Kapitel 2

9 1 0
                                    

Der Unfall von Aria's Eltern war der Wendepunkt in ihrem Leben. Sie schmiss die Schule und schob den Gedanken, jemals Kunst zu studieren ganz weit weg und versprach sich selbst, niemals, auch nur eine Träne deswegen zu verlieren. Ihre Eltern brauchten sie jetzt dringender als jemals zuvor. Sie beschloss sich einen Aushilfsjob zu suchen. So kam sie in das Café in dem sie bis heute kellnerte. Es musste dringend Geld in die Kasse kommen. Aria's Mutter hatte nicht gearbeitet, sondern war zu Hause geblieben und kümmerte sich um den Haushalt. Ihr Vater war Lehrer. Die Schule zahlte zwar weiterhin sein Gehalt, aber das würde bei weitem nicht reichen. 

Nach ihren Schichten im Café fuhr Aria sofort ins Krankenhaus um ihre Eltern zu besuchen. Ihre Mutter war jetzt wach und machte Fortschritte. Bis sie jedoch wieder vollständig genesen war, würde es noch eine Weile dauern. Sie konnte das Bett immer noch nicht verlassen, seit dem Unfall hatte sie ihren Ehemann nicht mehr gesehen. Deshalb musste Aria ihr jeden Tag von ihm berichten. Dabei hofften sie nur, dass er endlich aus dem künstlichen Koma erwachte. 

Die Ärzte fingen an, ihrer Mutter und ihr keine Hoffnungen mehr zu machen. Die Verletzungen seien wohl zu schwer und eventuell sei es an der Zeit, darüber nachzudenken, ob sie ihn nicht vielleicht gehen lassen sollten. Das war ein Schock. Im Traum hätte Aria nicht daran gedacht, ihren Vater sterben zu lassen. Er war ein starker Mann, das war er schon immer gewesen. Er würde es schaffen!

Und so war es auch. Eines Tages, im Café, bekam Aria den erlösenden Anruf aus dem Krankenhaus. Ihr Vater war aufgewacht. Es ginge ihm den Umständen entsprechend gut und er war über den Berg. 

Aria's Chef, Mr. Jenkins, der alles mitbekam, gab ihr den restlichen Tag frei um zu ihrem Vater zu fahren. Sofort ließ Aria alles stehen und liegen und rief sich ein Taxi. Ihr konnte es gar nicht schnell genug gehen endlich im Krankenhaus zu sein. 

Der Taxifahrer hingegen schien keine Eile zu haben und fuhr noch langsamer als die erlaubte Geschwindigkeit. Selbst nach Aria's Bitte die Geschwindigkeit etwas zu erhöhen, krochen sie immer noch unendlich langsam die Straße entlang. Aria verdrehte die Augen und presste sich zornig in den Sitz auf der Rückbank des Wagens. 

Sie starrte aus dem Fenster. Von hinten hörte sie laute Motorengeräusche und dann schoss  ein Motorrad an ihr vorbei. Und dann noch eins und noch eins. Aria versuchte mitzuzählen, es müssten ungefähr zwölf Stück gewesen sein. Sie rauschten einfach an ihr vorbei. Die Geschwindigkeit war ihnen egal. Mit ihrem schmalen Gefährt hatten sie keine Probleme sich durch noch so kleine Lücken im Straßenverkehr zu zwängen. 

Die Männer auf den Maschinen hatten schwarze Lederjacken an. Auf dem Rücken von jedem war ein Motiv zu erkennen mit einem Schriftzug, den Aria jedoch nicht lesen konnte. Sie konnte es nicht genau erkennen, aber das Motiv auf den Jacken sah aus, wie das aufgerissene Maul eines Krokodils. Darin schien ein Schädel eines Menschen zu liegen. Die Fahrer strahlten das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit aus. 

Aria wünschte sich, dass sie gerade auch auf einem Motorrad sitzen würde. So hätte sie die Möglichkeit schneller zu ihrem Vater zu gelangen. Als die Motorräder außer Sichtweite waren, gelang es Aria, sich mit diesen Gedanken etwas abzulenken und die Zeit bis zum Krankenhaus erschien ihr nicht mehr ganz so lang.

Als das Taxi endlich vor dem Haupteingang hielt, erkannte Aria die Motorräder. Sie schienen auch jemanden im Krankenhaus zu besuchen. Sie rannte den Weg entlang ins Gebäude und die Flure hinunter. Aria kannte den Weg und wusste genau wohin sie laufen musste. Jeden Tag seit einem langen Monat lief sie hier entlang. 

An der Zimmertür ihres Vaters angekommen atmete sie noch einmal tief durch und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Mit zitternden Fingern griff sie nach der Türklinke und drückte sie hinunter. 

Im Zimmer saß bereits ihre Mutter. Ein Krankenpfleger hatte ihr in einen Rollstuhl geholfen, so dass sie endlich ihren Mann besuchen konnte. Sie lächelte als sie Aria sah und Aria konnte Tränen in den Augen ihrer Mutter erkennen. Es waren Tränen der Erleichterung. Sie ergriff die ausgestreckte Hand ihrer Mutter und ging auf das Bett ihres Vaters zu. Der Schlauch, der in seinem Hals steckte war bereits entfernt worden. Auch die Geräte die pausenlos piepsten waren ausgeschaltet worden. Das war ein gutes Zeichen, ein sehr gutes. Es hieß, dass sie nicht weiter gebraucht werden würden. Ihr Vater lag in seinem Bett, die Augen waren offen, aber er schien noch nicht ganz in der Gegenwart zu sein. 

Aria's Mutter erklärte ihr, was der Arzt ihr bereits erklärt hatte. Ihr Vater würde noch etwas Zeit brauchen, bis er das erlebte verarbeitet hätte. Ebenso müsste er sich erst an seine neue Lebenssituation gewöhnen. Was sollte das heißen? Seine neue Lebenssituation?  Aria's Mutter erklärte ihr mit Tränen in den Augen, dass ihr Vater kein Gefühl mehr in den Beinen hatte. Die Ärzte wüssten nicht, ob es jemals wieder käme. Wenn ihr Vater Glück hatte, würde er eventuell wieder laufen können, aber auch nur mit einer Stütze. Wenn sich seine Beine jedoch nicht wieder erholen würden, würde das bedeuten, dass er für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen würde.

Es vergingen Wochen und Monate. Aria's Eltern hatten das Krankenhaus mittlerweile wieder verlassen. Aria's Mutter, Elenor, konnte sogar selbst wieder laufen. Ihr Vater, James, hingegen wurde von Aria in seinem Rollstuhl geschoben. Seine Beine hatten sich bisher nicht wieder erholt, trotz der Physiotherapie die James sehr pflichtbewusst wahrnahm. 

Natürlich brach es Aria das Herz zu sehen wie ihr Vater im Rollstuhl saß und dem Leben nur noch teilnahmslos zusah. James war immer ein aktiver Mann gewesen, er ging joggen und schwimmen, all das, war jetzt nicht mehr möglich. Aber Aria war das egal, sie war so unendlich froh, dass ihr Vater am Leben war, da war es ihr nicht wichtig ob er Laufen konnte oder nicht.

!PAUSIERT! - Old LadyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt