Anscheinend bin ich die letzte Person, die auf diesen Hof geführt wurde. Zwar drehe ich mich nicht um, aber hinter mir wird mit einem geräuschvollen Quietschen das metallene Tor im Stacheldrahtzaun geschlossen.
Quiiiiietsch. Rumms. Klack.
Eingesperrt, ist das erste, was ich denke, und trete von einem Fuß auf den anderen. Unruhig, ja, das würde mich jetzt gut beschreiben. Angst? Nein, Angst habe ich nicht... aber ich weiß nicht, was auf mich zukommt. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber der Himmel hat sich mit dem Schließen des Tores schlagartig verdunkelt. Wolken, die nun eher bedrohlich als weich aussehen, verdichten sich, ersticken das sowieso schon schwache Licht der Wintersonne. Sonne...
Ich habe so schnell gar nicht bemerkt, dass meine Begleiter mich alleine gelassen hatten. "Willkommen", höre ich eine freundliche Stimme sagen und sehe zu einer Frau in ihren Vierzigern hoch, nein, vielleicht sogar noch in ihren Dreißigern. Sie steht auf der Treppe, die zum Eingang des Gebäudes hinaufführt. Da ich etwas größer bin als die meisten anderen hier, habe ich keine Probleme über ihre Köpfe hinwegzusehen und diese ominöse Frau genauer zu betrachten. Die pechschwarzen Haare fallen in lockeren Wellen herunter, umschließen das schmale, zarte Gesicht. Ihre roten Lippen jedoch sind komisch, finde ich, sie bewegen sich kaum beim Sprechen. Hatte sie eine Schönheitsoperation hinter sich? Und warum trägt sie einen so knallroten Lippenstift? Das verwirrt irgendwie.
"Jeder von euch bekommt ein Zimmer, jedoch nicht alleine. Ihr werdet in Zweier- oder Dreiergruppen aufgeteilt. Wichtig hierbei ist..." Ich höre ihr gar nicht mehr wirklich zu. Viel mehr interessiert mich ein deutlich kleineres Mädchen, was schräg links vor mir steht. Sie sieht zu Boden und fummelt gedankenverloren am Saum ihres weißen Rockes herum. Worüber sie nachdachte? Warum kann sie ihren Rock nicht aus den Händen nehmen?
Erst dann fällt es mir auf - sie zittert! Ein kleiner Schauer läuft mir über den Rücken, weil mir das wirklich unangenehm ist. Das Mädchen hat eindeutig Angst, aber keiner der anderen scheint es zu bemerken. Langsam hebe ich meine Hand und möchte sie ihr auf die Schulter legen, aber, als ob sie es gespürt hätte, dreht sie sich plötzlich um und guckt mich mit großen, orange-braunen Augen an. Sagt nichts. Ihr Blick wandert von meinem Gesicht zu der erhobenen linken Hand. Behutsam geht sie einen Schritt rückwärts, dann noch einen. An ihrem neuen Platz angekommen verkrampft sie die Hände an ihrem Rocksaum, wendet den Blick aber nicht von mir ab. Warum hat sie Angst vor mir? Ich habe doch nicht...
"... Stacheldrahtzaun aufgefallen." Damit schafft die Frau es, dass ich ihr wieder meine Aufmerksamkeit schenke. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich nicht geändert, sie sprach mit einer ekelhaft freundlicher Stimme weiter. "Wir wollen euch nur beschützen. Zu eurer Sicherheit jedoch haben wir den Zaun und ein paar Hunde um das Gelände positioniert, die sollten euch aber keine Angst machen. Nun, bevor ihr in eure Zimmer kommt, müssen wir noch ein paar Personalien von jedem einzelnen von euch aufnehmen, also seid bitte geduldig und wartet hier, bis ihr hineingebracht werdet."
Hunde... Tatsächlich waren mir ein zwei Hunde aufgefallen, als ich hereingekommen war. Fast wie zur Bestätigung kläfft irgendwo ein Tier, welches aber anhand der Lautstärke des Gebells ein wenig weiter weg zu sein scheint. Die Gruppe, in welcher ich mich noch immer befinde, wird mit jeder vergangenen Minute kleiner. Hier und da sehe ich Jugendliche, welche anderen Leuten Angst machen würden. Mir jedoch nicht. Ein Junge murmelt ununterbrochen irgendetwas vor sich hin, die einzigen annähernd verständlichen Worte sind >Wald< und >nein<. Direkt daneben steht ein rothaariges Mädchen, was andauernd hektisch um sich guckt, als ob sie verfolgt werden würde.
Endlich bin ich dran und werde, zusammen mit drei anderen, in das Gebäude geführt. Als ob ich nicht selbst laufen könnte... Doch das Mädchen neben mir wehrt sich, es scheint unter keinen Bedingungen das Gebäude betreten zu wollen. "NEINN", kreischt es mit schriller Stimme, verzweifelt, ihr Gesicht ganz verzerrt, "IHR BEKOMMT MICH NICHT HIER REIN!" Zur Verstärkung kommen zwei Männer und schieben das immer noch um sich schlagende Mädchen hinein. Ob mich das überrascht? Ehrlich gesagt nein, es.. macht mir noch nicht einmal Angst.
Schlussendlich werden wir vier nach anfänglichen Problemen in eine Eingangshalle gebracht, die Männer, die uns hereinbrachten, teilen sich auf uns auf. "Du kommst mit mir." Der korpulente Mann direkt vor mir spricht mich an. Nach hinten gebürstete Haare, ein unangenehm riechendes Parfüm und DIESER MUNDGERUCH! Angeekelt drehe ich meinen Kopf weg und sehe leicht zur Seite. Bloß nicht zu auffällig, sonst kommt der schon durch das Mädchen gerade gereizte Mann noch auf irgendwelche dummen Ideen.
Hoffentlich sind hier nicht alle so...
Kurz danach werde ich von den anderen getrennt, was mich aber nicht wirklich stört. Dieses Mädchen ging ja selbst mir auf die Nerven...
Während wir den Gang entlanggehen, bemerke ich, dass das Gebäude auch von innen eher schlicht und kalt gehalten ist. Zwar sind die Wände mit einem hellem Gelb-Orangeton tapeziert, welchen man als warm bezeichnen würde, aber es sieht genauso aus wie Sandstein. Auch hier „dekorieren" kahle Säulen links und rechts den Gang, Pflanzen sieht man keine.„Dort rein", weist mich der Mann zurecht und deutet auf eine von ihm gerade geöffnete, massive Holztür. Ein Blick hinein und dort sitzt noch ein Mann, diesmal aber etwas schlanker - und jünger? Das nächste, was ich bemerke, ist, dass die Tür hinter mir zufällt und ich mit dem Jüngeren alleine bin. Dieser jedoch beobachtet mich mit scharfem Blick, lässt mich nicht aus den Augen, bis ich mich auf einen Holzstuhl ihm gegenüber gesetzt habe.
„Ausziehen."
Der Gesamteindruck zählt - ich bin hier nicht willkommen.
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Nachwort
Ich gebe euch den Tipp, dass ihr die Personen nicht direkt mit Vorurteilen behaftet, denn das könnte einiges kaputt machen ;).
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Chaos im Kopf
Mystery / ThrillerEs gibt diese Tage... diese Tage, von denen du denkst, dass sie dein Leben komplett verändern werden. Egal wie oft du die Situation überdenkst, was dazu geführt hat, was daraus folgen wird, du bist dir sicher, dass es ein Umbruch ist. Auch, wenn du...