Ruder und lenkte das Boot in Richtung Ufer, wo ich noch immer regungslos stand.
Mit der Kameralinse vor meinem Auge, beobachtete ich das Bild, dass sich vor mir ergab und bekam nicht mit, wie sich meine Mundwinkel ein wenig hoben.
Die Szene wirkte frei und unbeschwert - ohne Frage ein wirklich gutes Fotomotiv.
Ich drückte auf den Auslöser.
Mir kam ein Gedanke und ich warf panisch einenBlick auf das Gerät in meiner Hand, dich es war bereits zu spät.
Der Blitz war eingeschaltet.
Ich erstarrte in meiner Bewegung, senkte dann ertappt die Kamera und betete innerlich, dass der Fremde den Lichtblitz nicht gesehen hatte.
Vermutlich hätte ich rennen sollen.
Ruckartig hob der Junge seinen Kopf, suchte mit seinen Augen das Land ab und fixierte mich schließlich mit meinem Blick.
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ich seinen auf mir ruhenden Blick spürte.
Das Kanu war nun fast am Ufer angekommen und würde in wenigen Sekunden gegen das Gras prallen.
Ich räusperte mich und und blieb auf der Stelle stehen, ahnungslos, was ich jetzt tun sollte.
"Kannst du mir mal helfen?", riss mich seine tiefe Stimme aus den Gedanken. Der Junge war aufgestanden und hievte nun das Kanu an Land.
Ich zögerte. "Ähm...klar", sagte ich und fürchtete, dass er mich nicht gehört hatte, da er mich immer noch abwartend ansah.
"Dazu musst du aber schon herkommen, sonst wird das nichts", er lachte leise. Es war ein raues Lachen und hatte etwas Natürliches, etwas Ehrliches an sich - auch wenn ich die Belustigung darin nicht überhört hatte. In dem Moment hätte ich mich selbst schlagen können.
Hastig lief ich zu ihm und hob das Boot am anderen Ende an. Mittlerweile war es so dunkel geworden, dass ich ihn nur noch als Silhouette erkennen konnte und Campinglaterne, die immer noch am Ufer stand, die einzige Lichtquelle war.
Wir trugen das Kanu langsam zu dem Holzgerüst, dass ich vorhin gesehen hatte, und hoben es hinein, danach herrschte betretenes Schweigen.
"Sag mal hast du Fotos von mir gemacht?", platzte es plötzlich aus ihm heraus.
In diesem Moment war ich unendlich dankbar dafür, dass die Lampe so weit entfernt stand, dass er nicht sehen konnte, wie ich errötete. Für einen Stalker wollte ich wirklich nur ungern gehalten werden.
"Nei...Nein. Ich habe den See abfotografiert." Ich musste mich erstmal sammeln und glaubte, dass ich jedes überflüssige Wort später bereuen würde.
"Aha", ich konnte das Grinsen aus seiner Stimme raushören und sah, dass die Silhouette ihren Kopf schiefgelegt hatte.
"Darf ich die Fotos mal sehen?", fragte er jetzt neugierig, wobei ich mir sicher war, dass er Gefallen daran gefunden hatte, mich so verlegen zu machen.
"Ich, äh...", ich räusperte mich und sprach dann mit möglichst fester Stimme weiter. "Der Akku ist leer."
"Wenn das so ist...", er drehte mir den Rücken zu und lief los, um seine Laterne zu holen.
Ich wollte auf keinen Fall, dass er mich sah. So bestand wenigstens noch die Chance, dass er mich später nicht wiedererkennen würde.
Als der Junge mit der Laterne in der Hand wieder zu mir herüber schlenderte, begann ich zu rennen.
"Tut mir leid, ich muss los!", sagte ich, als ich noch in Hörweite war. Ich rannte in die Dunkelheit hinein und wog mich grade in Sicherheit, als mir auffiel, dass ich einen gravierenden Punkt vergessen hatte.
"Man sieht sich, fremdes Mädchen mit dem süßen Akzent", rief er mir nach, bevor ich im Wald verschwand.
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Herbstmädchen
Teen Fiction„Das Leben ist so ermüdend, es besteht doch einfach nur aus Warten. Wir warten auf den richtigen Moment, den richtigen Menschen und darauf, dass wir irgendwann schon glücklich werden." „Du denkst zu viel, Herbstmädchen. Gib nicht auf, Ok?", sein Läc...