1 - Besuch im Wald

28 4 3
                                    

(Prolog)

Er sollte eigentlich zufrieden sein - mit Macht, Wohlstand und Ansehen. Seine schwachen Gegner hatte er in die Knie gezwungen. Selbst die berühmten Magier der Dashor konnten sich nicht mit ihm messen. Doch noch immer hatte er das Gefühl, ein Verfolgter zu sein. Jedes Mal, wenn er in den Spiegel blickte, wurde es ihm bewusst: Noch immer war er ein Feind des Imperiums.    


(Besuch im Wald)

„Oma!"

Es kam keine Antwort aus der kleinen Steinhütte, obwohl Rauch aus dem Kamin stieg. Oma hörte schlecht, seit er denken konnte.

„Ich war in der Stadt, habe Fleisch gekauft. Leider nicht viel..." Schnaufend hievte er den Korb von seinem Rücken und stellte ihn auf einen breiten Baumstumpf, der je nach Bedarf als Sitz, Unterlage zum Holzschlagen oder Abstellplatz diente.

„Hallo!" Mit einem Ruck riss er die holzgerahmte Flechtentür auf und erstarrte.

„Na, Kind? Wer bist du denn?", fragte ein faltiges, unbekanntes Gesicht. Die Stimme des Mannes war ruhig und freundlich, doch das lenkte nicht von dem Schwert an dessen Seite ab. Als seine Augen sich an das Halbdunkel der Stube gewöhnten, erkannte er eine weitere Person, die sich lässig auf Omas Strohmatratze ausgestreckt hatte. 

Es war eine junge, hübsche Frau mit schwarzen Haaren, die ihn genervt anblickte. Beide trugen sie dieselbe Uniform: Das Blau der See als Grundfarbe ihres Stofftorsos mit rot-weißen Borten, die lose über den Schultern hingen. Darunter trugen sie, wie man an Armen und Beinen sah, dichtes Kettengeflecht – eine meisterliche Arbeit! Auf ihrer Brust prangte das Wappen des allmächtigen Isgaads: eine stilisierte, golden schimmernde Sonne vor rotem Hintergrund. Sie waren ganz anders, als die Stadtwachen von Himmelstein ...

„Nicht so schüchtern", blaffte die junge Frau mit kratzender Stimme, und all ihre Schönheit war verflogen.

„Ähm. Ich bin Tyll", sagte er schnell. Er hatte nicht seinen wahren, dafür aber einen sehr häufig vorkommenden Namen genannt. Warum war er nur so misstrauisch? Er sollte den beiden Hütern des Gesetzes vertrauen!

„Tyll... und weiter?", die Stimme des Mannes war freundlich, aber seine Augen blitzten.

„Tyll und nichts weiter. Herr, meine Eltern sind einfache Bauern ohne Titel."

„Und was machst du hier mitten im Wald? Die Bauernhöfe sind auf der anderen Seite des Flusses!", mit wütender Miene stemmte sich die Frau auf die Beine und griff hinter sich nach einem Gegenstand auf dem Bett. Hervor kam ein Schwertgurt – Eine Frau mit Schwert! Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.

„Ich ... ich liefere ihr nur das Fleisch unseres Hofs. Normalerweise liefern wir natürlich den Händlern in der Stadt, doch sie zahlt eben gut. Bitte, edle Da ... Herrin! Tut mir nichts!"

„Du riefst eben nach ‚Oma', das habe ich deutlich gehört."

„So nenne ich sie eben – sie ist doch bestimmt fünfzig Zyklen alt! Aber nicht meine wirkliche Oma." Er versuchte diese, wie die anderen Lügen, mit glaubwürdiger Entrüstung vorzutragen.

„Und du lieferst Fleisch vom Hof deiner Eltern? Eben noch klang es, als wärst du in der Stadt einkaufen!"

„Verzeiht, ihr müsst euch verhört haben, Herrin. Ich sagte bloß, dass ich das Fleisch geholt habe."

„Hm. Wie auch immer. Die alte Frau muss reich sein, wenn sie sich diesen persönlichen Dienst leisten kann", wachsam musterte die Frau ihn.

„Lass gut sein, Ellea. Bestimmt wurde die alte Schachtel von den Elben mit Schätzen überhäuft ... Der Primär wird es schon noch aus ihr rauskriegen."

Etwas an der Art, wie die Frau daraufhin lächelnd nickte, war zutiefst verstörend. Überhaupt würde Oma niemals Geschenke von den heimtückischen Elben annehmen!

„Ich finde immer noch, wir sollten ihn mitnehmen und prüfen lassen. Aber gut."

Erleichtert atmete er aus. Endlich war das Verhör vorbei und er konnte die Frage stellen, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte.

„Wo ist sie denn eigentlich?"

„Was geht dich das an, Bursche? Geh nach Hause und sei froh, dass Hernan ein weichgewaschener, alter Narr ist."

„Aber...", er brauchte einen Vorwand, um weiter zu fragen, „Ich brauche doch die Bezahlung. Meine Eltern prügeln mich zu Tode, wenn ich mit leeren Händen zurückkomme."

„Also von uns bekommst du nichts", blaffte die Frau, „Pech gehabt."

„Und von ‚Oma' wirst du auch nichts mehr bekommen. Sie wurde verhaftet, weil sie im Verdacht steht, mit den Elben gemeinsame Sache zu machen."

„Das hätte ich niemals von ihr gedacht", entfuhr es ihm, wobei die Überraschung echt war. Jedes Kind wusste, dass die Elben heimtückische Diener des Teufels waren und seit Jahren einen Eroberungsfeldzug gegen das Kaiserreich planten. Oma war natürlich nicht daran beteiligt! Und doch fiel der Verdacht auf sie ... Eine Verschwörung? Doch mit welchem Ziel? Oma war nur eine einfache, alte Frau. Mit erstaunlichen Geldreserven, musste er sich eingestehen – hoffentlich fanden sie das Versteck nicht.

Ein übellauniger Schmerz machte sich in seiner Brustgegend breit, als ihm bewusst wurde, dass es keine Rolle spielte, ob Oma tatsächlich eine Verbrecherin war, denn das Verhör würde sie so oder so nicht überleben. Ob sie sie tatsächlich foltern würden? Mit Grauen dachte er an das finstere Lächeln der Schwertfrau, als der Mann angekündigt hatte, man werde es „schon noch aus ihr rauskriegen". Bei Isgaad, sie würden sie tatsächlich foltern! Mit einem Mal schämte er sich zutiefst seiner Jahre beim Schmied, in denen er auch geholfen hatte, eben jene Folterwerkzeuge zu erschaffen, mit denen seine Oma möglicherweise zu Tode gefoltert werden würde. Damals hatte er sich dabei nichts gedacht, und der Meister hatte es ihm ja aufgetragen.

„Hau ab jetzt!" Jetzt war auch alle Freundlichkeit aus der Stimme des Mannes gewichen. Er sah noch, wie die Frau den Mann lasziv anlächelte, als die Tür vor seiner Nase zugeschlagen wurde. Anstatt sich wegzudrehen, ballte er die Fäuste – das war nicht gerecht!

„He! Wo habt ihr sie hingebracht?"

„Verschwinde!", riefen Mann und Frau gleichzeitig, woraufhin sie beide kicherten.

Frustriert drehte er sich nun doch in Richtung Stadt, schulterte seinen Korb voller Pökelfleisch und stapfte davon. Als er sich sicher war, weit genug im Wald zu sein, um Notfalls davonlaufen zu können, drehte er sich um.

„Das werdet ihr noch bereuen, ihr Schurken!"

Er hatte fast gehofft, dass die Uniformierten die Verfolgung aufnehmen würden, doch stattdessen erklang aus der Hütte bloß schallendes Gelächter.    

Meister des Chaos I - Schwerter und ZornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt