Kapitel 1

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"Vielen Dank, Sir. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag", Aria lächelte dem alten Mann zu, der ihr mit freundlichem Blick das Trinkgeld in die Hand drückte. Sie war froh über jeden Cent den sie von ihren Gästen bekam. Aria arbeitete in einem kleinen Café im Zentrum der Stadt. Ihre Stadt, Fellow Creek, war eigentlich vielmehr ein Städtchen, als eine Stadt. Aber sie lebte gerne hier. Sie wuchs sehr behütet auf. Ihre Eltern waren nicht wohlhabend, aber auch nicht arm. Sie hatte eine schöne Kindheit und ging gerne zur Schule. Nach ihrem Abschluss wollte sie studieren, Kunst. Aber dann kam der Unfall und alles änderte sich. 

Es war in einer Nacht zum Sonntag. Aria war noch wach, sie konnte dieses Buch einfach nicht zur Seite legen. Es war ein Sammelband über die neuesten Kunstwerke der letzten zwei Jahre. Sie studierte jedes Kunstwerk bis aufs kleinste Detail, sie wollte alles davon aufsaugen und für immer in ihrem Gedächtnis abspeichern. 

Plötzlich klingelte es an der Haustür. Aria war verwirrt, ihre Eltern waren ausgegangen. Hatten sie ihre Hausschlüssel vergessen? Es klingelte ein zweites Mal. Aria legte das Buch auf ihr Bett und stand auf. Sie lief zu ihrem Fenster, von dem aus man auf die Auffahrt blicken konnte. Sie war leer, das Auto ihrer Eltern war nicht da. Vielleicht hatten sie sich entschlossen etwas zu trinken und hatten ein Taxi nach Hause genommen. Sie schob die Gardinen wieder vor das Fenster und machte sich auf den Weg zur Haustür. 

Sie hatte ein mulmiges Gefühl. Langsam stieg sie Stufe für Stufe hinab und ihre Hand glitt sanft über das Treppengeländer. Als sie sich der Haustür näherte, pochte ihr das Herz bis zum Hals. Sie atmete tief ein und öffnete die Tür. Vor ihr standen zwei Polizisten.

Alles was danach passierte, lag in dichtem Nebel und Aria konnte sich nur stückchenweise daran erinnern. Die Polizisten erzählten etwas von einem schweren Autounfall. Der Fahrer eines Trucks sei am Steuer eingeschlafen und mit dem Auto ihrer Eltern zusammengeprallt. 

Die gute Nachricht war, sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater waren noch am Leben. Sie wurden sofort in das Krankenhaus in der Nachbarstadt gebracht. Jedoch sei ihr Zustand kritisch, die Polizisten wüssten aber nichts näheres. Aria konnte sich noch an das Gefühl erinnern wie sich ihre Kehle zuschnürte. Ihr wurde schwindelig und einer der Polizisten packte sie am Arm damit sie nicht umfiel. 

Als nächstes konnte sie sich noch daran erinnern, auf dem Rücksitz des Streifenwagens zu sitzen. Ihre Haare fielen ihr, nass vom Schweiß, ins Gesicht. Sie lehnte mit dem Kopf an der Scheibe und blickte hinaus. Bunte Lichter rasten an ihren Augen vorbei. Einer der Polizisten, der auf dem Beifahrersitz, drehte sich zu ihr um und sagte ihr, dass sie auf dem Weg ins Krankenhaus seien, zu ihren Eltern. 

Das nächste, an das sich Aria erinnern konnte, war, dass sie in einem der weißen Wartezimmer im Krankenhaus saß. Sie war allein. Jemand hatte ihr eine Decke gebracht und eine Flasche Wasser stand neben ihr. Sie wusste nicht wo beides herkam oder wer es ihr gebracht hatte. Aber der Arzt, der vor ihr saß, den verstand sie. 

Ihrer Mutter ging es den Umständen entsprechend gut. Sie hatte ein gebrochenes Bein, mehrere gebrochene Rippen, einige Blutergüsse und Platzwunden. Zudem eine Gehirnerschütterung. Der Arzt sagte Aria, dass ihre Mutter wieder gesund werden würde, es hörte sich schlimmer an als es war. 

Anders war es bei ihrem Vater. Aufgrund der schweren Verletzungen wurde er in ein künstliches Koma versetzt. Ihr Vater saß am Steuer und der Truck erwischte ihn schonungslos. Beinahe jeder Knochen in seinem Körper war gebrochen. Dazu kamen unzählige innere Verletzungen und Quetschungen. Der Arzt sagte, sein Vater müsse sich selbst aus dem künstlichen Koma holen. Wenn er das nicht schaffte, bestünde kaum Hoffnung, dass er jemals wieder aufwachte. Und selbst wenn er wieder aufwachen würde, wäre er nie wieder so, wie er früher einmal war. 

Nach dieser niederschmetternden Diagnose wurde Aria zu ihren Eltern gebracht. Ihre Mutter schlief. Sie sah furchtbar aus. Ihr Kopf war bandagiert und sie hatte ein blaues Auge. Unter der Bettdecke konnte man den Gips ihres gebrochenen Beines erkennen. Aria stiegen die Tränen in die Augen, sie fing an zu zittern. Aber sie riss sich zusammen. Sie musste stark sein, ihre Eltern brauchten sie jetzt. 

Der Arzt berührte sie sanft an der Schulter und bedeutete ihr damit ihm zu folgen. Sie verließen das Krankenzimmer ihrer Mutter und machten sich auf den Weg zu ihrem Vater. Aria's Schritte wurden immer schwerer, sie musste sich zu jedem Schritt zwingen. Zwei Zimmertüren weiter, blieb der Arzt stehen. Er sah Aria an und öffnete dann die Tür. Schon von der Türschwelle aus konnte Aria das Piepen der Maschinen und Geräte hören. Sie wollte nicht dort hinein, sie wollte ihren geliebten Vater, ihr Vorbild, nicht so sehen. Aber sie zwang sich einen Schritt nach dem anderen zu machen. 

Ihr Vater lag auf dem Bett, mit einer dicken Decke zugedeckt, so, als ob er schlafen würde. Nur der Schlauch der in seinem Mund steckte ließ erkennen, dass er nicht freiwillig schlief. Ironischerweise, sah sein Körper nicht ganz so mitgenommen aus wie der von Aria's Mutter. Der Arzt erklärte ihr, dass liege an der dicken Decke. Sie versteckte das meiste. Unter der Decke hätte er überall Beulen, die die gebrochenen Knochen andeuteten. Er wolle ihr den Anblick gerne ersparen.

Der Arzt brachte Aria zurück zum Empfang. Dort erwartete sie bereits eine Krankenschwester. Sie rief ihr ein Taxi, sie solle nach Hause fahren und erst einmal ein paar Stunden schlafen. Dann könne sie wieder kommen und ihre Eltern besuchen. Der Arzt würde ihr dann auch genaueres zu den Behandlungsmethoden erklären. Danach versuchte sie Aria ein wenig aufzuheitern bis das Taxi kam. Aber Aria hörte ihr nicht zu, es war, als ob ihr jemand Watte in die Ohren gestopft hätte und sie konnte nur sehen, wie sich der Mund der Krankenschwester bewegte. Aber sie konnte nichts hören. 

Als das Taxi da war, öffnete die Krankenschwester ihr die Tür und half ihr ins Fahrzeug. Dann sagte sie dem Taxifahrer die Adresse und schlug die Autotür zu. Aria ließ sich erschöpft in den Sitz sinken. Auch dieses Mal sah sie wieder nur bunte Lichter an ihren Augen vorbeizucken.

!PAUSIERT! - Old LadyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt