9 - Prinzenehre

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Hinter ihnen waren drei dunkle Schemen aufgetaucht. Drei Reiter, die allmählich in einen Galopp verfielen. In etwa hundert Herzschlägen würden sie sie einholen. Sie konnten es also vielleicht noch gerade bis zum Waldrand schaffen.

Taoreth verdrängte den panischen Wunsch, Telzion zurück zu lassen um mit Gwerion wegzulaufen, und packte die „Kutsche". Mit aller verbleibenden Kraft schob er, dank Gwerion – der schob mit schmerzverzerrtem Gesicht mit – konnte er sogar rennen. Das Aufschlagen der Hufe auf Pflasterstein war nun deutlich hörbar, viel lauter als das Keuchen Gwerions und fast so laut wie das nur sporadisch unterdrückte, zungenlose Kreischen Telzions. Ein Schaben kündete davon, wie ein Schwert aus der Scheide gezogen wurde.

Plötzlich endete die Straße, als der umgebaute Ochsenpflug über den letzten Pflasterstein knatterte. Taoreth verlor das Gleichgewicht und stürzte zur Seite, kam jedoch relativ weich auf moosigem Boden auf – Waldboden. Neben sich hörte er Telzion gotteslästerlich zischen. Der Magier war aus seinem Gefährt gestürzt. Die Riemen, mit denen er festgebunden gewesen war, mussten gerissen sein. Der alte Mann bemühte sich um eine aufrechte Position, wozu ihm jedoch seine Bauchmuskeln offenbar nicht gereichten. Immerhin schaffte er es, sich auf den Rücken zu drehen. Gwerion, der als einziger stand, hatte mit seiner Linken eines der Templerschwerter hervorgeholt und hielt es drohend über seinem Kopf.

Die Bäume um sie herum wirkten riesenhaft. Die turmdicken, tief gerillten Stämme standen relativ weit auseinander; deren Kronen, in denen Glühwürmchen zu tanzen schienen, waren wundersamerweise voller Blätter und begannen erst weit über ihren Köpfen. Auf dem Waldboden wuchsen dazu dichtes, blumengesprenkeltes Gras bis zu den Knien sowie einige, verstreute Büsche und dünnere Bäumchen. Auch, wenn dieser widersprüchliche Ort daher keinen wesentlichen Geländevorteil gegenüber berittenen Verfolgern barg, fühlte sich Taoreth etwas wohler in ihm als auf offenem Gelände.

Auch ihre Verfolger schienen zu zögern. Sie waren nur noch einen kurzen Steinwurf entfernt und hatten angehalten. Zwei der drei Reiter waren in der bekannten Templertracht gekleidet, der Mittlere jedoch war vollständig in Metall gedeckt. Die Plattenrüstung schien seinen Körper vollständig zu umschließen und ließ bloß zwei dünne Sehschlitze im Visier des rotgefiederten Vollhelms offen. Auf der Brustplatte war eine stilisierte, goldene Sonne imprägniert. Zwar hatte Taoreth ein paar Jahre bei einem der begabtesten Schmiede Himmelsteins gearbeitet, doch so eine Rüstung hatte er noch nie gesehen. Selbst das Pferd war in Kettengeflecht gepanzert – Kopf und Brust waren gar mit Platten versehen.

Der gepanzerte Krieger hatte sein Schwert gezogen – eine lange Klinge, die gewiss auch zweihändig geführt werden konnte. Überraschend gelenkig sprang er aus dem Sattel, wobei seine Rüstung schepperte, doch es klang wie das hohe Rascheln dünner Blätter. Seine beiden Begleiter taten es ihm nach. Erst jetzt offenbarte sich seine Größe: Der Gepanzerte war ein Hüne – er überragte seine Gefolgsleute um mehr als einen Kopf.

Einen Moment standen ihre Verfolger nur dort, das Mondlicht mit ihrem Metall in Taoreths Richtung funkelnd reflektierend. Einige Glühwürmchen näherten sich neugierig dem Trio, wurden jedoch schnell von Schwertern verscheucht. Dann machte der Gepanzerte einen klirrenden Schritt nach vorne. Den nächsten Schritt taten alle drei synchron, sie verfielen in Marsch. Endlich schaffte Taoreth, sich aufzurichten, was angesichts seiner erschöpften Muskeln schon einen Kraftakt darstellte. Er zog nun ebenfalls ein Schwert aus der gekenterten Kutsche und positionierte sich gemeinsam mit Gwerion vor Telzion.

„Ich liebe dich, Taoreth", flüsterte der Dunkelhaarige plötzlich, jedoch ohne eine Gelegenheit zur Antwort zu geben. „Ich fordere ein Duell!", schrie er die Templer an. „Besiegt mich und schwört bei Isgaad, uns ansonsten in Ruhe zu lassen."

Ohne, den Marsch zu unterbrechen, streckte der Gepanzerte seinen Schwertarm nach vorne. Der rechts flankierende Templer brach aus der Formation und rannte auf Gwerion zu, der ebenfalls losrannte.

„Nicht!", schrie Taoreth, doch der Dunkelhaarige hieb mit seinem Schwert schon von oben auf den Templer, der jedoch mit Leichtigkeit die Klinge mit seinem Schwert auffing, gleichzeitig einen Seitschritt nach rechts vollführte und über Gwerions Klinge diesem mitten in den Bauch stach. Mit einem Schritt nach vorne spießte der Templer den Jungen geradezu auf und befreite seine Klinge danach mit einem Tritt, der Gwerion regungslos im Waldboden liegen ließ.

„Gwerion ...", Taoreths Stimme war ein gebrochenes, unhörbares Flüstern, Tränen rannen ihm übers Gesicht, „Ich liebe dich auch."

Hinter dem Visier erklang ein schallendes, helles Lachen: „Bald wirst du deine Großmutter wiedersehen, Elben-Abschaum – im ewigen Feuer!"

Er wusste also, dass er ihr Enkel war! Nicht, dass das jetzt noch wichtig war. Der Gepanzerte stand nun direkt vor ihm. Taoreth führte mit der Kraft der Verzweiflung einen Schwertstreich gegen dessen Kopf, traf sogar. Doch der Helm selbst erlitt nur einen Kratzer und war darüber hinaus offenbar mit der Brustplatte verschraubt, sodass auch die Wucht des Schlages sich kaum auswirkte. Mit einem kraftvollen Armschwung warf der Hüne Taoreth zur Seite und entwaffnete ihn gleichzeitig.

Neugierig wendete er die erbeutete Klinge in seiner gepanzerten Linken. „Dieses Schwert gehörte Ellea, der Ruhmreichen. Ihren Titel hat sie sich gegen zahlreiche Feinde meiner Herrschaft verdient. Außerdem hatte sie einen erlesenen Geschmack, was Gaukler und Weine angeht. Sie bereitete mir immer viel Vergnügen." Taoreth erahnte ein melancholisches Lächeln hinter dem Visier des Gepanzerten, als er das Schwert dem Templer zu seiner Linken überreichte. Der fixierte Taoreth daraufhin bedrohlich. Derweil blickte der Hüne auf Telzion herab, der bloß trotzig zurückstarrte. „Da sie nun nichtmehr lebt, werdet ihr zwei mir von nun an Vergnügen bereiten. Natürlich wird es das für euch nicht – obwohl, wer weiß. Oh, Magier – du wirst mir zudem als Forschungsobjekt dienen. Freust du dich nicht, der Wissenschaft förderlich zu sein? Das ist doch eines der hohen Ziele von euch Magiern – das Wissen der Menschen zu erweitern." Er lachte erneut kraftvoll und höhnisch. „Immerhin wissen wir nun, dass meine Alchemisten doch nicht gelogen haben und das Magiergift wirkt. Tragisch für sie, dass ich es erst jetzt erfahre. Naja, wie auch immer: Ein weiterer Sieg für Isgaad!"

Taoreth wollte sich aufrichten, um gegen diese – aus seiner Sicht – absurde Gotteslästerung zu protestieren, wurde jedoch von einem Templerstiefel niedergetreten. Als er sich wieder bewegen wollte, hielt ihn ein übermächtiger Schmerz im Brustbereich davon ab. Im Augenwinkel nahm er einen goldenen Schimmer wahr – vermutlich einen Schwarm Glühwürmer. Es sammelten sich immer mehr golden-leuchtende Punkte um den Schauplatz, sodass er taghell erleuchtet war.

„Mein Prinz, wir sollten uns beeilen, die beiden zu den Pferden zu bringen. Das ist eindeutig Elbenmagie."

„Was scheren mich ein paar leuchtende Insekten. Die werden vermutlich von dem Blutgeruch angezogen."

Vielleicht hatte der „Prinz" recht, denn es sammelten sich einige Insekten bei Gwerions Körper und ließen sich bei dessen Wunde nieder. Viel mehr umschwirrten jedoch die drei Templer.

„Es werden immer mehr, mein Prinz", bemerkte nun auch Gwerions Mörder.

„Pah! Ihr seid unglaubliche Spaßverderber, meine treuen Ritter, wisst ihr das? Nun gut, packt den Fluchspeier auf eines der Pferde und legt den Jungen in Ketten – der kann noch laufen. Zack zack!", klatschte der Prinz mit seinen Panzerhandschuhen. 

Meister des Chaos I - Schwerter und ZornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt